
Da ist sie wieder. Die fast schon magische Zahl, auf die Corona-Deutschland täglich schaut – gebannt, wo sie als nächstes aufploppt. Wo in der Folge Schulkinder im Unterricht weiter Masken tragen und Gastronomen früher zusperren müssen. Wo größere Familientreffen und Fans in den Stadien tabu sind und Hoteliers unter massenhaften Stornierungen ächzen.
Einmal mehr hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder an diesem Montag die Zahl bemüht: Ab dem Corona-Inzidenzwert von 50 solle auch auf belebten öffentlichen Plätzen eine Maskenpflicht gelten – so wie München dies ab Donnerstag einführen will. Dabei wirkt die ganze Diskussion wie der Versuch, die Corona-Welt in gut und schlecht zu sortieren.
Was ist der Inzidenzwert 50 wirklich wert?
In Bayern ist bis zu einem Inzidenzwert von 35 Fällen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen alles in Ordnung, ab dann wird man vorsichtig – aber wehe, es geht über die 50. Dann greifen die Behörden vor Ort in ihr Arsenal an Verboten und Verfügungen. Ist das vernünftig? Die Frage muss dringend und offen diskutiert werden.
Denn die Folgen sind für die einen unangenehm – für andere sind sie existenzbedrohend. Und da geht es nicht nur um Gastronomen und Hoteliers, gleichwohl diese von Beschränkungen und von der Negativ-Werbung eines Risikogebiets besonders betroffen sind. Schon im ersten Halbjahr sank in der Touristenstadt Würzburg laut Gewerkschaft NGG die Zahl der Übernachtungen um 58 Prozent.
Das Minus dürfte sich aktuell noch weiter verschärfen: Weil die Stadt Würzburg den kritischen Inzidenzwert von 50 seit Tagen reißt, sagen viele Gäste ab. Umgekehrt sind Touristen aus Würzburg andernorts in Deutschland nicht mehr gelitten.
Das sind massive Auswirkungen aufgrund eines Wertes, der im Mai nicht von Virologen, sondern von der Politik festgelegt wurde. Zwar ließ man die Meinung von Experten einfließen – der bundesweite Inzidenz-Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen wurde aber letztlich auf dem politischen Jahrmarkt ausverhandelt. Und er hat eine zentrale, gravierende Schwäche: Er nimmt keine Rücksicht auf die Anzahl der Tests, die in einer Stadt oder einem Landkreis gemacht werden.

Das verzerrt die abgebildete Corona-Realität und schafft – mit Blick auf die Sanktionen – Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit nicht nur in der Hotellerie, sondern in der Gesellschaft, sei es in Schulen, Vereinen oder Familien. Ohne die tatsächliche Testhäufigkeit einzukalkulieren, hinkt ein Vergleich der Inzidenzwerte nicht nur. Er ist eigentlich unzulässig. Wo nur wenig getestet wird, kann die Corona-Lage bei einer Inzidenz von 30 schlechter sein als in einer Stadt mit 60 bei sehr vielen Tests.
Bitte nicht falsch verstehen: Jeder entdeckte positive Fall und seine Nachverfolgung ist positiv im Sinne der Pandemie-Bekämpfung. Der Appell lautet nicht "testet weniger", sondern – immer hörbarer auch von Virologen: "Testet gezielter!" Und bezieht die Anzahl von Tests in die Lagebewertung ein. Der Hinweis, dass zum Beispiel am Montag vor einer Woche ein Viertel aller bayerischen Corona-Tests in Würzburg gemacht wurden, soll die vorhandenen Fälle nicht verharmlosen. Aber er hilft, die hohen Werte der Stadt (an diesem Montag 61,8) – und mittlerweile auch im Landkreis (40,8) – einzuordnen.
Überschreitung des Wertes 50 kein Grund zur Panik
Genau darum geht es: Die Zahl 50 schafft, anders als nervös-aktionistische Politiker bisweilen weismachen wollen, keinen Automatismus bestimmter Eingriffe. Das Robert Koch-Institut erinnert daran, dass es sich um einen "Richtwert" handelt. Die Inzidenz aus einer Woche soll Politik und Behörden vor Ort begleiten und eine Entwicklung anzeigen. Sie soll zur Vorsicht anleiten und ja, auch Einschränkungen begründen. Aber eine Überschreitung der 50er Marke ist kein Grund zur Panik oder gar zur kollektiven Stigmatisierung von Bewohnern betroffener Gebiete.
Immer heißt es hinzuschauen, woher gestiegene Fallzahlen rühren und welche Gegenmaßnahmen angemessen sind. Wo das lokale Ausbruchsgeschehen wie zuletzt in Kaufbeuren auf ein Altenheim beschränkt ist, wäre ein Ausschankverbot für Gastronomen oder ein Sportverbot für Vereine absurd. Oder die bekannten Fälle aus Einrichtungen für Erntehelfer: Hier gilt es mit einer Quarantäne örtlich begrenzt zu reagieren und nicht mit einem Trommelfeuer.
Soll aber die Bevölkerung eine solch wichtige Differenzierung verstehen können, ist Transparenz bei den örtlichen Gesundheitsämtern und kommunalen Behörden gefordert. Sie müssen den Bürgern den Hintergrund beschlossener Einschränkungen und den Zusammenhang mit den Corona-Fällen erklären und dürfen sich nicht hinter der Zahl 50 verschanzen. Doch genau dies scheint in manchen Städten und Kreisen in Bayern der Fall.

So diffus das Ausbruchsgeschehen zum Beispiel in Würzburg ist, so diffus wirken mitunter die Erklärungen aus dem Gesundheitsamt. Über Tage wurde auf Reiserückkehrer als Hauptursache für gestiegene Corona-Zahlen verwiesen. Fast beiläufig erwähnt dann Oberbürgermeister Christian Schuchardt in einem Interview mit dieser Redaktion, dass offenbar Personal zweier Gaststätten den "Hotspot" Würzburg zusätzlich aufgeheizt hat.
Wer sich Verständnis für unangenehme Entscheidungen erhofft, muss die Bevölkerung durch maximale Aufklärung mitnehmen. Und die Politik sollte nicht vergessen, warum man im Frühjahr überhaupt einen Inzidenz-Warnwert festgeschrieben hat: Um eine rapide Corona-Ausbreitung mit einer Überlastung der Kliniken zu verhindern. Von einer solchen ist man derzeit auch in Bayern weit entfernt, es liegen kaum Corona-Patienten im Krankenhaus. Die Verläufe sind milder, die Betroffenen jünger. Auch das gehört in eine Gesamtbetrachtung, und: in das kritische Hinterfragen der "magischen" Zahl 50.
Söders „Test ins Blaue“ Strategie hat dazu geführt, dass einige Labore streckenweise deutlich überlastet waren und die notwendigen Testmaterialien knapp wurden.
Zu einem hat die hohe Fallzahl aber geführt. Eine schon weit über 80 Jahre alte Belannte kauft jetzt im Internet ein. Würzburg mit seinen vielen Autos und der schlechten Luft war ihr schon vor der Coronakrise ein Greuel. Corona war jetzt der endgültige Auslöser dem stationären Handel den Rücken zu kehren.
Insofern verstehe ich den Kommentar ehrlich gesagt nicht so ganz.
Der „Inzidenzwert“ ist nicht vergleichbar und er berücksichtigt nicht die Anzahl der durchgeführten Tests? Ja, aber trotzdem wird er – und nichts anderes – Tag für Tag auch von der MP heruntergebetet.
Es gilt, Transparenz über die Entstehung der Hotspots zu schaffen, um das Ausbruchsgeschehen verstehen und angemessen reagieren zu können? Ja, aber auch aus der MP erfährt man dazu so gut wie nichts.
In zwei Gaststätten wurde das Virus über das Personal verbreitet? Jetzt wäre interessant, wie das passieren konnte. Taugen die Hygienekonzepte nichts – oder hat man sich nicht daran gehalten?
Fragen über Fragen … fasst den Kommentar doch bitte als Imperativ auf, liebe Redaktion!
Wir sind die Deppen der Nation, weil nirgendwo so viel getestet wird wie in Würzburg. Letztendlich sind viele Testungen absolut sinnvoll. Dann darf man aber bei der 7-Tage-Inzidenz nicht den gleichen Regeln/Sanktionen unterworfen sein, wie Regionen die regelmäßig nicht mal ein Viertel der Tests (im Vergleich zu WÜ) durchführen.
Und die Positivquote (=positive Testergebnisse im Verhältnis zu allen Tests) sollte endlich auch berücksichtigt werden.
Ende März wurde bundesweit nicht mal halb soviel getestet wie in diesen Tagen. Wenn also derzeit 1 Prozent der Tests positiv ausfallen gegenüber 9 Prozent Ende März, dann sei es erlaubt anzumerken, dass die Formulierung steigende Infektionszahlen äußerst unglücklich klingt.