Es herrschen schwierige Zeiten. Corona, Krieg, Inflation, dann Einsamkeit, Familienstreit oder körperliche Beschwerden: Die Gründe, warum Menschen die Telefonseelsorge anrufen, sind breit gefächert. Rund 90 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der TelefonSeelsorge Würzburg/Main-Rhön haben dann ein offenes Ohr für sie. Sie schenken ihre Zeit und Aufmerksamkeit Menschen, die jemanden zum Reden brauchen, weil sie in einer Krise sind oder weil ihr Leben dauerhaft schwierig ist. "Sie tun das ehrenamtlich, dabei nicht umsonst", heißt es dazu auf der Website.
Ruth Belzner und Joachim Schroeter leiten die TelefonSeelsorge Würzburg/Main-Rhön. Sie erzählen von ihrem Job, erklären, was das Herausforderndste in ihrer Arbeit ist und welche Menschen da am anderen Ende des Hörers sitzen.
Ruth Belzner: Die Pandemie war für viele Mitarbeitende eine Krise, aber nicht für die Telefonseelsorge als Institution. Wir konnten den Dienst am Telefon lückenlos aufrechterhalten, teilweise auch verdoppeln und das Angebot im Chat ausweiten, wir konnten sehr schnell Ausbildung und Supervision auf Videokonferenzen umstellen und das in jeder Welle erneut tun. Natürlich bekamen wir am Telefon und im Chat viel von den Ängsten und etwas verzögert auch einiges von der Wut mit, aber insgesamt hat sich unsere Arbeit weder durch Corona noch durch den Krieg mit seinen Folgen wesentlich verändert.
Belzner: Ich habe das große Glück, dass ich, bei aller rationalen Besorgnis, eine zuversichtliche Grundhaltung zum Leben habe. Und damit verbinde ich nicht den Anspruch, es muss immer einfach sein, sondern das Vertrauen, dass es immer Wege geben wird, mit dem, was ist, umzugehen, ohne zu resignieren oder gar zu verzweifeln.
Joachim Schroeter: Mir liegen diese Krisen auch auf der Seele und ein Umgang damit ist schwer. Ich versuche solchen großen Nachrichten eine kleinere Aufmerksamkeit zu geben und kleinere Nachrichten eine umso Größere. Wenn Menschen aus anderen Ländern hier eine Bleibe finden und sich in der Stadt integrieren, oder wenn an der Telefonseelsorge der Zusammenhalt spürbar ist und wir uns an der Stelle freundlich begegnen, hat das für mich eine sehr hohe Bedeutung. Ich bin außerdem aufmerksam für Menschen in meinem Umfeld und frage nach, ob ich helfen kann. In den kleinen Dingen des Alltags zu unterstützen, schenkt mir Zufriedenheit.
Schroeter: Die Anliegen sind sehr unterschiedlich. Überwiegend möchte der Anrufer von seiner belastenden Situation erzählen. Und am Telefon sollen wir uns Zeit dafür nehmen. Dabei erwartet er von uns Ermutigung, Trost, Zuspruch oder ein Gebet. Manchmal möchte er eine Lösung für ein Problem oder einen Ratschlag zu einer Entscheidung. Dem wir sicher nicht immer gerecht werden können und wollen. Was ich ermutigend finde, ist oft auch der Ausdruck von Dankbarkeit, den Anrufer uns als Resonanz auf unseren Dienst entgegenbringen.
Belzner: Da muss ich etwas nachdenken – zu 2020 könnte ich das leichter sagen. Da war es nach dem ersten Lockdown das permanente Abwägen und Entscheiden, was können wir wann unter welchen Umständen in Präsenz stattfinden lassen. Heuer fällt mir am ehesten die Besetzung aller Dienste ein. Mitarbeitende haben in der ersten Jahreshälfte gefühlt alle Reisen der vergangenen beiden Jahre nachgeholt, dann hat erst Omikron für viele sehr kurzfristige Ausfälle gesorgt und jetzt sind es die vielen Erkältungskranken. Trotzdem ist es sehr, sehr selten, dass wir mal einen Dienst nicht wiederbesetzt bekommen oder selber einspringen müssen.
Schroeter: Im Blick auf Weihnachten nennen Anruferinnen und Anrufer als häufigen Grund ihre familiäre Beziehung. Die Erwartung, dass an Weihnachten alles toll und fröhlich verlaufen soll, endet oft im Streit. Daraus resultiert eine depressive Stimmung und als ein Dauerbrenner das Thema Einsamkeit. Weitere Gründe sind körperliche Beschwerden und ich nehme eine zunehmende Anzahl an Gesprächen zum Thema Sucht wahr, häufig reden wir mit alkoholkranken Menschen. Ein anderer Anlass für einen Anruf ist der Gedanke, sich das Leben zu nehmen. Außerdem spielen die Angst wegen des Krieges und die Existenznöte in der Krisenzeit eine wichtige Rolle. Dies alles mündet in sehr herausfordernden Gesprächen.
Belzner: Nein, es gibt keine Zunahme von Anrufen in den dunklen Monaten. Mit gut 1000 Seelsorgegesprächen pro Monat sind wir eh an der Kapazitätsgrenze einer einfach besetzten Stelle. Der Bedarf ist deutlich höher, das ganze Jahr hindurch, dem könnten wir nur durch Ausweitung der Kapazitäten, also mehr offene Leitungen, besser als jetzt entsprechen. Viele unserer regelmäßig Anrufenden sind zudem in dauerhaft schwierigen, schmerzhaften Lebenssituationen gefangen, darauf haben Jahreszeiten kaum einen Einfluss.
Schroeter: Sobald das Telefon klingelt und wir uns ein paar Minuten unterhalten, macht sich der Kopf ein Bild vom Gegenüber, über Aussehen, Wohnung, soziales Umfeld. Es zeigt uns zum Beispiel einen Menschen, der nachts im Bett liegt und mit uns Zeit zum Sortieren seiner Gedanken braucht. Oder einen übergewichtigen Mann, der nicht weiß, wie er morgen seinen Einkauf erledigen kann. Vielleicht auch ein junges Mädchen, neben dem die Rasierklingen liegen, weil es sich eben in den Arm geritzt hat. Dieses Bild kann jemand sein, der stumm seinen Hörer hält und nur hin und wieder "hm" und "ach" sagt. Also sehr unterschiedliche Menschen und da unsere Arbeit anonym ist, können wir nur über das Gehör Vermutungen über das Gegenüber anstellen.
Schroeter: Die Anliegen und die Themen, mit denen wir am Telefon konfrontiert werden, sind sehr unterschiedlich. Dafür braucht es eine fundierte Ausbildung. Unsere über 90 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich in ihrer zehnmonatigen Ausbildungszeit mit vielen Inhalten befasst. Darin geht es um psychische Krankheitsbilder, Gesprächsführung oder Persönlichkeitsbildung. Wir besuchen Beratungsstellen, setzen uns an einem Spiritualitätstag mit dem Glauben auseinander und klären, was die eigene Haltung zum Leben ausmacht. Jedes Jahr im September starten wir einen neuen Ausbildungskurs, an dem aktuell elf Leute teilnehmen.
Belzner: Seelsorgerinnen und Seelsorger müssen sich in Spannungsfeldern bewegen können: zugewandt und interessiert sein und Gespräche begrenzen; mitfühlen und ausreichend innere Distanz wahren; an Veränderungsmöglichkeiten glauben und Nichtveränderung mittragen; Hoffnungslosigkeit ernst nehmen und stellvertretend hoffen. Dazu braucht es eine entsprechende Begabung, die in der Ausbildung – zusätzlich zur Wissensvermittlung – unterstützt und gefördert wird. Und das ist im Anschluss immer wieder auch ein Thema in der Supervision.
Belzner: Für die Telefonseelsorge und für mich persönlich blicke ich gelassen ins neue Jahr. Wir werden sehen, was kommt und werden damit umgehen können – hoffe ich. Wenn ich darüber hinausblicke, dann besorgt mich vieles und ich hoffe ganz groß: Frieden in allen Kriegsgebieten, Stärkung der Demokratie weltweit, entscheidende Fortschritte zum Schutz des Klimas und der Artenvielfalt…
Schroeter: Bei dieser Frage kommt mir mein unverbesserlicher Optimismus entgegen, den mir ein Freund schon hin und wieder vorgeworfen hat. Für die Arbeit an der Telefonseelsorge bin ich ganz zuversichtlich, weil unsere Gemeinschaft sehr tragfähig ist. Das ist nicht selbstverständlich und mir ist bewusst, dass wir in die Pflege unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investieren müssen. Worauf ich mich auch freue. Persönlich hoffe ich, dass ich eine gute Balance zwischen Arbeit und Alltag finde.
Die TelefonSeelsorge ist für Menschen in Krisen rund um die Uhr zu erreichen, auch am Wochenende und an Feiertagen: 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222.