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Olympia-Attentat 1972: Der Traum wird zum Trauma
Von unserer Mitarbeiterin Kirsten Mittelsteiner
 |  aktualisiert: 11.11.2021 13:46 Uhr

Es ist der 4. September 1972, als die Hochspringerin Ulrike Meyfarth Olympiageschichte schreibt. Die Siegesfeier ist noch nicht vorbei und die Deutschen haben die sportliche Sensation – die Goldmedaille der erst 16-Jährigen – noch gar nicht realisiert, als sie etwas ganz anderes begreifen müssen. Denn nur wenige Stunden später gerät Deutschland in die schwerste Krise seiner Nachkriegsgeschichte, oft bezeichnet als die Stunde null des internationalen Terrorismus: Der Terror zerstört den friedlichen Geist der Jugend der Welt.

Eigentlich hatten diese Olympischen Spiele ein ganz besonderes Anliegen. Sie wollten die Nazi-Spiele von 1936 durch Fröhlichkeit und Unbeschwertheit endlich vergessen machen und Deutschland wollte sich als freundliche Nation präsentieren. Das gelingt aber nur in den ersten Tagen. Der positive Eindruck wird ausgelöscht durch das Unfassbare, das in den frühen Morgenstunden des 5. September 1972 seinen unheilvollen Lauf nimmt.

Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ dringen in das Olympische Dorf ein und stürmen unter dem Anführer „Issa“ Lutif Affif die Quartiere des israelischen Teams. Die Terroristen fordern die Befreiung von 200 Kampfgenossen sowie freien Abzug. Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher reist an, bespricht sich mit Bundesgrenzschutz-Offizier Ulrich K. Wegener. Erste Verhandlungsversuche scheitern.

„Issa“ macht Polizeipräsident Manfred Schreiber klar, dass er alle Geiseln erschießen werde, wenn man seinen Forderungen nicht sofort nachkomme. Die Polizei plant die Stürmung des besetzten Gebäudes. Bei der Beobachtung des Einsatzes erkennt Wegener, dass die Terroristen durch die Medienberichterstattung ebenfalls von dem Plan wissen. Unglaublich: Das Vordringen der Scharfschützen wird live im Fernsehen übertragen! Dutzende Kameras transportieren die Bilder des Polizeieinsatzes in die ganze Welt. Der Zugriff wird abgebrochen.

„Issa“ fordert ein Flugzeug, das die Terroristen und Geiseln in ein arabisches Land fliegen soll. Um Zeit zu gewinnen, geht die Polizei darauf ein. Sie stellt einen Bus bereit, in dem die Palästinenser und Israelis das Olympische Dorf verlassen sollen. Zwei von der Polizei gestellte Helikopter fliegen schließlich die Terroristen samt ihrer Geiseln zum Flughafen Fürstenfeldbruck. Beim schlecht koordinierten Versuch einer Befreiungsaktion kommt es am Flughafen zu einem Feuergefecht zwischen Polizei und Terroristen. Die Einsatzleitung mit Genscher und Wegener rettet sich vor den Kugeln unter einem Schreibtisch.

Eine von den Terroristen gezündete Handgranate löst ein Flammeninferno aus. Die Geiseln müssten schnellstens befreit werden. Doch Spezialisten fehlen, im Einsatz sind gewöhnliche Schutzpolizisten. Die Summe der Fehler führt zu einem einzigen Fiasko: insgesamt 17 Tote – elf israelische Athleten, ein Polizist und fünf Terroristen sterben.

Nach dem blutigen Ende der Geiselnahme stellt sich die Frage, ob in einer solchen Situation überhaupt noch an Sport zu denken ist. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage, spricht während der Trauerfeier im Olympiastadion den legendären Satz: „The games must go on.“ Und so gehen die nur ursprünglich fröhlichen Spiele sportlich weiter, bleiben aber für immer mit dem dunklen Schatten des Terrors behaftet.

Zeitzeugen behaupten viele Jahre später, dass weitaus besser geschulte Kräfte der damals streng geheimen paramilitärischen Gladio-Truppe in der Nähe von München bereit gestanden hätten. Gladio, auch „Stay behind“ genannt, war eine Organisation von CIA und NATO, die in Westdeutschland der Bundesnachrichtendienst führt. Deren Einsatzleitung wurde aber nicht informiert.

ONLINE-TIPP

Bilder und Texte zur Serie unter www.mainpost.de/diebunten70er

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