Als das Arbeitsverhältnis zwischen Dr. Henny Stahl (1895-1943) und der Verlagsdruckerei Würzburg GmbH im Sommer 1931 endete, blieb der Verlag ihr 700 Mark schuldig. Fast vier Jahr lang hatte Stahl die Bayerische Frauenzeitung für 150 Mark im Monat redigiert. Wirtschaftliche Gründe führten in der Zeit der Weltwirtschaftskrise wohl zum Ende der Tätigkeit. Denn im März 1932 wurde das Erscheinen der Zeitung genau aus diesen Gründen eingestellt.
Henny Stahl war als Johanna Stahl 1895 in Würzburg geboren worden. Sie besuchte die Sophienschule und legte das Abitur als Externe am Realgymnasium ab. Zunächst studierte sie in Würzburg und dann in Frankfurt (Main) Volkswirtschaftslehre. 1921 schloss sie mit einer sozialwissenschaftlichen Doktorarbeit ab. In beiden Städten arbeitete sie parallel zum Studium im Versorgungsamt. Zurück in Würzburg engagierte sie sich in der Frauenbewegung und politisch in der liberalen DDP.
Ab 1927 Schriftleiterin der Bayerischen Frauenzeitung
Sie baute sich eine freiberufliche Existenz als Journalistin auf und schrieb u.a. für die Frankfurter Zeitung. Im September 1927 übernahm sie im Rahmen einer Teilzeitstelle die Schriftleitung der Bayerischen Frauenzeitung. Das alle zwei Wochen erscheinende Blatt war das Verbandsorgan des Hauptverbandes Bayerischer Frauenvereine und der Berufsorganisation Bayerischer Hausfrauen.
Der Charakter der Frauen-Zeitungen war ein anderer als der heutiger Frauen-Magazine und -Zeitschriften. In der Bayerischen Frauenzeitung ging es nicht oder kaum um Mode, Koch- und Backrezepte oder Handarbeitsanleitungen. Geboten wurden stattdessen Informationen und Berichte zur Frauenbewegung, ihren Versammlungen und Aktivitäten. Es ging um gesellschaftliche, soziale, rechtliche und politische Fragen mit Bezug zu Frauen und um gebildete Unterhaltung in Form literarischer oder historischer Beiträge oder Rezensionen. Die Autorinnen und wenigen Autoren zeigen sich als akademisch gebildet, viele trugen einen Doktortitel.
Denkanstöße und Handlungsideen ohne revolutionäres Pathos
Neben der eigentlichen Redaktionsarbeit und den Korrespondenzen schrieb natürlich auch Henny Stahl eigene Artikel. Namentlich gekennzeichnet sind 25 Artikel und fünf Rezensionen. Darin geht es um allgemeine gesellschaftliche Themen wie "Geselligkeit, "Alter", "Alleinsein". Wohltätigkeit und Fürsorge sind zentrale Themen, darunter die Arbeitsfürsorge des Vereins "Frauenheil" in Würzburg. Ein historischer Artikel widmet sich Tilman Riemenschneider, ein pädagogischer Bericht Erziehungsversäumnissen.
Den breitesten Raum nehmen jedoch politisch-rechtliche Themen sowie Frauenthemen im engeren Sinne ein. Besonders darin präsentiert sich die Autorin als eine sachlich analysierende, gebildete und belesene Frau mit gesellschaftspolitischem Verantwortungsbewusstsein. Sie vermittelt Wissen, gibt Denkanstöße und unterbreitet Handlungsideen – ohne jedes revolutionäre Pathos. Untersuchungen anderer Autorinnen und Autoren werden zitiert, Forschungsergebnisse in Berichten vorgestellt.
Wie andere Akteurinnen der Frauenbewegung wusste Henny Stahl, dass das Recht für die Stellung von Frauen in der Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielte. Es ging ihr zum einen darum, ihre Leserinnen und Leser über Gesetzesvorhaben oder über die Folgen bestimmter Gesetze zu informieren (Hausgehilfengesetz, Aufhebung des Gesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten). Genauer geht sie auf die Wohlfahrtsgesetzgebung ein. Zum anderen schrieb Stahl über Themen, bei denen sie gesetzgeberischen Handlungsbedarf sah. Dazu gehört neben dem Arbeiterinnen-Schutz der Schutz gewerblich tätiger schwangerer Frauen. Und die gesetzliche Regelung der Fürsorge und Unterbringung von Menschen, die zu Eigenverantwortung nicht in der Lage waren.
Grundsatzartikel zur "Frau im Beruf"
In den Artikeln zum Thema "Frauen" im engeren Sinn berichtete Stahl fast euphorisch über den 12. Bayerischen Frauentag in Augsburg 1928. Sie hob die Bedeutung der vielen Treffen und Diskussionen für die Motivation der Frauen hervor. Daran knüpfen zwei programmatische Artikel über die Frauenbewegung an, der sie dringenden Modernisierungsbedarf bescheinigt. Denn junge Frauen, Nachwuchs für die Bewegung könnten nicht allein durch Vortragsprogramme der lokalen Vereine gewonnen werden. Sie suchten Gemeinschaft und Aktivitäten. Zudem sollten die Vereine auch zur praktischen sozialen Arbeit anleiten.
Der "Frau im Beruf" widmet Stahl einen Grundsatz-Artikel. Darin stellt sie fest, dass die meisten Frauen aufgrund ihrer Erziehung noch kein Verhältnis zu Beruf und Arbeit gefunden hätten. Angesichts einer Überzahl von 2 Millionen Frauen im Vergleich zu der der Männer infolge des Ersten Weltkriegs sei das naiv. Das Ziel, hier Abhilfe zu schaffen, sei "eine der dringendsten Frauenaufgaben". Der Artikel über "die Büroangestellte" dient als konkretes Beispiel eines modernen Frauenberufs. Stahl stellte darin eine statistische Untersuchung von Haushaltsbüchern dieser Berufsgruppe vor, die Einblicke in ihre Lebensführung gewährten.
Die meisten ihrer Artikel schrieb die Würzburger Journalistin in der Zeit der Wirtschaftskrise. Wirtschaftliche Themen für Frauen nehmen daher eine wichtigen Platz ein: sei es in der Empfehlung, ein Haushaltsbuch zu führen, um besser mit knappen Ressourcen auszukommen; oder in der Aufforderung, dass es die "Gegenwartsaufgaben der Frau" vor allem des Mittestandes seien, klug zu sparen und trotzdem Niveau zu halten, auch die Nächstenliebe nicht zu vergessen.
Sieg vor Gericht im Streit um offene Gehaltszahlung
Als ihr Arbeitsverhältnis mit der Verlagsdruckerei Würzburg 1931 endete, konnte Henny Stahl unter Beweis stellen, dass ihr Schreiben für Wissen und Ermutigung keine graue Theorie war. Sie erwirkte eine Zwangsvollstreckung über die 700 Mark ausstehenden Lohns. Dagegen zog der Verlag vors Arbeitsgericht, worüber die "Fränkische Volksstimme" im Dezember berichtete. Der (männliche) Vertreter des Verlages versuchte, die Arbeit von Stahl herunterzuspielen und das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit "Dienstvertrag" zu leugnen. Mit Selbstbewusstsein verteidigte sich "Frl. Dr. Stahl". Sie verglich ihr Dienstverhältnis mit dem des bedeutendsten Redakteurs vor Ort, des Chefredakteurs des Würzburger Generalanzeigers Kaufmann. Das Gericht gab ihr Recht. Und der Autor des Artikels pflichtete ihr bei, dass guter Journalismus nicht in 10-12 Stunden pro Ausgabe zu leisten sei. So hatte es der Verlagsvertreter behauptet.
Als Jüdin konnte Henny Stahl seit 1934 nicht mehr für nichtjüdische Zeitungen arbeiten, wie sie es bislang hauptsächlich getan hatte. Großer Handlungsbedarf entstand hingegen in der Jüdischen Gemeinde. So begann sie 1934, dort Sozial- und Emigrationsberatung zu leisten. Mordechai Ansbacher, dessen Mutter eng mit ihr befreundet war, lobte Henny Stahl für dieses Engagement in den höchsten Tönen. Er beschrieb sie als "intelligente, besonders fähige Person". Obwohl sie hätte emigrieren können, sei sie in Würzburg geblieben, um die vielen Hilfsbedürftigen nicht im Stich zu lassen. Neben dieser zeitintensiven Arbeit setzte Henny Stahl auch ihre schriftstellerische Tätigkeit fort, nun für verschiedene jüdische Zeitungen. Angepasst an die Erfordernisse der Verfolgungszeit behandelte sie weiter überwiegend Frauenthemen oder schrieb für Frauenzeitungen bzw. Frauenbeilagen von Zeitungen.
Mit dem letzten größeren Transport am 17. Juni 1943 wurde Henny Stahl nach Auschwitz deportiert und dort wohl sofort ermordet. Ein Stolperstein, eine Straße und das Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken erinnern in Würzburg an sie.
Text: Rotraud Ries
Rotraud Ries ist Historikerin. Von 2009 bis 2022 leitete sie das Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken.