Es ist eine Alptraumwelt, in der nur Blut und Rache zählen. Vincenzo Bellinis 1830 uraufgeführte Oper "Die Capulets und die Montagues" fußt nicht auf Shakespeares "Romeo und Julia", sondern auf der Tragödie "Giulietta e Romeo" von Luigi Scevola aus dem Jahr 1818. Shakespeare war zu dieser Zeit in Italien praktisch unbekannt. Das bedeutet: Mehr Politik, mehr Macht, mehr Hass, weniger Liebe, weniger Poesie. In der Handlung wohlgemerkt. Bellinis Musik hingegen ist erfüllt von unendlicher Wärme, Hoffnung, Sehnsucht und Hingabe.
In seiner ersten Regiearbeit für das Große Haus des Mainfranken Theaters (in diesem Falle die Blaue Halle) konzentriert sich Mario Pavle del Monaco denn auch auf die sozusagen systemischen Probleme der wohl berühmtesten Liebe der westlichen Kulturgeschichte. Also Julias Gefangensein in der toxischen Beziehung zum prügelnden Vater und Romeos fordernden Machismo.
Gespielt wird "I Capuleti e i Montecchi" in der Originalsprache mit deutschen Seitentiteln, und das häufige Auftauchen von Vokabeln wie "crudele" (Grausamer) oder "traditore" (Verräter) zeigt auch den weniger Italienischkundigen, wo die Schwerpunkte liegen.
Die Liebesgeschichte spiegelt schlüssigerweise die Umstände
Vor einem expressionistisch verzerrten Innenraum (Bühne: Catharina Bornemann) agiert das männliche Personal in mafioser bis paramilitärischer Ausstattung (Kostüme: Julia Katharina Berndt). Die Botschaft ist klar: Hier hat niemand allzu viel übrig für Gefühle, so sie nicht mit Gewalt, Ehre oder Bigotterie zu tun haben. Warum sich Tebaldo, der Anwärter von Vaters Gnaden auf Julias Hand, selbst geißelt, bleibt dennoch ein wenig rätselhaft.
Aus dieser Situation entwickelt Mario Pavle del Monaco also eine Liebesgeschichte, die schlüssigerweise die Umstände spiegelt. Kaum sind Romeo und Julia allein, setzen sie einander unter Druck: Du schuldest mir dieses, du schuldest mir jenes. Dass die Schlussszene dennoch von herzzerreißender Intensität ist, gehört zu den lustvollen Paradoxa der Oper: Es ist eben, wie es ist, die Musik erklärt das schon richtig.
Offenbar ist die schwierige Akustik der Halle doch zu meistern
In der Tat macht die Musik diese Produktion zu einem nahezu ungetrübten Belcanto-Fest. Schon die Ouvertüre zeigt das Orchester in Bestform. Es ist offensichtlich, wie tief vertraut Enrico Calesso mit der Partitur ist, er hat das Stück schon in Linz dirigiert. Blitzsaubere Streicher, wunderbar sichere Hörner und plastische Holzbläser beweisen, dass die Akustik der Halle offenbar doch zu meistern ist. Nur selten überdeckt der Graben die Bühne.
Akiho Tsujii und Anna Pennisi als Liebespaar ergänzen einander aufs Wunderbarste. Akiho Tsujiis müheloser, lupenreiner Sopran, ihr natürliches, inniges Spiel geben dieser so selbstzerstörerisch starrsinnigen Giulietta echte Kontur. Anna Pennisi (im Wechsel mit Marzia Marzo) versieht ihre Hosenrolle sparsam, aber gezielt mit maskulinen Attributen, ansonsten ist ihr warmer, tragfähiger Mezzo eine echte Bereicherung.
Roberto Ortiz (im Wechsel mit Matthew Habib) hat sichtlich Spaß an der Rolle des gemeinen, über und über tätowierten Tebaldo und wohl auch an den gemein hohen Spitzentönen, die allesamt sicher kommen. Hinrich Horn zeigt als Lorenzo einmal mehr, dass die Zeit für ihn reif wäre, eine richtig große Bariton-Partie zu übernehmen. Wunderbar klar und durchsetzungsfähig seine Einsätze. Igor Tsarkov als Giuliettas sadistischer Vater Capellio überzeugt zwar schauspielerisch, wird aber stimmlich eine gewisse Trägheit nicht los. Ihm täten ein direkterer Ansatz und weniger Vibrato gut.
Die weiteren Vorstellungen: 17., 20., 29. Oktober, 3. und 13. November. Karten-Tel. (0931) 3908-124 oder www.mainfrankentheater.de