Wenn man sich mit Alexandra Darian unterhält, hört man Stärke, Selbstbewusstsein und Kraft in ihrer Stimme. Kein Schluchzen, kein Weinen, sondern Kontrolle. Und das, obwohl ihr derzeit fast jeglicher Halt in ihrem Leben genommen wird. Alexandra Darian ist in der Ukraine geboren und aufgewachsen. Seit einem halben Jahr lebt die 24-Jährige in Würzburg. Von dort muss sie nun die erschütternden Bilder ihrer Heimat sehen. Sie blickt auf ein zerbombtes Kiew, ihre Heimatstadt in der sie so viele Jahre gelebt hat und mit der sie zahlreiche Erinnerungen verbindet. Nun verbindet sie damit vor allem Sorge um ihre Familie und Freunde.
Sie lebt in Würzburg, doch die Verbindungen in ihre Heimat bleiben
"So viele wunderschöne Städte sind vernichtet, dieser Anblick tut sehr weh", sagt sie im Gespräch mit der Redaktion. Trotzdem wirkt sie gefasst. Das hat einen Grund: Sie möchte all ihre Kraft sammeln, um die Menschen aus ihrer Heimat, die nicht wie sie das Glück haben, in Deutschland zu leben, mental unterstützen. "Ich sorge mich nicht um mich, ich sorge mich um sie."
Alexandra Darian ist berufliche Geigerin. 2015 zieht sie von Kiew nach Nürnberg, um dort Musik zu studieren. Sie lernt ihren jetzigen Mann kennen und lieben und bleibt in Deutschland. 2021 zieht es sie nach Würzburg. Doch die Verbindungen in ihre ukrainische Heimat bleiben. Freunde und Familie leben dort. Zudem ist sie seit 2020 Direktorin des Jugendsinfonieorchesters der Ukraine. Mindestens ein Mal im Monat war sie dafür in Kiew, das ist nun nicht mehr möglich. Im Namen des Orchesters veröffentlichte sie vor wenigen Tagen einen Friedensaufruf.
"In den letzten Jahrzenten seiner Regierung hat der Diktator in Russland einen Polizeistaat aufgebaut - aber das werden die Ukrainer nie werden!", ist unter anderem darin zu lesen. "Sie wollen jetzt das ukrainische Militär und die Großstädte vernichten, um später dort russische Marionetten einzusetzen. Aber das werden sie nie schaffen. Weil wir da sind – eine neue starke Generation, die keine Gewalt mehr ertragen wird!"
Für viele war der Krieg im eigenen Land nicht vorstellbar
Musik ist Darians Leben, doch derzeit überwiegen die Sorgen um ihre Lieben. "Ich bin ständig in Kontakt mit ihnen", erzählt sie. Kürzlich sprach sie mit Jugendlichen des Orchesters über Zoom. Sie alle sind zwischen 14 und 20 Jahre alt. Anstatt über den ersten Kuss, die Noten in der Schule oder das nächste Konzert zu diskutieren, sprachen sie nun über den Krieg. Über den Krieg im eigenen Land. Für viele war dies nicht vorstellbar, berichtet Darian. Nun ist es grausame Realität, und das vor der eigenen Haustüre.
Ob sie nun versuchen zu fliehen? "Das ist nicht so einfach", sagt Darian. Damit meint sie nicht die Flucht an sich, sondern den Schritt, sich dazu zu entschließen. "Es ist hart, alles, was man hat, alles, was man sich all die Jahre aufgebaut hat, einfach zu verlassen." So bleiben ihre eigenen Eltern vorerst in Kiew. Darians Vater habe sich dazu entschlossen, seine Stadt zu verteidigen. Einige Familienmitglieder haben sich bereits Waffen besorgt. "Fliehen ist gut, aber nicht die einzige Option", sagt sie. Sie klingt stolz.
In diesen Tagen checkt Darian regelmäßig die Nachrichten und informiert sich, was in ihrer Heimat gerade geschieht. Es sei zwar schwierig aus der Ferne zu helfen, dennoch versuche sie alles Mögliche, um ihr Heimatvolk zu unterstützen. So organisiert sie derzeit medizinische Hilfe von Deutschland aus. "Apotheken und Lager wurden zerbombt, medizinische Utensilien sind Mangelware", erklärt sie. Sie sammelt Sachspenden aus Krankenhäusern, Arztpraxen oder Pflegeheimen, um sie sicher per Lkw in Richtung Ukraine bringen zu lassen. Die Not sei groß, weiß sie. "Es ist kompliziert."
Zur Trauer kommt die Wut
Sie versucht stark zu sein. Aber wenn sie es mal schafft, mit ihren Eltern zu telefonieren, kommen ihr dann doch die Tränen. "Mama weinen zu hören, ist schrecklich." In den ersten Tagen des Krieges sei es besonders schlimm gewesen.
Hinzu kam Wut. Nicht nur auf die russische Regierung und den grausamen Diktator Putin, sondern auch auf Europa. "Ich hatte das Gefühl, dass es allen egal ist, was da in meinem Land geschieht." Sie kritisiert die zögerliche Unterstützung aus Deutschland. Doch nun sei "die ganze Welt aufgewacht", sagt sie. Für die nun erfolgten Hilfen an die Ukraine sei sie dankbar.
Ihre Hoffnungen für die Zukunft sind groß. Der Krieg werde nicht länger als ein paar Wochen dauern, ist die Musikerin überzeugt. "Die russische Wirtschaft wird durch die Sanktionen zerstört." Doch bis dahin sei jeder getötete Soldat, jede getötete Soldatin ein verlorenes Menschenleben zu viel. Gerecht sei das nicht. Doch um es mit den Worten des amerikanischen Komikers Groucho Marx zu sagen: "Gerechtigkeit im Krieg hat mit Gerechtigkeit so viel zu tun wie militärische Musik mit Musik."