Über 400 Jahre lang waren Juden in Sommerhausen ein selbstverständlicher Teil des öffentlichen Lebens. Dennoch wissen die meisten Sommerhäuser wenig über dieses lange Kapitel der Dorfgeschichte, sagt Inge Eilers. Zumindest abgesehen davon, dass es in Sommerhausen eine Synagoge gegeben hat, die bis vor kurzem noch als katholische Kirche genutzt und inzwischen verkauft wurde. Unterstützt von weiteren Interessierten hat sich die heute 83-jährige ehemalige Bilanzbuchhalterin jahrelang in den Archiven auf Spurensuche begeben. An ihren Recherchen möchte sie nun auch die Öffentlichkeit teilhaben lassen. Am Freitag, 3. Mai, um 19 Uhr findet ein Vortrag im Bürgersaal des Rathauses statt.
Der Anlass, der Inge Eilers Forscherdrang geweckt hat, ist eigentlich ein trauriger. 2020 beschloss die Sommerhäuser Liedertafel nach 177 Jahren ihre Auflösung. Als langjährige stellvertretende Vorsitzende hatte Eilers die Aufgabe, den Verein abzuwickeln. Bei der Durchsicht alter Unterlagen fiel ihr auf, dass bis in die 1920er Jahre jüdische Namen in der Mitgliederliste verzeichnet waren. Sofort schossen ihr Fragen in den Kopf: Wer waren diese Menschen? Wo haben sie gewohnt? Und was ist aus ihnen geworden?
Die Forschung berührt sensible Themen der jüngeren Geschichte
Dass die Fragen an sensiblen Themen rühren würde, war Inge Eilers klar. Obwohl sich die jüdische Gemeinde damals bereits aufgelöst hatte und die Synagoge den örtlichen Bauern als Getreidespeicher diente, wurde sie in der Pogromnacht zum 10. November 1938 auf Befehl der NSDAP demoliert. Sie entging den Flammen wohl nur deshalb, weil ein Brand auch die Nachbarhäuser nicht verschont hätte. Auch Sommerhäuser hätten sich schuldig gemacht an ihren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, weiß Inge Eilers aus Erzählungen. "Mir geht es aber nicht darum, Schuldgefühle zu wecken, sondern einfach darum, die Geschichte der Juden in Sommerhausen zu erzählen, die heute kaum noch einer kennt."
Die ältesten Nachweise gehen zurück bis ins Jahr 1532, als im Schuldschein eines Würzburger Juden "Samvuel und Abraham zu Sumerhausen" als Gläubiger genannt werden. Es muss eine Zeit großen Wohlstands gewesen sein, vermutet die Hobby-Forscherin. Der Bau des Rathauses und der Ortsbefestigung fällt ins 16. Jahrhundert, ebenso wie der Umbau des Grafenschlosses in seine heutige Form.
Da Juden das Ausüben eines Handwerks verboten war, verdingten sich viele als Händler und brachten es so zu Wohlstand. Der wuchs weiter dadurch, dass es ihnen im Gegensatz zu den Christen erlaubt war, gegen Zinsen Geld zu verleihen.
Die Sommerhäuser Grafen boten den Juden Schutz gegen Geldzahlungen
Als Juden 1559 aus Würzburg vertrieben wurden, nutzten die Grafen von Limpurg-Speckfeld die Gelegenheit und gewährten den Verfolgten gegen eine regelmäßige Geldzahlung Schutz und Wohnrecht, berichtet Inge Eilers. Im folgenden Jahrhundert finden sich nur wenige Zeugnisse jüdischen Lebens in Sommerhausen. Auch in den lutherischen Kirchenbüchern, die bis ins Jahr 1569 zurückreichen, sei an keiner Stelle ein Hinweis auf jüdische Einwohner zu finden.
1705 werde in den Ratsakten vom Abriss der Synagoge berichtet, nachdem der Schutzherr Eberhard von Limpurg-Speckfeld verstorben war. "Auch damals war das Verhältnis zu den Juden nicht immer friedlich, oft spielte dabei der Neid eine Rolle", sagt Inge Eilers.
Ein Sohn von Eberhards Witwe aus zweiter Ehe stellte später den Schutzstatus wieder her und erlaubte 1749 gegen den Widerstand der Kirche den Bau einer neuen Synagoge. "Daran sieht man, dass die Geschichte der Juden in Sommerhausen eng mit der Geschichte des Grafenhauses verbunden ist", folgert die Hobbyforscherin.
Ergiebiger wird die Forschung mit Beginn des 19. Jahrhunderts. Ab dieser Zeit liegen auch Geburts-, Heirats- und Sterberegister vor, die es Inge Eilers erlaubt haben, die Geschichte einzelner Familien nachzuzeichnen. "Man kann viel über Geschichte erzählen, aber wenn keine Personen dahinterstehen, bleibt das Ganze blutleer", weiß sie. Zu diesen Personen gehört Feifel Palm, der 1817 als erstes von zwölf Geschwistern geboren wurde und es zum bedeutendsten Weinhändler in Sommerhausen brachte.
Die Gedenkstätte Yad Vashem nennt 35 Opfer der Shoa aus Sommerhausen
"Der Name sagt kaum jemandem etwas, aber alle kennen die Häuser, die die Familie besessen hat", sagt Inge Eilers. Zu ihnen gehört auch das stattliche Miltenberger-Haus in der Hauptstraße und ein Anwesen am Kirchplatz, dessen eisernes Gittertor noch heute die Inschrift "Moritz Palm 1888" trägt. Dessen Sohn Julius zog später nach Würzburg und 1928 nach Leipzig. Mit seiner Schwester Elise und seinem Sohn Moritz wurde er später Opfer der Shoa. Während bislang in Sommerhausen acht Opfer der Shoa bekannt gewesen seien, verzeichnet die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem insgesamt 35 Jüdinnen und Juden aus Sommerhausen, die durch das Nazi-Regime zu Tode gekommen sind, so Inge Eilers.
Aus Sommerhausen stammten auch Samuel und Regina Stahl, die im sogenannten Benkertshaus mit Kurz- und Strumpfwaren handelten, bevor sie ihr Geschäft nach Würzburg verlagerten. Dort kam 1895 ihre Tochter, die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Johanna Stahl, zur Welt, die während der NS-Verfolgung Juden bei der Ausreise unterstützte und 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Heute ist das Zentrum für jüdische Geschichte in Unterfranken am Shalom Europa in Würzburg nach ihr benannt.
Eine besondere Beziehung verbindet Inge Eilers mit der Familie von Max Isidor Strauß, dessen Tochter Irma Lindner 1938 nach Mexiko fliehen konnte. Dabei wurde die Mutter von zwei Söhnen vom Sommerhäuser Gemüsehändler Hans Schwarz unterstützt, zu dessen Familie die Lindners bis heute Kontakt pflegen. Auf diesem Weg wurde Enkelin Lucia Lindner auf Inge Eilers aufmerksam. Im letzten Jahr kam es zur persönlichen Begegnung, nachdem Lucia Lindner die Heimat ihrer Großeltern kennenlernen wollte. "Ich kann gar nicht beschreiben, wie emotional dieser Moment für uns war", erzählt Inge Eilers. Bis heute besteht ein enger Kontakt.
Inzwischen hat Eilers über 100 Biografien ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Sommerhausen erstellt. Einen Auszug aus ihren Forschungen hat sie zu ihrem Vortrag zusammengestellt. "Es ist wirklich eine aufregende Sache für mich", sagt sie, "aber ich habe wirklich das Bedürfnis meine Kenntnisse weiterzugeben, ich kann doch nicht alles für mich behalten."
Der Vortrag "Jüdisches Leben in Sommerhausen" beginnt am Freitag, 3. Mai, um 19 Uhr im Bürgersaal des Rathauses. Veranstalter sind die Evangelisch-lutherische Kirschengemeinde und der Markt Sommerhausen.