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Würzburg/Lichtenfels/Kiew
Kriegsreporter Till Mayer auf dem Weg in die Ukraine: Warum das Land ihn so bewegt
Seit Jahren reiste der Franke immer wieder in den Donbass und dokumentierte "Europas vergessenen Krieg". Jetzt fährt er wieder zu den Menschen dort. Was er Deutschland vorwirft.
Reist seit vielen Jahre immer wieder in die Ukraine um 'Europas vergessenen Krieg' im Donbass zu dokumentieren: Journalist und Fotograf Till Mayer.
Foto: Till Mayer | Reist seit vielen Jahre immer wieder in die Ukraine um "Europas vergessenen Krieg" im Donbass zu dokumentieren: Journalist und Fotograf Till Mayer.
Till Mayer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:44 Uhr

Am Stadtrand von Awdijwka hat Donald Duck seinen Kopf verloren. Etwa 500 Meter entfernt vom Minenfeld. Die Augen schielen in den Himmel. Dahinter stehen im Kreis und in Beton gegossen die sieben Zwerge. Einer davon sitzt auf dem Töpfchen. Seine Farbe blättert ab, der Nachbar ist ein Zwerg mit abgebrochener Nase. Drei Kinder streichen über den aufgelassenen Spielplatz. Sie gucken interessiert auf den Mann mit der Kamera, dann haben sie mich im Spiel schnell vergessen. Nicht weit entfernt, vor einer halb verfallenen Mauer, steht eine überdimensionierte Kanone als Klettergerät.

Das ist spannender.

Es ist wenige Tage vor der großen Invasion, als ich das Trio sehe. Alle drei Kinder wissen, wie das Bellen eines Maschinengewehrs klingt, die dumpfe Explosion einer Granate. Seit fast acht Jahren wird in den Vororten ihrer Stadt gekämpft. Sie können sich an keine Zeit erinnern, in der das anders war. Die Eltern haben ihnen sicherlich eingeschärft, ja nicht in das nahe Minenfeld zu laufen. Und sie hatten oft Angst, dass eine fehlgeleitete Granate in den Kindergarten oder die Schule einschlagen könnte. Wenn die Kämpfe wieder einmal anschwollen.

Eine Aufnahme von Herbst 2017, aus Till Mayers Buch über Europas vergessenen Krieg: Ein ukrainischer Soldat im Frontabschnitt Promka mit einem Maschinengewehr.
Foto: Till Mayer | Eine Aufnahme von Herbst 2017, aus Till Mayers Buch über Europas vergessenen Krieg: Ein ukrainischer Soldat im Frontabschnitt Promka mit einem Maschinengewehr.

Die Angst ist jetzt begründeter denn je. Gekämpft wird zum Beispiel in der Promka. Dort war ich zum ersten Mal mit meiner Kamera an der Front im Donbass. 2017 war das, seit dem berichte ich regelmäßig von einem bis vor kurzem vergessenen Krieg. Heute droht er, die Ukraine, vielleicht die ganze Welt, in den Abgrund zu ziehen.

Die Promka ist das ehemalige Industrieviertel von Awdijwka. Ein verstörendes Gewirr von Schützengräben, das die ukrainischen Soldaten durch die Ruinen gehackt haben. Auf der anderen Seite sind die Gräben der Separatisten.

"Von mir interviewte Soldaten starben an der Front. Das ging mir ans Herz."
Till Mayer über die Begegnungen auf seinen Reisen

Ich war erschrocken, als ich das zum ersten Mal sah. Mitten in Europa passierte das. Bilder, die wie aus der Zeit gefallen scheinen. Endlose Gräben, Maschinengewehr-Stellungen, Sandsäcke, grobe Bretterwände, Zerstörung. Immer mehr Reisen kamen hinzu. Von mir interviewte Soldaten starben an der Front. Das ging mir ans Herz. Ein Foto, das ich von einem Kämpfer machte, ist jetzt in Lebensgröße auf seinem Grabstein eingraviert.

Ich kam dem Krieg, besser den Menschen, die ihn überleben mussten, immer näher. Den alten Menschen, die in halb verlassenen Dörfern nahe der Front geblieben sind. Den tapferen Arbeitern einer Kokerei, die wieder eine kleine Fußball-Liga gegen die Trostlosigkeit aufbaut. Den Soldaten in ihren Stellungen.

Ein Bild aus dem Januar 2018: Im kalten Winter im Donbass harrt ein ukrainischer Soldat in seinem Unterstand im Schützengraben aus.
Foto: Till Mayer | Ein Bild aus dem Januar 2018: Im kalten Winter im Donbass harrt ein ukrainischer Soldat in seinem Unterstand im Schützengraben aus.

Bis heute frage ich mich, warum dieser Krieg in Deutschland so in Vergessenheit geriet. Warum die Empathie, das Interesse so fehlte. Warum wir so seltsam schweigsam waren. Einmal stand ich vor rund 120 angehenden fränkischen Abiturientinnen und Abiturienten und hielt einen Vortrag. Keinem halben Dutzend Jugendlichen war der Krieg in der Ostukraine überhaupt bekannt.

2014 annektierte Russland völkerrechtswidrig die Krim. Dann trug der russische Präsident Wladimir Putin mutwillig den Krieg in den Donbass. Es passierte nicht viel. Ein wenig Embargo, schwach dosiert. Wir gewöhnten uns an einen vor sich hinköchelnden Stellungskrieg. Vergaßen ihn schnell. Und übersahen dabei, dass der sich so nahe in einem Nachbarland der EU abspielt.

Putin und die Ukraine: Wir hörten weg

Wir hörten weg, als Putin im Sommer vergangenen Jahres in einem Essay die Staatlichkeit der Ukraine in Frage stellte. Den Ukrainern schlicht absprach, überhaupt eine Nation zu sein. Putin verändert in Europa bestehende Grenzen mit Gewalt. Er hat das bereits 2014 getan, und jetzt greift er nach noch mehr. Wir wollten vor der Invasion nicht erkennen, dass das eine unfassbare Gefahr für uns alle bedeutet. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir es jetzt in all seiner Tragweite verstanden haben.

Putin und Syrien: Wir blieben sprachlos

Schon Jahre zuvor blieben wir sprachlos, als Putin seinem Verbündeten half, in Syrien ganze Städte in Schutt und Asche zu legen. Millionen zu Flüchtenden machte.

Putin ist ein lupenreiner Imperialist, der Russland zu einer aggressiven und totalitären Großmacht aufgebaut hat. Seine Wagner-Söldner sind bis in die Zentralafrikanischen Republik im Einsatz. Auch das wurde mir persönlich erst bewusst, als ich dort auf einer Recherche-Reise war. Das afrikanische Land liegt zu weit abseits, ist zu vergessen: Aber es steckt voller Bodenschätze.

Kurz, die Nato ist für die Supermacht Russland keine militärische Bedrohung. Aber sie entzieht Ländern wie der Ukraine Putins Einfluss, weil sie Schutz bietet. Auf Russlands Garantien kann und konnte die Ukraine nicht bauen. 1994 gaben die Ukrainer ihre Atomwaffen an Russland ab. Zu diesem Zeitpunkt besaß die Ukraine das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt. Dafür erhielt der osteuropäische Staat weitgehende Sicherheitsgarantien vom großen östlichen Nachbarland. Die Unverletzlichkeit der Grenzen gehörte dazu. Zehn Jahre später brachen die Russen ihren Vertrag.

Die Annexion der Krim hätte ein wirklich durchgreifendes Embargo gebraucht. Vielleicht würden dann heute nicht russische Panzer durch die Ukraine rollen. Stattdessen gibt es bis dato immer noch Verständnis für das koloniale Denken eines, man kann ihn nun nicht mehr anders bezeichnen, rücksichtslosen Diktators. Deutschland hatte bis zur aktuellen Invasion bei den Ukrainerinnen und Ukrainern ein extrem hohes Ansehen. Wir haben mit unserer Zögerlichkeit viel davon verspielt.

"Ich schäme mich dafür, wenn mir jetzt meine Freunde Nachrichten senden."
Till Mayer über die deutsche Zögerlichkeit

Ich schäme mich dafür, wenn mir jetzt meine Freunde Nachrichten senden. Es sind Nachrichten von Flucht, Angst, Tot, Zerstörung und zum Glück auch Mut. Aber die Demonstrationen in Deutschland machen meinen Freunden in der Ukraine Mut. Nur schade, dass sie nicht vor der Invasion stattfanden. Auch die Kehrtwende der Bundesregierung zu Waffenexporten kommt in dem bedrohten Land natürlich gut an.

Mit Freunden habe ich noch vor einigen Tagen in Kiew in einem netten Restaurant zusammen gegessen und getrunken. Jetzt hören sie die Einschläge der Granaten und Raketen näher kommen. Nachts heulen die Sirenen.

Viel gewagt, viel geopfert: Wir können vom Mut der Menschen in der Ukraine viel lernen

Eine gute Freundin sitzt mit ihrem herzkranken Vater im mittlerweile völlig verwaisten Wohnblock, ein anderer Freund kämpft vielleicht gerade in diesem Augenblick. Putin hatte auf einen Blitzkrieg mit Blitzsieg gehofft. Die Ukrainer wehren sich, so tapfer, wie ich sie kennen gelernt habe. Der Autokrat in Moskau hat sie unterschätzt. Für die Demokratisierung ihre Landes haben sie viel gewagt und geopfert. Den Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer habe ich immer bewundert.

Donbas in der Ukraine, im Sommer 2019: Ein Soldat mit einem Bilderbuch in einem zerstörten Vorschulklassenzimmer in Shyrokyne. Der Küstenort war durch Kämpfe weitgehend zerstört worden.
Foto: Till Mayer | Donbas in der Ukraine, im Sommer 2019: Ein Soldat mit einem Bilderbuch in einem zerstörten Vorschulklassenzimmer in Shyrokyne. Der Küstenort war durch Kämpfe weitgehend zerstört worden.

Wir könnten viel von ihm lernen. Solche mutige Menschen braucht Europa. Lassen wir sie nicht alleine. Sonst sind wir es eines Tages, wenn Putins Hunger nicht mit der Ukraine gestillt ist.

Über den Autor Till Mayer

Redakteur Till Mayer berichtet seit 2007 aus der Ukraine. Seit fünf Jahren ist der Krieg im Osten des Landes für den oberfränkischen Reporter und Fotografen ein Langzeitprojekt. Im Erich-Weiß-Verlag ist sein Bild- und Reportagenband "Donbas – Europas vergessener Krieg" erschienen. Für seine Reportagen wurde Till Mayer mehrfach ausgezeichnet. Gerade ist er wieder in die Ukraine aufgebrochen - und wird aktuell für diese Redaktion von dort berichten.
 
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Kommentare
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  • manfred-englert@hotmail.de
    Sie treffen mit Ihren Äußerungen den Nagel auf den Kopf!! Und ja, wir hatten mal einen sehr gutenRuf im Orient und auch dort in der Ukraine, den wir mit der Ablehnung Waffen zu liefern mit einem Schlag zerstörten!!!
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  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
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