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Würzburg
Eine Woche nach dem Messerangriff in Würzburg: Was wir wissen
Am 25. Juni griff ein 24-jähriger Somalier in der Innenstadt Menschen an und tötete drei Frauen. Die Hintergründe der Tat müssen noch ermittelt werden. Was bisher bekannt ist.
Stunden nach der Tat durchsuchten Polizisten am 25. Juni die Unterkunft des Somaliers in Würzburg.
Foto: Fabian Gebert | Stunden nach der Tat durchsuchten Polizisten am 25. Juni die Unterkunft des Somaliers in Würzburg.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:24 Uhr

Vor einer Woche tötete ein 24-jähriger Somalier am Würzburger Barbarossaplatz drei Menschen und verletzte sieben teils schwer. Der Messerangriff sorgt bundesweit für Bestürzung aber auch für Diskussionen über Integration, Islamismus und mögliche Behördenfehler. Ein Überblick über den aktuellen Stand.

Wie geht es den Opfern, die überlebt haben?

Die fünf schwer Verletzten lagen am Freitag weiter im Krankenhaus, sind aber außer Lebensgefahr. Bei ihnen handelt es sich um drei Frauen im Alter von 39, 52 und 73 Jahren sowie ein elfjähriges Mädchen und einen 16-jährigen Jugendlicher. Zwei Leichtverletzte – eine 26-Jährige und ein 57-Jähriger – hatten das Krankenhaus am vergangenen Wochenende verlassen können.

Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand?

Die im Landeskriminalamt eingerichtete Sonderkommission (Soko) "Main" und die Kriminalpolizei beim Polizeipräsidium Unterfranken versuchen derzeit mit Unterstützung von Fachleuten des Bundeskriminalamts (BKA) die Hintergründe der Tat aufzuklären. Insgesamt sind mehr als 130 Beamtinnen und Beamte im Einsatz. Die Ermittlungen laufen laut Generalstaatsanwaltschaft München auf Hochtouren. Zu weiteren Details wollte man sich am Freitag auf Nachfrage nicht äußern. Zuletzt hatten die Ermittler erklärt, dass ein islamistischer Hintergrund für die Taten nahe liege. Derzeit werden sichergestellte Beweismittel untersucht, darunter zwei Handys, deren Inhalt auch mit Hilfe von Islamwissenschaftlern ausgewertet wird. Außerdem soll ein gerichtspsychiatrisches Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Täters und zur Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erstellt werden.

Was ist über den Gesundheitszustand des Täters bekannt?

Der 24-Jährige war seit seiner Ankunft in Deutschland 2015 insgesamt fünfmal in einer Psychiatrie: Im Jahr 2019 zunächst in Chemnitz, dann im Herbst im Zentrum für Seelische Gesundheit in Würzburg. Dort wurde er drei weitere Male behandelt: im Februar 2020, im Januar 2021 und zuletzt im Juni 2021, zehn Tage vor der Tat. Dabei wurden nach Recherchen dieser Redaktion unter anderem eine "drogeninduzierte psychische Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch" festgestellt. Demnach soll er sowohl die synthetische Droge Crystal Meth als auch das Opioid Heroin konsumiert haben.

Was spricht für einen islamistischen Hintergrund der Tat?

Die Ermittler führen hier Zeugenaussagen ins Feld, wonach der 24-Jährige während seiner Tat "Allahu akbar" ("Gott ist groß") ausgerufen haben soll. Nach seiner Festnahme soll er von seinem Beitrag zum "Dschihad", was unter anderem mit "Heiliger Krieg" übersetzt werden kann, gesprochen haben. Außerdem haben die Ermittler "Hassschriften" in der Unterkunft des Täters gefunden. Ob es sich dabei tatsächlich um islamistisches Material handelt, muss noch geklärt werden.

Darüber hinaus ging bei der Polizei Dresden im Januar ein Hinweis ein, wonach der Somalier in seiner Heimat für die Terrormiliz al-Shabaab getötet haben soll. Die Generalbundesanwaltschaft hat allerdings "mangels konkreter Tatsachen" von einem Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abgesehen – zumal der Beschuldigte zum angeblichen Tatzeitpunkt erst elf oder zwölf Jahre alt und damit strafunmündig gewesen wäre. Die Generalstaatsanwaltschaft München betonte am Freitag gegenüber dieser Redaktion, dass es mit Ausnahme der Zeugenaussage "keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt", dass der Täter in Somalia Teil der Terrororganisation war. Auf die Frage, ob man den 24-Jährigen im Januar dazu befragt hat, antwortet die Behörde nicht. Allerdings hieß es, die Ermittler wollen dem Hinweis nun noch einmal nachgehen.

Was spricht gegen einen islamistischen Hintergrund der Tat?

Auch eine Woche nach der Tat fehlt ein Bekennervideo oder -schreiben, wie es nach islamistischen Anschlägen von Terrororganisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat oder El Kaida in der Vergangenheit fast immer publiziert wurde. Nach dem Axt-Anschlag 2016 etwa lag binnen 24 Stunden ein Video des Täters vor. Außerdem konnten die Ermittler bei dem 24-jährigen Somalier bislang keine Hinweise auf Propagandamaterial oder sonstige extremistische Inhalte finden. Terrorismusexperten zweifeln indes, dass der Täter der Islamistenszene angehört. Der Würzburger Extremismusforscher Peter Neumann sieht Parallelen zu der Messerattacke in Hamburg 2017. Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärte er: Auch damals sei der Täter ein Asylbewerber "mit erheblichen psychischen Problemen" gewesen, der "sich wohl nur an die islamistische Ideologie drangehängt hat".

Was ist über die Vergangenheit des Täters bekannt?

Aus seiner Zeit in Somalia gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse. Bei seinem Asylantrag hatte der damals 18-Jährige angegeben, dass er vor der Terrormiliz al-Shabaab geflohen sei. Zwischen 2015 und 2019 lebte er erst in Chemnitz, dann im Erzgebirgskreis, in Düsseldorf, wieder in Chemnitz und schließlich in Würzburg. Hier lebte er in einer Obdachlosenunterkunft der Stadt. Am Freitag bestätigte ein Unternehmen aus der Region, den späteren Täter vor einigen Monaten als Hilfsarbeiter beschäftigt zu haben. Der Somalier sei in dieser Zeit nicht aufgefallen. Das Arbeitsverhältnis dauerte einige Wochen, ist schon seit längerem beendet und sei von dritter Hand vermittelt worden.

Seit der Somalier in Deutschland lebt, geriet er – soweit bekannt – zweimal in Streit, wobei er zu einem Messer griff: So soll er schon 2015 in einer Asylbewerberunterkunft in Chemnitz einen Mitbewohner bedroht haben. Die Ermittlungen dazu wurden laut Generalstaatsanwaltschaft 2017 eingestellt, da "ein Tatnachweis nicht zu führen war". Im Januar 2021 bedrohte er in der Würzburger Obdachlosenunterkunft, in der er lebte, Mitbewohnern und Verwalter mit einem Messer und kam anschließend für einige Tage in die Psychiatrie.

 
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Kommentare
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  • saaleufer
    Eine drogeninduzierte Psychose, wegen Crystal Meth und Heroin! Ich Fall vom Glauben ab, daß man so jemanden, auch mit so einer Vergangenheit, nicht aus dem Verkehr zieht.
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  • Funkenstern
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  • MedDeeg@web.de
    Wichtig wäre m.E., dass ein unabhängiger Sachverständiger von außerhalb das psychiatrische Gutachten erstellt.

    Außerdem sollte man erwähnen, dass ein solches Gutachten bereits nach dem „Vorfall“ im Januar durchgeführt werden sollte - dies aber nicht erfolgte.
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  • Erding
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