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Würzburg
Kommentar: Hören wir auf, in die Skandalfalle zu tappen, der nächste Bierzelt-Aufreger kommt bestimmt
Müssen wir jetzt bei jedem neuen Bierzelt-Schlager das Sexismus-Radar anwerfen? Bloß nicht, meint unser Autor, das ist genau das, worauf die Produzenten hoffen.
Festzelt-Bild vom Festzelt-Bild-Machen im Festzelt: In Würzburg läuft das Kiliani-Volksfest - mit vielen Schlagern und Bierzelt-Gesängen.
Foto: Ulises Ruiz | Festzelt-Bild vom Festzelt-Bild-Machen im Festzelt: In Würzburg läuft das Kiliani-Volksfest - mit vielen Schlagern und Bierzelt-Gesängen.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:18 Uhr

Es gibt im Unterhaltungsgeschäft seit Jahrhunderten eine eiserne Regel: Das beste, was passieren kann, ist ein Skandal. Einen Skandal provoziert man, indem man vorsätzlich und wohlberechnet Grenzen über- oder, besser noch, unterschreitet. Grenzen der Qualität, des Geschmacks, der Toleranz. Wenn es richtig gut läuft, kassiert man sogar ein Verbot. Dann kann man unter dem Banner der Empörung Kunst- und Meinungsfreiheit einfordern und sich anschließend gemütlich in die Opferecke zurückziehen. Ab jetzt prasselt die Gratis-PR nur so herein.

Man kann das gut finden oder nicht, aber so funktioniert das Geschäft nun mal. Man konnte das im vergangenen Jahr sehr schön am Beispiel "Layla" beobachten: Die Stadt Würzburg wollte den Grölsong nicht auf ihrem Kiliani-Volksfest gespielt haben, das ganze Land diskutierte - nicht zuletzt angetrieben durch die Berichterstattung dieser Redaktion - über Sinn oder Unsinn des Verbots, während sich "Layla" für ein paar Wochen auf Platz 1 der deutschen Single-Charts festkrallte. Und Würzburg stand als spaßbefreite Hochburg von Cancel Culture und Political Correctness da.

Man gewinnt den Eindruck: Diese Lieder sind auch eine Art Ventil

Ja, Lieder wie "Layla" oder "Olivia" sind schwer zu ertragen, Reime wie Musik von simpelster Machart, die Texte teilweise widerlich und mitunter tatsächlich sexistisch. Viele Bierzeltbesucher und -besucherinnen machen sich nach eigenem Bekunden nicht allzu viele Gedanken darüber, sie wollen einfach nur feiern. Macht es das besser? Nicht wirklich. Aber wenn wir jedes Mal das Sexismus-Radar anwerfen, wenn irgendwo gefeiert wird, hätten wir viel zu tun.

Vielleicht erfüllen die Lieder ja sogar eine gesellschaftliche Funktion. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie eine Art Ventil sind. Gegengewicht zu einem Alltag, der in der Wahrnehmung mancher Menschen immer stärker von Tabus bestimmt ist. Kaum einen Spruch hört man dieser Tage öfter als: "Man darf das ja nicht mehr sagen, aber..." Im Bierzelt hingegen darf all das gegrölt werden, was draußen verpönt ist.

Die Bands, die die Songs dazu liefern, verdienen gut mit dem Konzept. Manchmal kommt ja als Bonus noch ein Skandälchen dazu. Bliebe man bei der Ventil-Theorie, könnte man die Bands als Nachkommen der klassischen Hofnarren bezeichnen: Sie brechen im umgrenzten Raum des Bierzelts straflos und qua Funktion Tabus, das Publikum kehrt anschließend entspannt und befreit in den Alltag mit seinen gefühlt ausufernden Vorgaben und Regeln zurück.

Das Gefühl des "Nix darf man mehr" zelebriert die Würzburger Partyband Würzbuam

Genau dieses "Nix darf man mehr" zelebriert nun die Würzburger Partyband Würzbuam mit einem neuen Song. Der ist vollgestopft mit Anspielungen auf "Donaulied", "Olivia", "Layla" oder "Skandal im Sperrbezirk" ("Draußen vor der großen Stadt / stehn die guten Songs sich die Füße platt"). Aber wer sich bei der Aufforderung "Schieb' den Tala in die Vera" was Schmutziges denkt, ist selbst schuld, denn das Lied heißt ja "Lied ohne Sex".

Anzeige für den Anbieter YouTube über den Consent-Anbieter verweigert

Es ist vor allem eine tanzbare musikalische Anklage: "Das nächste Verbot kommt in Kürze / in unserer Burg fehlt irgendwie die Würze." Was sich die Würzbuam unter dieser Würze vorstellen würden, kommt auch vor: "Der Sexismus wird verbannt, wird gekreuzigt und verbrannt." Da ist man ja fast schon geneigt, Mitleid mit dem Sexismus zu haben.

Aufregen? Nein, bitte nicht!

Soll man sich darüber jetzt auch noch aufregen? Nein, bitte nicht. Messen wir die Menschen nicht daran, ob sie im Bierzelt mitgrölen, sondern daran, wie sie sich außerhalb des Bierzelts verhalten. Und hören wir auf, über jedes Skandalstöckchen zu springen, das uns die Jetzt-erst-Recht-Fraktion hinhält.

Niemand ist gezwungen, sich den Quatsch anzuhören. Ebenso verzichtbar wie der Quatsch sind allerdings auch moralische Appelle. Sie würden der Jetzt-erst-Recht-Fraktion nur wieder einen Anlass bieten, genüsslich die Was-wird-als-nächstes-verboten-Karte zu spielen.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels wurde das Lied der Würzbuam versehentlich mit dem Titel "Liebe ohne Sex" genannt. Es heißt natürlich "Lied ohne Sex". Die Stelle wurde korrigiert.

 
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  • R. B.
    „Und Würzburg stand als spaßbefreite Hochburg von Cancel Culture und Political Correctness da“. Treffender hätten Sie es nicht beschreiben können sehr geehrter Herr Wiedemann. Die Main-Post als Hofberichterstatterin trägt maßgeblich dazu bei.
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  • C. K.
    Werter Chef-Kultur-Feuilletonist Wiedemann - der Song der Würzbuam heißt "Lied ohne Sex", nicht "Liebe ohne Sex". Aber kann ja mal passieren, wenn man sich ansonsten eher in der Hochkultur bewegt. Da kennt man auch einen sOliver-Freier nicht. Gell? zwinkern
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  • M. W.
    Danke für den Hinweis, wird korrigiert.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    @kelle
    Das nennt sich "Qualitätsjournalismus der Geld kostet" ...
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  • A. K.
    Frau Scheder sieht das aber mal ganz anders.
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  • B. F.
    warum schafft man die Volksfeste nicht einfach ab, wenn man sich über Lieder aufregt? Der MP von Schleswig Holstein hat das Lied auf seiner Bühne in KIEl bei der Eröffnung der Kieler Woche laut mit gegrölt......Respekt !
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  • G. W.
    Wollen Sie das ernsthaft erleben, daß Markus und Hubert auf der Kilianibühne stehen und schmutzige Lieder grölen????
    🤣
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  • G. K.
    Beim Hubert wäre das egal - versteht ja keiner ... 😉
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  • J. S.
    "Ja, Lieder wie "Layla" oder "Olivia" sind schwer zu ertragen"
    Wenn sie das grundsätzlich wären, würden sie kaum auf Festen und Partys gespielt werden oder von Feiernden auf welchem Event auch immer mitgegröhlt werden. Auf solchen Veranstaltungen spielt man eher selten schwere Kost. Letztendlich sagen die Reaktionen ehr viel über die jeweiligen Rezipienten aus... und zwar sowohl als auch.
    Ceterum censeo Carthaginem esse delendam - oder anders: Nach wie vor hat mir noch keiner aus der MP-Crew erklärt, was denn an diesem schwachmatigen 'Layla' wirklich und konkret sexistisch sei.
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  • R. P.
    . Main Post traurig
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  • A. R.
    Hat nicht eine Mitarbeiterin der MP diese mehr als überzogene Layla-Diskussion, dieses draus entstandene Verbot ins „Rollen“ gebracht …?
    Und dann kommt jetzt so ein Artikel daher…

    #MainPostHumor
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  • P. B.
    Vielleicht hat Frau Scheder die Zeitung (Arbeitsstelle) gewechselt. Weil letztes Jahr so und heuer so???🤣
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  • R. Z.
    Nein, Frau Scheder hat die Arbeitsstelle nicht gewechselt. Bei dem Artikel handelt es sich um einen Kommentar, also einen Meinungsartikel, in dem der Autor seine Meinung wiedergibt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
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  • P. B.
    Ok. Dann endlich eine Meinung die sich mit der großen Mehrheit in der Gesellschaft deckt. Nur so funktioniert Meinungsfreiheit ohne Verbote.
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  • G. B.
    Vielleicht sollte die Scheder mal wechseln....nach Berlin oder so.....meien Segen hätte sie.
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  • H. S.
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • G. K.
    Zitat: „Aber wenn wir jedes Mal das Sexismus-Radar anwerfen, wenn irgendwo gefeiert wird, hätten wir viel zu tun.“

    Stimmt, aber nach der Nummer mit der Layla – und der durchaus fragwürdigen Rolle, die die MP in dieser Posse gespielt hat – finde ich es ein wenig befremdlich, so einen Kommentar ausgerechnet von einem MP-Redakteur zu lesen … 😉

    Also, werte MP – hört doch einfach auf, diese Machwerke zu thematisieren und zu bewerten. Diese moralinsauren selbsternannten Sittenwächter braucht und will keiner.

    Für echte Verfehlungen gibt’s die Polizei und die Justiz – das sollte in einem Rechtsstaat doch reichen!

    Über Geschmack konnte man schon immer trefflich streiten – aber jemandem das Recht auf etwas zuzugestehen, was man selbst jetzt nicht so toll findet, nennt sich Toleranz. Gab's früher mal ganz viel, gerade in der Kunst ...

    Einfach mal leben und leben lassen. Die Zeiten der Blockwarte sind lange vorbei – und das ist gut so! Wir sollten uns danach nicht zurücksehnen!
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  • B. T.
    Danke! Dem ist nichts hinzuzufügen.
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  • G. B.
    Cooles Lied der Würzbuam, das der biederen Stadtverwaltung den Zahn zieht.
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  • M. F.
    Layla, du bist so schlecht erzogen. Wenn das deine Mutter Olivia wüsste. Dann herscht Atemnot die ganze Nacht, Bis ein neuer Tag erwacht. Dann geb ich dich weg, Und warte nicht bis nächste Nacht. Dann du mich nicht mehr um den Schlaf gebracht. La la la la
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