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Würzburg
"Ich brauche Hilfe": Abriss sorgt für Verunsicherung im Viertel, Würzburger Buchhändlerin spricht von Angstzuständen
Zwei umstrittene Bauprojekte sorgen für Unruhe im Würzburger Frauenland. Was macht das mit Betroffenen? Und welche Schritte sind jetzt denkbar?
Unmut im Würzburger Frauenland: Andrea Steenpaß (oben links), Kerstin Distler (unten rechts in der Mitte) und Mieter der Frauenlandgenossenschaft (oben rechts und unten links) kritisieren die Bauprojekte.
Foto: Christoph Weiß, Thomas Obermeier, Heiko Becker, Benjamin Brückner | Unmut im Würzburger Frauenland: Andrea Steenpaß (oben links), Kerstin Distler (unten rechts in der Mitte) und Mieter der Frauenlandgenossenschaft (oben rechts und unten links) kritisieren die Bauprojekte.
Aaron Niemeyer
 |  aktualisiert: 19.02.2024 02:49 Uhr

Bürgerinitiative, Räumungsdrohung, Mieterprotest: Ausgerechnet zwei genossenschaftliche Bauprojekte sorgen seit Monaten für Verunsicherung im Würzburger Frauenland. Über ein umstrittenes Abrissprojekt der Frauenlandgenossenschaft wurde zuletzt viel berichtet. Doch auch gegen ein Projekt der Würzburger Wohnungsgenossenschaft regt sich Widerstand.

Eine "energetische Sanierung" hatte die Frauenlandgenossenschaft für das in den 1920er Jahren gebaute Wohnhaus in der Frauenlandstraße im vergangenen Jahr angekündigt und dann beschlossen, das Haus komplett abzureißen. Aus der Hausgemeinschaft gab es Vorwürfe gegen das Vorgehen der Genossenschaft. Doch richtig laut wurde die Kritik erst, als sich herumsprach, dass anstelle des historischen Hauses ein für das Viertel komplett untypischer kastenförmiger Neubau entstehen soll.

"Ich wohne in der Nachbarschaft und habe beobachtet, was in der Frauenlandstraße passiert ist", sagt nun Silke Trost im Gespräch. Die Grünen-Stadträtin hatte das Thema in der vergangenen Woche im Stadtrat eingebracht und sagt: "Ich hoffe, dass dieses Projekt kein Dammbruch ist." Im Viertel gebe es viele ältere Häuser, die nicht denkmalgeschützt, insgesamt jedoch erhaltenswert seien. "Wenn das durchgeht, wie geht es weiter?", so Trost. Die Stadt brauche in solchen Fällen mehr Mitspracherecht.

Würzburger Buchhändlerin berichtet von Zukunftsangst wegen Abriss

Wenige Meter weiter, in der Wittelsbacherstraße 13-17, sind Abrissarbeiten bereits im vollen Gange. Die Würzburger Wohnungsgenossenschaft (WWG) hat dort mit einem im Stadtrat vielgelobten Abriss- und Nachverdichtungsprojekt begonnen. Wohnraum in Würzburg ist knapp und die WWG hatte aus Sicht des Stadtrats den Entwurf für einen architektonisch stimmigen Neubau vorgelegt. Doch auch an diesem Projekt gibt es Kritik.

Muss sie im hohen Alter ihre Buchhandlung räumen? Die Würzburger Buchhändlerin Andrea Steenpaß berichtet von Angstzuständen.
Foto: Christoph Weiss | Muss sie im hohen Alter ihre Buchhandlung räumen? Die Würzburger Buchhändlerin Andrea Steenpaß berichtet von Angstzuständen.

Dass ihr Lebenswerk vor dem Ende steht, hat Buchhändlerin Andrea Steenpaß laut eigener Aussage vor einem Jahr aus der Zeitung erfahren. "Wohnungsgenossenschaft schafft Wohnraum" berichtete diese Redaktion und informierte über die Abrisspläne der WWG. "Und was wird mit mir?", fragte sich hingegen die 71-jährige Steenpaß, die die Buchhandlung in der Wittelsbacherstraße seit über 20 Jahren betreibt und nun von regelmäßigen Angstzuständen berichtet.

Das Projekt der WWG umfasst drei Abschnitte: Im ersten finden bereits Bauarbeiten statt. Wohnung und Buchhandlung von Andrea Steenpaß befinden sich im angrenzenden zweiten Abschnitt. Die WWG habe ihr mitgeteilt, dass ihr Abschnitt im Jahr 2027 unvermeidbar abgerissen werde, sagt Steenpaß. Sie sei nicht bereit für den Ruhestand und an der Buchhandlung hänge ihre gesamte Existenz. Doch ihr sei klargemacht worden, dass es für den Laden keine Zukunft gebe. "Ich brauche Hilfe, doch an wen soll ich mich wenden?", fragt Steenpaß, die sich einen Aufschub bis zum Jahr 2030 wünscht.

Würzburger Wohnungsgenossenschaft: Wollen einvernehmliche Lösung finden

Ein Datum für Bauarbeiten im zweiten und dritten Abschnitt stehe noch gar nicht fest, schreibt hingegen Jochen Brand, Geschäftsführer der WWG auf Anfrage. Dabei handele es sich um "mittel- bis langfristige geplante Projekte". Ein konkretes Datum sei den Mietern daher noch nicht genannt worden. Und Andrea Steenpaß sei auch noch gar nicht gekündigt worden. Im Gegenteil habe es sogar Gesprächsangebote gegeben, die die Buchhändlerin nicht wahrgenommen habe.

'Ich brauche Hilfe': Abriss sorgt für Verunsicherung im Viertel, Würzburger Buchhändlerin spricht von Angstzuständen

"Ziel der Genossenschaft ist es, mit den Mietern eine einvernehmliche Lösung zu finden", so Brand weiter. Doch wie könnte eine Lösung aus Sicht der Genossenschaft aussehen? Und ist ein Aufschub denkbar? Dazu macht die Genossenschaft keine näheren Angaben.

"Ich habe nicht das Gefühl, dass die Genossenschaft kompromissbereit ist", sagt Kerstin Distler, die im vergangenen Jahr mit Gleichgesinnten eine Bürgerinitiative gegen das Bauvorhaben der WWG ins Leben gerufen hatte. Die Initiative hatte die Veränderung im Viertel kritisiert, Sanierung angeregt, an die Stadt appelliert und rechtliche Schritte gegen die WWG geprüft – jedoch weitgehend erfolglos.

Würzburger Oberbürgermeister Schuchardt will Thema in Städtetag einbringen

Aktuell stünden Anwohner, Betroffene wie Andrea Steenpaß und die Stadt Würzburg etwaigen ungewollten Bauvorhaben machtlos gegenüber, sagt Distler. Sie verstehe, dass es in Würzburg Bedarf an Nachverdichtung gebe. Die beiden genossenschaftlichen Projekte machten jedoch deutlich, dass das öffentliche Bewusstsein geschärft werden müsse. "Hier gibt es Handlungsbedarf", sagt Distler.

Abriss in Würzburg: In der Wittelsbacherstraße hat die WWG bereits mit den Bauarbeiten begonnen.
Foto: Thomas Obermeier | Abriss in Würzburg: In der Wittelsbacherstraße hat die WWG bereits mit den Bauarbeiten begonnen.

Doch welche Schritte sind denkbar? "Ich würde mir wünschen, dass man ein Instrumentarium findet, mit dem Gebäude, die eine Wertigkeit haben, im Bestand gesichert werden können", sagt Oberbürgermeister Christian Schuchardt im Gespräch mit der Redaktion. Er habe Verständnis für alle Bauherren, die aus wirtschaftlichen Gründen nicht sanieren wollen.

Eine Option seien daher zum Beispiel staatliche Darlehen, um unwirtschaftliche Sanierungen attraktiver zu machen. Die Zuständigkeit liege jedoch beim Bund. Er wolle das Thema daher zeitnah in den Städtetag, der Vereinigung der deutschen Kommunen, zur Diskussion stellen. 

 
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  • Sebastian Büchs
    Herr Niemeyer, ich finde es als Mieter der WWG sehr ärgerlich, wie sie hier zwei völlig unterschiedliche Probleme miteinander in einen Topf werfen. Die frauenland Genossenschaft hat tatsächlich mit ihrem fragwürdigen Vorgehen Probleme mit ihren Mietern.

    Das Projekt der WWG wurde von Anwohnern kritisiert, die nebenan wohnen und weder Baulärm, mehr Verkehr oder weniger grün wollen. Nachvollziehbar, aber inzwischen üblich bei jedwedem Projekt. Not in my backyard ist hier das Schlagwort. Das sind keine betroffenen Mieter der WWG.

    Und die Buchhandlung: Aufgabe der WWG ist, Wohnraum bereit zu stellen. Davon gibt es in Würzburg zu wenig und hier wird mehr geschaffen. Den Wunsch der Buchhändlerin, noch bis ins 77. Lebensjahr zu arbeiten finde ich beeindruckend. Aber so kann doch nicht über den Baubeginn verhandelt werden. Sie hat mehrere Jahre Zeit sich vorzubereiten, das finde ich sehr fair.
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  • Erika Hirsch
    Wohnungsbaugenossenschaften haben einmal im Jahr eine Generalversammlung zu der die Mitglieder eingeladen werden müssen.

    Dort gibt es einen Bericht des Vorstandes über das vergangene Jahr und einen Ausblick über geplante Projekte.

    Für diese Veranstaltung kann man als MieterIn im Vorfeld Anträge stellen oder während der Veranstaltung Fragen stellen.

    Leider interessiert das viele Mieter nicht, sie sehen in den Genossenschaften oft nur günstige Vermieter.
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  • Florian Evenbye
    Als Mitglied dieser Genossenschaft wurde ich noch nie eingeladen. Es gibt stattdessen eine kleine Anzeige in der Mainpost vor ab - irgendwo etwas Keingedrucktes, das man dann zufällig gelesen haben muss. Andere Genossenschaften laden da transparenter ein.
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  • Lars Hoffmann
    https://bayernlabo.de/mietwohnraum/bayerisches-modernisierungsprogramm

    Geld , verbilligte Zinsen und Programme für den Altbaubestand gibt es vom Freistaat Bayern seit langem

    Hans Sartoris
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  • Fabian König
    Ganz ehrlich: Mir kommt es so vor, als ob das Thema „Wohnungsmangel“, manchmal auch als „Wohnungsnot“ bezeichnet, in nicht wenigen Fällen nur vorgeschoben ist, um zum Teil völlig intakte, oft auch historisch wertvolle, aber eben für Renditezwecke zu kleine Gebäude dem Erdboden gleichmachen zu können, um an ihrer Stelle einen weiteren beliebigen Neubau hinzustellen. Ich frage mich, wie das sein kann? Während z.B. in Dresden ganze Häuserzeilen aus der Vorkriegszeit rekonstruiert werden, weil man begriffen hat, wie wertvoll ein stimmiges Stadtbild für die Menschen ist, geht man in Würzburg weiterhin den beschriebenen Irrweg. Liegt denn den Bauherren so wenig an ihrer Stadt? Liegt der Stadt so wenig an ihrem Stadtbild? Es kommt doch nicht von ungefähr, wenn solche Berichte viele Menschen auf die Palme bringt. Ganz zu schweigen von den bisherigen Bewohnern. Ich finde das alles extrem traurig.
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  • Nadine Hoffmann-Voigt
    ja, vorbei an den Mietern und für eine wie auch immer geartete Rentabilität - vielleicht ja nur für ein paar wenige, die gut geschmiert werden - arbeiten hier Genossenschaften! Diese Organisationen sind doch eigentlich im Sinne der Menschen/Mieter geschaffen worden, zumindest war das einmal der Grundgedanke...
    Das der Denkmalschutz dann auch noch ausgehebelt wird, setzt noch einen spezielles Gipfel obenauf - UND zeigt erst recht, dass nicht die Menschen/Mieter profitieren sollen und können, sondern nur ein paar Großkopferte mit Lust auf mehr Profit.
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  • Helmut Vierneusel
    @Herr König

    Ja, da haben Sie vollkommen Recht. Denn schon in der Amtszeit von Christian Baumgart wurde doch schon ein "neuzeitlicher Betonbaustil" kreeirt. Nur den Eigenheimbesitzern hat man Vorgaben zum Fränkischen Baustil , die da alles von Ziegelfarbe, Fenstern, Gauben und gegebenefalls noch die Fassadenfarbe vorschreiben. Da kann man natürlich die Besitzer geißeln aber selbst legt man bei gewissen Genossenschaften oder Unternehmen m.M. nach andere Kriterien zugrunde.
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  • Ulrike Herold-Zehentner
    Wenn Sie der Meinung sind, es gäbe keine Wohnraummangel, keine Wohnungsnot, dann haben Sie entweder in den letzten 20 Jahren keine Wohnung gesucht oder Sie sind in der Lage, auch horrend gestiegene Mieten zu zahlen. Als Normalverdiener oder gar Bürgergeldempfänger können Sie sich auf ein Jahr oder länger Suche einstellen.
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  • Fabian König
    Das habe ich auch nicht gesagt. Ich sagte, dass ich den Eindruck habe, dass dieses Thema in nicht wenigen Fällen nur vorgeschoben ist. Außerdem: Man kann das eine (Erhalt historischer/gebietstypischer Architektur) tun, ohne das andere (Wohnungsbau) zu lassen. Das erste darf nicht auf Kosten des zweiten gehen. Eben um derlei Mitnahme-Effekte zu vermeiden.

    Und um Ihrer Vermutung entgegenzutreten: Ich habe vor neun Jahren in Würzburg eine Wohnung gesucht und verhältnismäßig schnell eine gut bezahlbare gefunden. Dass das jetzt und für Viele anders ist, bestreite ich aber ja gar nicht. Dennoch: Der Begriff „Wohnungsnot“ suggeriert, dass die Menschen auf der Straße leben und wir wie in der Nachkriegszeit kurz davor stehen würden, dass massenhaft Menschen in fremde Häuser und Wohnungen einquartiert werden müssten. Da muss man mal die Kirche im Dorf lassen. Apropos: Es gibt auch im nahen Umland Wohnungen mit guter Infrastruktur - da muss man eben in Kauf nehmen, nicht direkt in Wü zu wohnen.
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