Nachrichten von Bauverzögerungen am Mainfranken Theater kommen inzwischen mit solcher Regelmäßigkeit, dass sie kaum noch als Aufreger taugen. So hielt sich die Überraschung in Grenzen, als Dirk Terwey, der geschäftsführende Direktor des Theaters, jetzt verriet, dass es in diesem Kalenderjahr nichts mehr wird mit der Eröffnung des Neubaus, in dem Kleines Haus und Ballettsaal untergebracht sind. Ein neuer Termin ist nicht in Sicht, man hofft, das neue Haus ab der zweiten Hälfte der Spielzeit nutzen zu können.
Leidtragende ist einmal mehr die Sparte Schauspiel. Denn es ist vor allem das Sprechtheater, das eines Tages im Kleinen Haus mit seinen gut 300 Plätzen stattfinden soll. In der vergangenen Saison hatten Intendant Markus Trabusch und Schauspieldirektorin Barbara Bily noch neue Ausweichspielstätten wie die Kirche St. Andreas oder den Keller Z87 aus dem Boden gestampft und die geeigneten Stücke dazu. Damit ist jetzt Schluss: "Das hat uns absolut an unsere Grenzen gebracht, dieses Spiel können wir nicht noch einmal spielen", sagt Trabusch. "Die Darstellenden haben eine riesengroße Sehnsucht nach angemessenen Arbeitsbedingungen. Und im Übrigen auch ein Recht darauf."
Und so wird das Mainfranken Theater in dieser Saison nur einen Ort bespielen: die Theaterfabrik Blaue Halle in der Dürrbachau. Für das Publikum hat das mehrere Effekte: Einerseits muss niemand mehr vorab recherchieren, wo welche Vorstellung stattfindet, andererseits liegt die Blaue Halle ein gutes Stück außerhalb und hat trotz aller Gestaltungsbemühungen bei weitem nicht die Aufenthaltsqualität eines echten Theaters. Immerhin: Es gibt jede Menge Parkplätze, und das Shuttle ab Hauptbahnhof fährt auch wieder.
Die Blaue Halle ist für Schauspiel eigentlich zu groß, außerdem stört der Orchestergraben
Die Blaue Halle wird bislang von Musiktheater und Tanz genutzt. Sie ist für Sprechtheater eigentlich zu groß, zudem trennt ein fünf Meter breiter Graben die Bühne vom Zuschauerraum - Gift für den Kontakt zwischen Darstellenden und Publikum. Der Graben wird deshalb für die Schauspielaufführungen überbaut werden. Außerdem sollen nur Karten für den Mittelblock verkauft werden, die Seiten bleiben weitgehend unbesetzt.
Die Haken: Der Auf- beziehungsweise Abbau dieser Graben-Abdeckung kostet eine komplette Technik-Schicht. Dies und die zusätzlichen Spieltermine verdichten das Programm erheblich und reduzieren so die Probenzeiten in der Halle für alle Sparten, denn eine Probebühne, wie sie im Neubau zur Verfügung stehen wird, gibt es nicht.
Auch auf den Spielplan hat der Umzug Auswirkungen: Die Produktionen "Der Zauberer von Oz" (Schauspiel) und "Bis dass der Tod uns scheidet" (Tanz), konzipiert fürs Kleine Haus, sind nicht transferierbar und entfallen, so Trabusch. Andere, wie etwa der Abend mit zwei Stücken von Roland Schimmelpfennig, der als Eröffnungsabend im Kleinen Haus gedacht war, werden verschoben. Dafür wird "Warten auf Godot" vorgezogen, das Stück über vergebliches Warten schlechthin. Es sei ausdrücklich nicht als Anspielung gemeint, versichert der Intendant in einem Anflug von Galgenhumor.
Mit dem Liederabend "Sehnsuchtswild" präsentiert sich das Schauspiel-Ensemble
"Wir schütteln vier neue Produktionen aus dem Ärmel", kündigt Trabusch an. Das Kinderstück "Das letzte Schaf" wird in gleich drei Versionen entstehen, inszeniert von je einer Regisseurin, mit je zwei Darstellenden. Alle drei Versionen gehen auf Tournee durch die Schulen der Region, eine kommt dann zu Weinachten auf die Bühne der Blauen Halle. Die vierte Produktion ist auch ein Kinderstück. Titel: "Ich weiß, es ist unfair, aber ich kann eben fliegen."
Den ersten großen Auftritt wird das Schauspielensemble mit dem Liederabend "Sehnsuchtswild" haben (ab 15. Oktober): 14 singende Schauspielerinnen und Schauspieler haben sich je zwei Lieder von Richard Wagner bis Udo Lindenberg ausgesucht und werden dazu eigene Geschichten erzählen - wie autobiografisch diese sein werden, wird sich zeigen ...
Die Sparte Musiktheater hat inzwischen einige Erfahrung mit Oper ohne Opernhaus. In der Blauen Halle sind unter anderem schon "Zauberflöte", "I Capuleti e i Montecchi" und "Eugen Onegin" über die Bühne gegangen. Am Sonntag, 2. Oktober, hat hier "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach Premiere.
In der Blauen Halle gibt es weder Seiten-, noch Ober- oder Unterbühne
Regisseurin Nicole Claudia Weber, Jahrgang 1969, hat durchaus schon unter erschwerten Bedingungen gearbeitet, die Blaue Halle sieht sie dennoch als Herausforderung, wenn auch als lohnende. Es gibt weder Seiten-, noch Ober- oder Unterbühne, von einer Drehbühne ganz zu schweigen. Man kann keinen Nebel machen, und auch die Beleuchtungsmöglichkeiten sind begrenzt. "Es fehlt alles, was zur Mystifizierung beitragen könnte", sagt die Regisseurin, "wir haben keinerlei technische Trickkiste, also sind wir gezwungen, uns auf die rudimentären Theatermittel zu besinnen."
Die Produktion stehe und falle deshalb mit den Künstlerinnen und Künstlern - Solisten wie Chor. Mit deren Geduld, Einsatzbereitschaft und Spielfreude ist Nicole Claudia Weber mehr als glücklich: "Das Ensemble ist fantastisch, das versöhnt mit allen Schwierigkeiten. Ich bin sehr beeindruckt und sehr verknallt in mein Ensemble."
"Hoffmanns Erzählungen" ist in Webers Deutung eine Abfolge von Alpträumen der Hauptfigur Hoffmann. "Wir wollten dafür unbedingt verschiedene Schauplätze, das war gar nicht so leicht." In Ermangelung praktisch aller Möglichkeiten, mehrere Bühnenbilder zu verwenden, hat Bühnen- und Kostümbildnerin Aída Leonor Guardia eine dreh- und fahrbare Wand konstruiert, die, je nach Position und Winkel, erstaunlich viele Bilder auf Lager hat.
Woanders, etwa in Bayreuth, besorgen solche Positionswechsel ferngesteuerte Motoren, hier machen das geheimnisvolle, bedrohlich wirkende Uniformierte - ein angemessen alptraumhafter Effekt. Nicole Claudia Weber: "Da haben wir, wie an vielen anderen Stellen, aus der Not eine Tugend gemacht."
Mainfranken Theater in der Blauen Halle: Die Spieltermine stehen bis 6. Januar fest, weitere sollen in Kürze bekanntgemacht werden.
Die nächsten Premieren: Jacques Offenbach, "Hoffmanns Erzählungen", So., 2. Oktober, 19.30 Uhr; "Sehnsuchtswild", Liederabend des Schauspielensembles, Sa., 15. Oktober, 19.30 Uhr; "Alice im Wunderland", Tanz, So., 30. Oktober, 18 Uhr.
Karten: Theaterkasse im Falkenhaus (Di.-Sa. 10-15 Uhr), Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de