Einen Peter Frankenberger haut so schnell nichts um. Ein Brocken von Kerl, noch mit 77 Jahren aufrecht, mit einem Lächeln, das von Selbstbewusstsein zeugt. Aber seine Miene verfinstert sich, wenn er an jene Tage vor 50 Jahren in München denkt: an das Olympia-Attentat 1972.
"Wir haben uns wie Verlierer gefühlt, jahrelang", sagt der Würzburger, der damals in München vor Ort war. Als junger Polizist hatte sich Frankenberger im Frühjahr 1972 freiwillig für den Einsatz in München gemeldet - und mit ihm ein halbes Dutzend Kollegen der Würzburger Stadtpolizei. Noch ein halbes Jahrhundert später nagt die Erinnerung an ihm.
Die Ereignisse trafen die kleinen Streifenbeamten so unvorbereitet wie die politische Führung. "Wie konnte so etwas damals geschehen?" fragt er sich noch heute. "Es gab doch vorher nichts in diese Richtung, was uns hätte warnen können." Keine Geiselnahmen – und auch noch keine GSG-9 oder dergleichen.
Polizisten als "eine Art Servicekräfte" - ohne Pistolen, ohne Handschellen, ohne Pfefferspray
Frankenberger erinnert sich noch gut an den Beginn der Olympischen Spiele. "Heitere Spiele" hatte München der Welt versprochen. Nichts sollte an die Nazi-Spiele von 1936 in Berlin erinnern. Und entsprechend dem Moto sollten die 4000 aus der ganzen Bundesrepublik herbeigekarrten Polizisten auftreten: hellblaue Stoffblazer wie die Olympia-Hostessen, keine Pistole, keine Handschellen, kein Pfefferspray, nur ein großes Funkgerät. "Eine Art Servicekräfte", erinnert sich Frankenberger an den Befehl des Münchner Polizeichefs Manfred Schreiber: Kein Leder im Stadion, kein martialisches Auftreten.
Zunächst schien das Konzept aufzugehen: Noch heute erinnert sich der Würzburger an die Eröffnungsfeier, staunt über die wunderbare Stimmung in der Stadt und im Olympiastadion, "seinem" Einsatzbereich, das schon am Mittag bei Vorentscheidungen gut gefüllt war. "Wir waren ganz nahe an den Sportlern, konnten direkt mit ihnen sprechen", erzählt er.
Der Schwimmer Roland Matthes schenkte Frankenberger seinen Olympia-Anstecker
Während sich viele auf den Weltrekord-Schwimmer Mark Spitz stürzten, galt Frankenbergers Respekt dem deutschen Schwimmer Roland Matthes. "Der schwebte durchs Wasser, war auf 100 und 200 Meter Rücken sowas von souverän", sagt er über den Schwimmer aus dem Osten, der später in Tauberfranken seine Heimat fand – und der dem Polizisten und Fan in München seinen Olympia-Anstecker schenkte. Ein Erinnerungsstück, das Frankenberger bis heute in Ehren hält.
"Das Olympische Dorf war überhaupt nicht gesichert", erzählt Peter Frankenberger. Nach den Wettkämpfen klettern manche Athleten über den Zaun, um den Abend im leichtlebigen München zu verbringen.
Monteure der Post hielten die Geiselnehmer für heimkehrende Sportler
Über die damalige Ahnungslosigkeit kann der pensionierte Polizist nur den Kopf schütteln. Er und seine Kollegen waren am 5. September gerade mit ihrer Schicht fertig und in ihrem Nachtquartier, als sie aus dem Fernsehen erfuhren: Bewaffnete Palästinenser waren über den Zaun ins olympische Dorf eingedrungen, hatten das Quartier der israelischen Mannschaft gestürmt und Geiseln genommen. Monteure der Post beobachteten sie, hielten sie aber für heimkehrende Sportler.
Die Polizisten von außerhalb wurden im Dunkeln darüber gelassen, was nun passierte. "Man sagte uns, der Polizeipräsident Schreiber hat das alles im Griff und er regelt das schon mit Hans-Dietrich Genscher und Bayerns damaligem Innenminister Bruno Merk", berichtet Frankenberger.
Die Welt sah die Pannen und Fehler beim Polizeieinsatz im Fernsehen
Er und seine Kollegen hörten inoffiziell: "Die Terroristen werden ausgeflogen." Sie bekamen die Pannen und Fehler beim Polizeieinsatz in München und Fürstenfeldbruck über das Fernsehen mit: verkleidete Polizisten mit Trainingsanzügen und Weltkriegsstahlhelmen, die vor laufender Kamera als Scharfschützen auf Flachdächer kletterten. Die Bilder wurden live in alle Welt übertragen - auch in das Quartier der Geiselnehmer. Man hatte vergessen, ihnen den Strom abzustellen.
Über viele Pannen will der frühere Polizist auch heute nicht reden: Über den Zeit- und Entscheidungsdruck auf die deutschen Sicherheitsbehörden, die Planlosigkeit, wie einem solchen Anschlag zu begegnen sei, das Fehlen jeglicher zu Anti-Terroraktionen fähigen Spezialkommandos.
Der Einsatz der Bundeswehr war laut Grundgesetz ausgeschlossen. Von der Idee, eine israelische Antiterroreinheit einfliegen zu lassen, hörte der Würzburger Polizist erst Jahre später in einer Fernseh-Dokumentation.
Das Schicksal der israelischen Sportler lag in den Händen der Münchner Stadtpolizei
Es gab in dieser prekären Lage keine Befehlskette, sondern konsensbeflissen einen Krisenstab aus Politikern, Polizeibeamten und Sportfunktionären. Das Schicksal der israelischen Sportler lag in den Händen der Münchner Stadtpolizei und von Männern, die mit Geiselbefreiungen keinerlei Erfahrungen besaßen.
Und Polizisten wie Peter Frankenberger wurden in jener Nacht aus der Bereitschaft in die Ahnungslosigkeit entlassen: "Gegen 19.30 Uhr hörten wir in unserem Quartier, einer Kaserne: die Terroristen seien auf dem Weg nach Fürstenfeldbruck, werden ausgeflogen", erinnert er sich. "Gegen 23 Uhr sagte man uns: Die Geiseln sind frei, ohne Blutvergießen."
Sechs Stunden später das böse Erwachen. "Um 5 Uhr gab es dann plötzlich Alarm. Nun hieß es: Alle Geiseln sind erschossen worden", erzählt Frankenberger. Auch ein Polizist war tot. "Allmählich wurde das ganze Ausmaß des Desasters erkennbar und wir fragten uns, wer für diese Informationspanne verantwortlich war." Antworten bekamen sie auch darauf nicht.
"Wie konnte das passieren?": Darauf hat Frankenberger keine Antwort
Über den Olympiastätten lag eine lähmende Stille. Peter Frankenberger erinnert sich noch schaudernd an Avery Brundages Rede mit der berühmt gewordenen Forderung "The Games must go on – die Spiele müssen weitergehen". Der Polizist aus Würzburg versah weiter seinen Dienst, aber wie seine Kollegen auch zermarterte er sich den Kopf: "Wer hat diesen Mist gemacht?" Er und seine Kollegen hatten auf den Münchner Polizeipräsidenten gesetzt: "Der regelt das." Und später, als er wieder in Würzburg war und bei der Autobahnpolizei in Kist (Lkr. Würzburg), fragten ratlose Kollegen: "Wie konnte das passieren?" Er hatte keine Antwort.
Die Polizei zog Lehren, schuf neue Organisationsstrukturen, gründete drei Wochen später die GSG-9 und dann Sondereinsatzkommandos in den Ländern. "Aber uns haftete jahrelang der Makel an, wir wären irgendwie mitschuldig", sagt Peter Frankenberger. Fünf Jahre später befreite die neue Eliteeinheit GSG-9 die Landshut-Geiseln in Mogadischu.