Sie sind diejenigen, die zurück bleiben, wenn das Gewehrfeuer verstummt ist, wenn die letzten Granaten verschossen und die Schlachtfelder geräumt sind: körperlich und seelisch verletzte Menschen in den Kriegs- und Krisenregionen der Welt. Sie haben Gliedmaßen verloren, sind krank und leiden unter psychischen Störungen, müssen sich langsam in so etwas wie ein normales Leben zurückkämpfen, was oft nicht gelingt.
Der Bamberger Till Mayer, 46, ist Redakteur beim "Obermain-Tagblatt" in Lichtenfels, das zur Mediengruppe Main-Post gehört. Mayer arbeitet seit vielen Jahren als Journalist und Fotograf eng mit dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond, mit Handicap International und anderen Hilfsorganisationen zusammen. Er bereiste zahlreiche Kriegs- und Krisenländer sowie Katastrophengebiete Afrikas, Asiens und Europas, interessiert sich für die Menschenschicksale, die der Krieg hinterlässt. Mit der Kamera porträtiert er ehemalige Soldaten ebenso wie zivile Opfer, verletzte Kinder und Familien, die auseinander gebrochen sind.
Die Fotos Till Mayers sind in der Ausstellung "Barriere:Zonen" zu sehen, die zurzeit im Würzburger Weltladen läuft: Anlass zu einem Gespräch.
Till Mayer: Kriegsporter ist jemand, der direkt an der Front ist. Das bin ich bei einigen Projekten auch, zum Beispiel wenn ich im Donbas (Krisenregion im ukrainisch-russischen Konflikt - d. Red.) arbeite. Aber sonst mache ich schon eher die Hintergrundgeschichten in den Konfliktgebieten. Ich komme oft dann, wenn die Mainstream-Kollegen längst gepackt haben.
Mayer: Menschen mit Behinderungen leiden am meisten unter einem Konflikt. Sie sind eine bedürftige und oft völlig schutzlose Gruppe in einem Konflikt. 1996 war ich in Afghanistan, als ich dort davon hörte, wie eine Gruppe Behinderter ins Sperrfeuer der Taliban rannte, einige starben. Die Betreuer waren geflohen, um ihren eigenen Familien beizustehen. Damals habe ich gemerkt: Das ist ein Thema, das kaum aufgegriffen wird. Dann habe ich auch viel mit Minen-Überlebenden zu tun gehabt und habe meine journalistische Arbeit auf diesem Gebiet ausgeweitet.
Mayer: Ganz unterschiedlich. Manchmal läuft das über die Organisationen, mit denen ich zusammenarbeite, zum Beispiel Handicap International. Von dort bekam ich eine Geschichte in Nepal: ein Mädchen, das eine Tänzerin geworden ist, obwohl sie eine Prothese hat. Dann frage ich bei den Kollegen von Spiegel Online an, für die ich arbeite, ob sie an dieser Geschichte interessiert sind. Oder greife Themen auf, die zu wenig Beachtung finden. Die Ukraine zum Beispiel ist ein Land, mit dem ich mich seit zehn Jahren beschäftige. Und da war für mich klar, dass ich auch aus dem Donbas berichten will. Mittlerweile ist der Konflikt dort ja fast vergessen, obwohl er mitten in Europa stattfindet. Mir geht es dort auch nicht um eine politische Wertung, sondern ich zeige einfach, was dieser Krieg für die Menschen, die direkt an der Frontlinie leben, bedeutet.
Mayer: Wenn ich mit Organisationen zusammenarbeite, also beispielsweise mit Handicap International oder dem Roten Kreuz, dann treffen diese oft eine Auswahl der Interviewpartner, einfach deshalb, weil die Person, mit der ich dann spreche, ja auch stabil sein muss. Im Irak war ich bei einer Familie, wo drei Wochen zuvor die Mutter und ein Kind gestorben waren, was die anderen Kinder noch gar nicht wussten. Der Vater wollte trotzdem seine Geschichte erzählen, aber man muss sich eben sicher sein, dass er das auch selbst verkraftet, was er mir erzählt. Wenn der Kontakt über Organisationen zustande kommt, ist auch die Vertrauensbasis gut. In der Westukraine ist es schon fast wie im Lokaljournalismus, da kommen die Leute inzwischen von selbst auf mich zu. Im Donbas reise ich immer mit einem ukrainischen Fotografenkollegen, der früher selbst gekämpft und dann das Gewehr gegen eine Kamera eingetauscht hat.
Mayer: Das ist eine Frage des Respekts. Ich mache erst das Interview und dann die Fotos. Da merken die Menschen anhand der Fragen, dass ich sie als Menschen sehe und dass es mir nicht nur um eine Geschichte geht.
Mayer: Das ist sehr unterschiedlich. Ich möchte ja auch nicht, dass die Betrachter der Bilder die Ausstellung mit Depressionen verlassen und den Mut verlieren. Die Porträtierten sind im Grunde ja sehr mutige Menschen, weil sie schwere Schicksale haben und trotzdem das Beste daraus machen. Das hilft einem persönlich auch für das eigene Leben. Und das zeigt sich oft auch in den Bildern.
Mayer: Es gibt schon Sachen, die man selber erst mal verdauen muss. Zum Beispiel die bereits erwähnte Geschichte aus dem Irak. Als der Vater erzählte, mussten die Kinder hinausgehen. Er erzählte mir dann von seiner Frau und dem Kind, die beide durch eine Sprengfalle des IS getötet wurden, ein weiteres Kind war durch einen Splitter verletzt worden. Diese Sprengfallen waren eine Spezialität des IS, um die Leute an der Flucht zu hindern und als menschliche Schutzschilde verwenden zu können. Das war auch für mich schwer zu verarbeiten. Aber grundsätzlich braucht man eine gewisse Distanz, wie zum Beispiel ein Arzt in der Onkologie auch, der es mit dem Tod eines jungen Menschen zu tun hat.
Mayer: Ja, teilweise. Barry Romo zum Beispiel ist ein Vietnam-Veteran. Er hat sechs Menschen töten müssen und und leidet unter einem Kriegstrauma. Der ist ein wichtiger Freund von mir geworden, der sogar eine Ausstellung von mir eröffnete. Und er hilft mir auch, wenn es um Reportagen über aktuelle Kriegsveteranen geht, die ja oft 22- oder 23-jährige junge Leute sind. Da ist es dann wichtig, dass man auch jemanden hat, der einem die Türen öffnet und für einen bürgt. In der Ukraine sind auch Freundschaften entstanden, die dann zum Teil neue Geschichten hervorbringen. Bei den meisten gibt es hinterher aber keinen Kontakt mehr. Es sind ja inzwischen auch Hunderte Menschen.
Mayer: Die Ausstellung startete 2014 und war quer durch die Bundesrepublik rund 50 Mal zu sehen. Aber es kamen auch neue Interviewpartner dazu. Eine neue Ausstellung ist derzeit in Arbeit.
Mayer: Es geht um ein ähnliches Thema, um die internationale Kampagne "Stop Bombing Civilians!". Da geht es um Menschen, deren Leben Bomben- und Granateneinschläge veränderten. Das sind einerseits ganz aktuelle Geschichten von Konflikten, die jetzt gerade stattfinden: Kongo, Irak, Palästina. Aber dazu gehört auch das Porträt einer 98-jährigen Krankenschwester, die die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg miterlebt hat. Die Zielgruppe sind hier besonders junge Menschen, weil bei ihnen der Abstand zum Krieg immer größer wird, was natürlich schön ist, aber eben auch gefährlich. Frieden kann schnell vorbei sein, um dieses Bewusstsein geht es. Auch in der Ukraine hätte sich zur Europameisterschaft 2012 niemand denken können, dass mal ein Krieg kommt.
Mayer: Die Ausstellung soll vor allem ein Anstoß zum Nachdenken sein, besonders für junge Menschen. Und ein Anstoß für politisches Denken, das ist ganz wichtig für unsere Demokratie.