Hätte man die Tat verhindern können? Diese Frage stellt sich nach jedem Verbrechen. Besonders aber, wenn der Täter der Polizei bereits bekannt, gewalttätig und psychisch auffällig war. Verschiedene Behörden hatten mit dem Würzburger Messerangreifer in den vergangenen sechs Jahren zu tun. Gab es Versäumnisse?
Nach Auskunft der Generalstaatsanwalt München ist ein islamistischer Hintergrund des Täters "naheliegend". Informationen, dass er in einem extremistischen Milieu vernetzt war, hatte die Polizei, nachdem was bisher bekannt ist, vor der Tat aber wahrscheinlich nicht. Hinweise vom Januar, dass er eventuell in Somalia Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen war und Menschen getötet hat, haben sich laut Generalbundesanwaltschaft damals nicht erhärtet. Aber nur mit konkreten Hinweisen auf Terrorverdacht hätten die Ermittlungsbehörden den mehrfach als gewalttätig aufgefallenen Mann als "Gefährder" führen und überwachen können. Noch ist nicht klar, wie hartnäckig nach diesen konkreten Hinweisen gesucht wurde.
Wurden Hinweise ignoriert?
Bei seiner Einreise nach Deutschland 2015 wurde der spätere Messer-Angreifer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erfasst und in der Erstaufnahme-Einrichtung Chemnitz untergebracht. Seinen Asylantrag habe er damit begründet, dass er von der Terrororganisation Al-Schabaab in Somalia verfolgt und bedroht werde, heißt es von der Generalstaatsanwaltschaft. Ob es damals schon den Verdacht gab, dass er als Kindersoldat in Somalia getötet haben könnte und ob diese Informationen anderen Behörden weiter gegeben wurden, sagt das Bamf nicht.
Ein anderes Thema ist, ob der Mann, der angab, verfolgt und bedroht worden zu sein, schon bei der Erstaufnahme psychisch auffällig gewesen war und wie man damit umgegangen ist. Psychologische Hilfe scheint der damals 18-Jährige nicht bekommen zu haben. 2015 war man bei diesem Thema allerdings wahrscheinlich weniger sensibel als jetzt. "Heute wissen wir, dass etwa ein Drittel der extremistischen Täter psychische Störungen haben", sagt Thomas Mücke, Fachmann für Gewaltprävention und Geschäftsführer der Berliner Organisation "Violence Prevention Network" .
Woran ist die Integration des Somaliers gescheitert?
Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht in der tödlichen Messer-Attacke von Würzburg auch ein Beispiel für gescheiterte Integration. Nach Recherchen dieser Redaktion hat der spätere Täter zumindest einen Deutsch-Kurs in Chemnitz besucht. Laut "Chemnitzer Morgenpost" zieht er 2017 mit einem anderen Geflüchteten aus Afghanistan in eine WG – ein Wohnsilo im Stadtteil Markersdorf. Ob er weitere Integrationskurse besucht oder an Ausbildungsmaßnahmen teilgenommen hat – darüber schweigen die zuständigen Behörden. So erklärt die Stadt Würzburg: "Aufgrund des Sozialgeheimnisses dürfen wir dazu keine weiteren Angaben machen." Auch die Frage, welche staatliche Unterstützung er bekommen hat, wird aus Gründen des Datenschutzes nicht beantwortet.
Auch diese Frage hat Innenminister Horst Seehofer in Zusammenhang mit der Tat in Würzburg gestellt. Oberbürgermeister Christian Schuchardt oder Sozialreferentin Hülya Düber wollen persönlich nicht mit der Redaktion über dieses Thema reden. Aufgrund der laufenden Ermittlungen äußere man sich nur schriftlich über die Pressestelle. Diese erklärt, dass der Mann am 27 . August 2019 in der Obdachlosenunterkunft der Stadt auftauchte. Da Geflüchtete häufig keine Wohnung fänden, würden sie länger in Gemeinschaftsunterkünften verbleiben oder in Obdachlosenunterkünften leben. "Darüber hinaus kann Obdachlosigkeit jeden Menschen, unabhängig von seiner Herkunft, treffen." Nach Information dieser Redaktion war der Mann seit Jahren drogenabhängig.
Entgegen der ersten Aussage der Stadt Würzburg ist die Akte des Somaliers doch schon kurz nach seiner Ankunft in der Stadt im Herbst 2019 bei der Ausländerbehörde eingegangen. In dieser Akte sind laut Pressestelle der Stadt aber keine Auffälligkeiten polizeilicher oder klinischer Art vermerkt. Hinweise auf den Verdacht, dass er möglicherweise Mitglied einer Terrorvereinigung in Somalia war, hat die Stadt laut Pressestelle ebenfalls nicht bekommen. Die psychischen Probleme und die Gewaltbereitschaft des Mannes wurden der Stadt bekannt, als er im Januar in der städtischen Obdachlosenunterkunft einen Mitbewohner bedrohte.
Nachdem er zuvor bereits dreimal in psychiatrischen Einrichtungen war, wurde der 24-Jährige auf Anordnung des Würzburger Ordnungsamtes im Jahr 2021 zweimal in die Psychiatrie gebracht, da man fürchtete, er könne sich oder andere gefährden. Im Zentrum für Seelische Gesundheit stellte man bei ihm laut Recherchen dieser Redaktion Drogensucht, Psychosen und wahnhafte Störungen fest. Diese wurden medikamentös behandelt. Deshalb sah man keinen Anlass für eine Fremdgefährdung und entließ den Mann auf seinen Wunsch hin. Doch in der städtischen Obdachlosenunterkunft, wo der Mann lebte, gibt es keine Betreuung durch medizinisches Personal. Hilfe und Begleitung durch Sozialpädagogen hat der Mann nicht angenommen. Es gab also keinerlei Kontrolle darüber, ob der Drogenabhängige seine Medikamente weiter genommen oder ob er diese abgesetzt und wieder Wahnvorstellungen entwickelt hat.
Der Schock des Axt-Attentats vom Juli 2016 hat unter anderem dazu geführt, dass die Präventionsarbeit der Polizei verstärkt wurde, um Radikalisierung von Geflüchteten früh zu erkennen und zu verhindern. So verstärkten zum Beispiel in Unterfranken Polizei, Moscheegemeinden und die Sozialarbeiter der Kommunen ihre Zusammenarbeit. Gleichzeitig wurde damals festgestellt: Wenn Migranten psychische Betreuung brauchen, ist diese oft schwer zu bekommen. Wie ist das heute? Laut Präventionsfachmann Mücke gibt es inzwischen tatsächlich mehr Hilfsangebote, wenn gefährdete Menschen psychische Betreuung brauchen. "Nur muss jemand das erkennen und reagieren."
Hier ergeben weitere Recherchen ein verändertes Bild. Würzburgs Polizeipräsident Gerhard Kallert hatte vor der Presse zunächst davon gesprochen, ab 2016 sei die Stadtverwaltung Düsseldorf für den Asylsuchenden zuständig gewesen. Nun stellt sich heraus: Die weit überwiegende Zeit bis zu seiner Ankunft in Würzburg Ende August 2019 verbrachte der Somalier in Chemnitz und im angrenzenden Erzgebirgskreis. Maximal drei Monate war er um die Jahreswende 2016/17 in Düsseldorf gemeldet. Davor (seit Juni 2015) und danach (bis Juni 2017) lebte er laut Landratsamt in einer Gemeinschaftsunterkunft und Gewährswohnungen im Erzgebirgskreis. Von Mitte 2017 bis Januar 2019 war er dann in der Stadt Chemnitz registriert, wie die dortige Pressestelle bestätigt. Dann verliert sich seine Spur für einige Monate. Im Juli 2019 meldet sich der Mann erneut in Chemnitz, ehe er Ende August in der Obdachlosenunterkunft in Würzburg auftaucht.
Bei politisch Verantwortlichen und Behördenleitern heißt es nun: Kopf einziehen, notfalls Nebelkerzen werfen, drohenden Schaden für die eigenen Person und Institution möglichst klein halten.
Sie werden sehen: Die Zuständigkeiten lösen sich am Ende in Nichts auf und niemand wird Verantwortung übernehmen. Auch nicht Herr Seehofer, der als Innenminister doch für die Sicherheit der Bürger dieses Staates zuständig ist.
Schuld, weil wir es nicht schaffen integrationunwillige und kriminelle Subjekte ausser Landes zu schaffen. Es fehlt schlicht der politische Wille. Der ist umso weniger ausgeprägt, je weiter man sich Richtung links/grünes Spektrum bewegt.
Das ist sicherlich nicht der einzige, der durchs Raster fällt.