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Rödelsee/Würzburg
Long Covid riss Pfleger Marcel Füller mitten aus dem Leben: "Ich hatte Angst zu ersticken"
Todesangst - Marcel Füller erlebte sie in vielen Situationen seiner Krankheit. Wie der 25-Jährige aus Rödelsee seit anderthalb Jahren mit Long Covid und den Folgen kämpft.
Lebt seit 1,5 Jahren mit Long Covid: Marcel Füller, Krankenpfleger aus Rödelsee (Lkr. Kitzingen), war nach einer Corona-Infektion über Monate ans Bett gefesselt und kämpft noch immer mit den Folgen.
Foto: Heiko Becker | Lebt seit 1,5 Jahren mit Long Covid: Marcel Füller, Krankenpfleger aus Rödelsee (Lkr. Kitzingen), war nach einer Corona-Infektion über Monate ans Bett gefesselt und kämpft noch immer mit den Folgen.
Sophia Scheder
Sophia Scheder
 |  aktualisiert: 28.06.2024 02:46 Uhr

Marcel Füller liebt seinen Job. Als Gesundheits- und Krankenpfleger versorgt und pflegt er kranke Menschen. Dass er selbst, eigentlich Stütze im Gesundheitssystem, mit gerade einmal 23 Jahren zum Patienten wird - er hätte es sich in den schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können. Bis vor zwei Jahren steht Marcel Füller mitten im Leben, hat viele Freunde und viele Träume. Sie zerplatzen mit der Krankheit Long Covid

Es ist April 2022, kurz nach Ostern, als sich das Leben des Krankenpflegers aus Rödelsee (Lkr. Kitzingen) schlagartig ändert. Nach einer Coronaerkrankung möchte Marcel Füller zum ersten Mal nach der Quarantäne die Wohnung verlassen. Er freut sich auf einen Spaziergang, endlich wieder frische Luft schnappen.

"Ich bin davon ausgegangen, dass ich rausgehe und das Leistungslevel habe wie vor der Diagnose", erzählt Füller. Der Dämpfe kommt schnell: "Schon nach 100 Metern war ich so kaputt, als wäre ich einen Marathon gelaufen." Daheim zurück sei er kaum mehr die Treppe zur Wohnung hochgekommen. Kraft und Luft fehlten: "Ich habe vorher viel Sport gemacht. Ich bin einen Marathon mit dem Mountainbike gefahren und war danach nicht so außer Atem wie bei dieser Treppe."

"Schon nach 100 Metern war ich kaputt, als wäre ich einen Marathon gelaufen."
Marcel Füller, Long Covid-Patient

Er habe das Gefühl gehabt, zu atmen - aber im Körper kommt kein Sauerstoff an. "Ich hatte Angst, zu ersticken", sagt der 25-Jährige im Rückblick. Dass dies erst der Anfang einer langwierigen Krankheit sein wird, die bis heute nicht ausgeheilt ist, ahnt er nicht.

Unzählige Stunden, in denen er ans Bett gefesselt ist, folgen. Oft liegt Füller im abgedunkelten Zimmer, weil jeder Reiz zu viel wäre. Lungenüberblähung, multiple Entzündungen, eine Spastik und Herzprobleme stehen in seinen Arztberichten. Erst nach Monaten gibt der Neurologe mit seiner Diagnose dem jungen Pfleger die Gewissheit: Long Covid. 

Freundschaften zerbrechen, auch die Familie wendet sich ab

Marcel Füller erhält Cortison, seine Atmung wird nach und nach wieder besser. Erst dann fällt ihm auf, welche Einschränkungen er hat: "Wenn man die ganze Zeit bei der Atmung ums Überleben kämpft, blendet man andere Symptome aus", sagt der 25-Jährige. Probleme mit der Feinmotorik, Erinnerungslücken und Konzentrationsschwierigkeiten zählen zu seinen Krankheitszeichen. So müssen sich Patienten mit beginnender Demenz fühlen, denkt er sich. 

Spazieren gehen, Luft schnappen: Für Marcel Füller lange Zeit unmöglich. Der junge Krankenpfleger hatte als Long Covid-Patient massive Beschwerden - und Existenzängste.
Foto: Heiko Becker | Spazieren gehen, Luft schnappen: Für Marcel Füller lange Zeit unmöglich. Der junge Krankenpfleger hatte als Long Covid-Patient massive Beschwerden - und Existenzängste.

Und dann sind da noch die anderen Folgen, die seelischen. Zukunftsängste plagen den Rödelseer. Sozial sei er an einem Tiefpunkt gewesen, sagt Füller: "Ich habe meinen kompletten Freundeskreis verloren." Freundschaften könnten nur bestehen, wenn man in Kontakt bleibt. Doch zu diesem Zeitpunkt bedeutet jegliche soziale Interaktion für ihn einen enormen Kraftakt. 

Auch der Kontakt zur Familie lässt nach. Er habe sich damals nicht verstanden, nicht unterstützt gefühlt: "Sie haben mir zwar nicht unterstellt, dass ich blau machen würde, so wie es meine Arbeitskollegen gemacht haben. Doch sie haben den Ernst der Lage nicht verstanden." In den sozialen Kanälen sei er angefeindet worden, sagt Füller. "Das war echt krass. Die haben mein Leben zeitweise zur Hölle gemacht."

Berufsunfähigkeitsversicherung weigert sich zu bezahlen

Den kompletten Sommer 2022 verbringt der damals 23-Jährige nur in der Wohnung. An Arbeiten ist nicht zu denken, er kämpft mit finanziellen Sorgen. Zwar hat der junge Pfleger bereits mit 18 Jahren eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, doch sie weigert sich zu bezahlen. 

Wie Marcel Füller gehe es vielen Long-Covid-Patienten, erklärt Dr. Alexander Lang, Fachanwalt für Medizinrecht bei der Kanzlei Steinbock aus Würzburg. Er habe laufend Fälle, in denen die Versicherung bei Long Covid-Patienten nicht zahlen wolle, sagt Lang.

Vor allem zu Beginn habe es große Probleme gegeben: "Fachärzte konnten da mit dem Thema noch nichts anfangen. Deshalb wurden keine greifbaren Diagnosen gestellt und den Patienten haben die benötigten fachärztlichen Atteste gefehlt", sagt der Anwalt. Mittlerweile sei dies etwas besser geworden.  

Der Medizinrechtsexperte und Anwalt Dr. Alexander Lang hat viele Mandanten mit Long Covid-Erkrankung.
Foto: Thomas Obermeier | Der Medizinrechtsexperte und Anwalt Dr. Alexander Lang hat viele Mandanten mit Long Covid-Erkrankung.

In Marcel Füllers Fall habe die Versicherung argumentiert, die Gesundheitsfragen seien bei Vertragsschluss nicht richtig beantwortet worden. Das komme häufiger vor, sagt der Medizinrechtsexperte. "In Situationen, in denen der Mandant eh schon gesundheitlich angeschlagen ist, kann er diesen zusätzlichen Stress natürlich nicht gebrauchen."

Erst 1,5 Jahre nach Beginn der Long Covid-Erkrankung gibt es erste Fortschritte

Erste Verbesserungen merkt Marcel Füller im Herbst 2023, fast anderthalb Jahre nach der Corona-Infektion. Er liegt nicht mehr den ganzen Tag im Bett, nach und nach kann er kurze Spaziergänge machen. Alle Symptome sind zwar noch da, doch sie werden schwächer. Ein Erfolgserlebnis: "Das erste Mal wieder Spülmaschine ausräumen." Er sei zeitweise so bettlägerig gewesen, dass er selbst die kleinsten Aufgaben im Haushalt nicht schaffte.  

"Das erste Mal wieder Spülmaschine ausräumen."
Marcel Füller über ein Erfolgserlebnis während der Krankheit

Heute, Mitte 2024, gehe es ihm besser, sagt Marcel Füller. Arbeiten könne er zwar nach wie vor nicht, doch er wolle bald die Wiedereingliederung beginnen. Wie er in die Zukunft blickt? Hoffnungsvoll. "1,5 Jahre lang hatte ich keine Hoffnung, weil ich keine Erfolge gesehen habe. Jetzt, nachdem es mir mehrere Monate besser geht, bin ich optimistischer."

Der Rödelseer will wieder als Gesundheits- und Krankenpfleger arbeiten. Long Covid, sagt er, habe ihm nochmal deutlicher gezeigt, wie wichtig sein Job ist. Die Klage, die Anwalt Alexander Lang für ihn entwarf, hatte übrigens Erfolg: In diesem Frühjahr gab Füllers Versicherung nach. Sie zahlt dem 25-Jährigen die Berufsunfähigkeitsrente rückwirkend für zwei Jahre. 

Was ist Long Covid?

Wie Long Covid entsteht, ist noch immer nicht genau bekannt. Nach aktuellem Stand der Forschung kann jede Person, die sich mit dem Coronavirus ansteckt, die Erkrankung entwickeln. Die Beschwerden können sehr unterschiedlich sein. Manche Betroffene haben nur leichte Einschränkungen, andere sind in ihrem Alltag massiv eingeschränkt.
Eine sehr häufige Beschwerde ist laut Bundesgesundheitsministerium die "Fatigue". Diese bezeichnet eine starke, anhaltende Schwäche und schnelle Erschöpfung oder Müdigkeit. Manche Betroffene berichten auch von einer Belastungsintoleranz. Dabei verschlimmern sich Beschwerden bereits nach leichter körperlicher oder geistiger Anstrengung.
Laut Robert Koch-Institut kann die Häufigkeit von Long Covid noch nicht verlässlich geschätzt werden. Insbesondere fehle es bislang an repräsentativen, kontrollierten Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit.
Quelle:  Bundesgesundheitsministerium, RKI
 
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  • Rita Orf
    Ich hatte Marcel, als er noch Auszubildender war, im Nachtdienst und habe ihn in guter Erinnerung behalten - er war interessiert, engagiert und war generell professionell im Umgang, auch ließ er sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen (es war ein eher stressiger Dienst). Ich hoffe, dass er beruflich wieder Fuß fassen kann, da es sehr schade wäre jemanden wie ihn für den Pflegebereich zu verlieren.

    Auch Hut ab für die Voraussicht, die er bereits als Achtzehnjähriger durch den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung bewiesen hat.

    Susanne Orf
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  • Georg Ries
    Ich befürchte, dass es jetzt hier wieder wegen Impfung rund geht 👎🏼. Fakt ist, dass der junge Mann schwer erkrankt ist und sehr schwierige Zeiten durchmacht. Ich drücke ihm die Daumen, dass er ganz gesund wird und wieder seiner "Berufung" nachgehen kann! Alles Gute!!!! 🍀🐞
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  • Kai-Uwe Patz
    Die Impf-Diskussion würde ich hier nicht aufkommen lassen. Er hat im medizinischen Bereich gearbeitet, die damals gültige Schulmedizin hat die Impfung mehrheitlich für sinnvoll gehalten - also wird er geimpft gewesen sein. Ich würde hier sehr gerne die Versicherung an den Pranger stellen. Die kassieren ohne mit der Wimper zu zucken Jahre lang erhebliche Beiträge um dann zu sagen, irgendein Formular sei nicht korrekt ausgefüllt gewesen (nichts anderes bedeutet die Antwort). Das ist eine bodenlose Unverschämtheit!
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  • M. Schiessl
    Vermutlich ist der junge Mann auch Corona geimpft,denn im Gesundheitswesen wurde auch massiv Druck durch Arbeitgeber auf diejenigen Pflegekräfte ausgeübt, die sich KEINE Covid-Impfung geben lassen wollten, was ja auch ihr gutes Recht war. Das kann ich aus eigener Familie berichten,der AG der Pflegekraft in unserer Familie ist ein regionaler AG und da wurde es leider so gehandhabt. und er ist mit der Erkrankung kein Einzelfall, denn die Pflegekraft in unserer Familie ist, amtlich bestätigt, durch die Coronaimpfung körperlich geschädigt worden und auch eine folgende Coronaerkrankung hatte einen schwereren Verlauf als bei ungeimpften Mitgliedern in unserer Familie. Fakt für mich ist, dass gelernt werden muss, offen darüber sprechen zu dürfen. Die betroffenen Menschen sind gesundheitlich und seelisch stark belastet und das belastet auch das Umfeld. Ich bin dafür einen sehr viel wertschätzerenden Umgang und möchte auch andere Betroffene ermutigen,offen über solche Folgen zu kommunizieren.
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  • Ingrid Reichelt-Schölch
    M. Schiessl, gut, dass Sie das hier aufgreifen. Ich habe mich auch impfen lassen, rein aus Solidaritätsgründen, im wesentlichen keine wirklich zuzuordnen Schäden, kann aber, aufgrund anderer Probleme nach einer sehr viel früheren, heute längst in D. ausgestorbenen Viruserkrankung mit erst nach Jahrzehnten erkannten Folgen das gut nachvollziehen.
    Grauenvoll, neben den Beschwerden jetzt in jungen Jahren abseits zu stehen.
    Zudem steht man meist vor zuerst vor nachsichtig-überheblich lächelnden Ärzten! Man hätte viel mehr tun müssen, wohl schon damals eine Geldfrage, KVs zahlen nicht alles.
    Bei den COVID- Fällen lese ich oft bei ganzheitlich, teils zusätzlich naturheilkundlich behandelnden Ärzten im Netz viele Hinweise/Bedauern, was verpennt wurde. Es gibt wohl auch da Möglichkeiten, die die GKVs nicht zahlen. Wenn der junge Mann nun finanziell etwas Luft hat, kann er sich da vlt. grundinformieren? QS24, Schweizer Gesundheits-TV eine breitgestreute seriöse Quelle. Marcel alles Gute!
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  • Wolfgang Schöller
    Natürlich wünsche ich Herrn Füller gute Besserung. Ich hatte selbst, wiewohl zum Infektionsbeginn zweimal geimpft, eine Covid-Infektion und habe seither Schwierigkeiten mit dem Hören. Nur so aus Interesse und weil es nicht erwähnt wird: War Herr Füller denn geimpft? Dass Versicherungen lieber Prämien einstreichen anstatt Ihre Versichertnverträge zu erfüllen ist leider keine Seltenheit.
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  • Fabian König
    Dito, und mich würde interessieren, welche Versicherung das war.
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  • Sophia Scheder
    Guten Tag Herr Schöller,
    ja, Herr Füller ist geimpft.

    Viele Grüße aus der Redaktion
    Sophia Scheder
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