
Welche Menschen gehen zu einer Kuschelparty? Ist es nicht unangenehm, Fremden plötzlich so nah zu sein? Und was passiert, wenn ich mich nicht wohl fühle oder mit einer Person nicht kuscheln möchte? Fragen, die mir in den Kopf schießen, als ich zum ersten Mal von den regelmäßig stattfindenden Kuschelpartys in Würzburg höre.
Wenige Wochen später sitze ich auf einem bunt bestickten Sitzkissen in den Räumen der Physiotherapie Sandervita. Um mich herum liegen etliche noch nicht besetzte Kissen, die im Kreis angeordnet sind. Der Raum wird von Stehlampen in warmen Orangetönen beleuchtet. Nach und nach kommen immer mehr Menschen hinzu.
Manche spazieren gut gelaunt herein, winken einander zu oder umarmen sich, weil sie sich von vorherigen Treffen kennen. Andere sind unsicher, schenken den Fremden im Raum ein schüchternes Lächeln. Sie wirken nicht ganz davon überzeugt, dass ihre Anmeldung am Kuschelabend eine gute Idee war. Wenige Minuten später sitze ich 24 ganz unterschiedlichen Menschen gegenüber und Kuschel- und Berührungstrainerin Susanne Vaas-Berens eröffnet die Begrüßungsrunde.
Manchmal braucht es etwas Überwindung, um tatsächlich zum Kurs zu erscheinen
Seit rund elf Jahren leitet Susanne Vaas-Berens die Kuschelpartys in Würzburg. Einmal im Monat finden die Abende statt, in den Sommermonaten macht sie eine Pause. "Achtsame Berührungen bleiben im hektischen Alltag oft auf der Strecke, sind aber essenziell für das menschliche Wohlbefinden", erklärt die 57-Jährige. Kuscheln ist für sie "Balsam für die Seele". Mit ihren Kursen möchte sie die Menschen dazu einladen, Berührungen mehr in ihren Alltag zu integrieren.
2012 hat sich Vaas-Berens bei Rosi Doebner zur Berührungs- und Kuscheltrainerin ausbilden lassen. Doebner ist im deutschprachigen Raum die bekannteste Kuscheltrainerin und hat das Format der Kuschelabende nach Deutschland gebracht. Bei ihr hat Vaas-Berens unter anderen gelernt, wie man Kuschelabende leiten sollte, damit sich alle wohlfühlen, und wie man in Krisensituationen agieren sollte.

Mir fällt es schwer, mich auf die Begrüßungsrunde zu konzentrieren und den anderen Teilnehmenden, die sich mit "Phil" dem Kuscheltier auf dem Schoß der Reihe nach vorstellen, Aufmerksamkeit zu schenken. Mein Kopf ist damit beschäftigt, sich zu fragen, wann und wie es wohl zum ersten Kuscheln kommen und ob es gleich unangenehm wird.
"Ich habe mich schon das dritte Mal angemeldet, aber heute habe ich es zum ersten Mal geschafft herzukommen", erzählt eine Teilnehmerin bei der Begrüßungsrunde. Das lässt mich aufhorchen. Ich bin scheinbar nicht die einzige, die sich im Vorfeld Gedanken über den Abend gemacht hat. Einige lächeln auf die Aussage hin und nicken ihr zustimmend zu.
Am Kuschelkurs in Würzburg nehmen 24 ganz verschiedene Menschen teil
Meine Sitznachbarin heißt Petra und kommt aus Marktheidenfeld. Sie erzählt mir in einer der kleinen Gesprächspausen, dass auch sie vor der ersten Teilnahme aufgeregt und unsicher war. Am Ende habe sich dann aber alles ganz automatisch ergeben und natürlich angefühlt. "Weil Susanne das auch sehr schön leitet und die Musik einen irgendwie trägt", erzählt die 66-Jährige. Diesen Samstag gehört sie mit zu den ältesten Personen im Raum.
Neben Petra haben sich noch 15 weitere Frauen und acht Männer angemeldet. Die meisten von ihnen sind über 50, aber ich erkenne auch ein paar jüngere Gesichter in der Runde – zwei Frauen und zwei Männer. Einer von ihnen ist der 31-jährige Kilian Manger. Im Anschluss an den Kuschelkurs erzählt er mir, dass er seit mehreren Jahren an den Abenden im Sandervita teilnimmt.
Er hatte über das Internet von der Veranstaltung erfahren. Ein halbes Jahr und viele Google-Anfragen später war er dann das erste Mal in Vaas-Berens Runde dabei. "Ich bin ein sehr zurückhaltender Mensch und warte meistens eher darauf, dass jemand auf mich zukommt", sagt er. Weil es vielen Menschen ähnlich gehe wie ihm, seien Umarmungen selten und ihm fehle die Nähe.

Deshalb komme er gern zum Kurs, denn hier könne er in einem geschützten Rahmen Menschen umarmen und kuscheln, ohne Angst vor Ablehnung und Zurückweisung zu haben. "Viele nehmen mich als sehr ernsten und rationalen Menschen wahr", erklärt sich Manger die fehlende körperliche Nähe in seinem Leben. Doch Abende wie dieser seien für ihn eine "Tankstelle für die Seele" und er fühle sich anschließend stärker und erholter.
Wer kuschelt, tut seinem Körper etwas Gutes
Und das ist sogar wissenschaftlich bewiesen, denn beim Kuscheln schüttet der Körper die Hormone Oxytocin und Dopamin aus. Ersteres wird auch als "Kuschelhormon" bezeichnet und sorgt für körperliches Wohlempfinden, verringert Angst und Aggression und senkt den Spiegel des Stresshormons Cortisol.
Kuscheln und Körpernähe sind menschliche Grundbedürfnisse. "Das ist aber vielen Menschen gar nicht bewusst und dieses Verlangen wird in unserer westlichen Welt leider viel zu häufig unterschätzt", erklärt Kuscheltrainerin Susanne Vaas-Berens. Für Kilian Manger haben die häufigen Besuche der Veranstaltung aber noch mehr Positives bewirkt. "Die Erfahrungen hier haben etwas in mir verändert und ich kann heute viel besser aus mir herausgehen als früher", erzählt er.
Nach der Vorstellungsrunde bittet Susanne Vaas-Berens alle, aufzustehen und sich im Raum zur Musik zu bewegen. "Sorgen abschütteln" nennt sie es und mir kommt es eher vor wie ein "locker Machen" für das, was gleich kommt. "Bewegt euch im Raum und wenn ihr jemandem begegnet, heißt einander willkommen", säuselt sie zur Musik.
Vier Personen später umarme ich die Frau vor mir herzlich
Also lächele ich Paul an, der gerade auf mich zugetanzt kommt, er lächelt zurück und sagt "Hallo". Motiviert von der Einfachheit gehe ich weiter und schon bei der dritten Person denke ich mir: "Warum umarme ich die Person nicht direkt? Dafür sind wir schließlich da."
Ich atme durch und bei der nächsten Begegnung breite ich meine Arme aus. Mein Gegenüber scheint sich über die offene Geste zu freuen und wir umarmen uns kurz, dann laufen wir weiter. Beim Blick durch den Raum fällt mir auf: das scheint öfter zu passieren. Und auch wenn ich nicht ganz verstehe, wie, macht Susanne Vaas-Berens ihren Job nach den ersten 30 Minuten sehr gut.

Kurz darauf finden wir uns alle in der Mitte des Raumes zusammen und die Kuscheltrainerin erklärt den nächsten Schritt: Wir bilden zwei Kreise, elf Personen innen und zwölf außen. "Die außen berühren die Person vor sich am Rücken, streicheln oder umarmen", erklärt sie. Für mich klingt das erstmal komisch und die erste Person vor mir bekommt eher ein rhythmisches Rücken-Streicheln. Vier Personen später umarme ich die Frau vor mir herzlich.
Dann werden die Kreise getauscht. Ich merke, jeder berührt anders. Während die eine Person lieber sanft streichelt, ist es bei der nächsten eher eine angenehm feste Massage. Sexualität spielt bei keiner der Berührungen eine Rolle. Nicht ein einziges Mal während des vierstündigen Kurses kommt mir der Gedanke, dass sich etwas unangenehm oder unpassend anfühlt.
Auch beim Kuscheln gibt es klare Regeln
Paul ist heute zum ersten Mal dabei und erzählt mir, dass er seit vielen Jahren in einer glücklichen Beziehung lebt. Seinen Nachnamen möchte er nicht verraten, dafür aber den Grund, warum er am Kurs teilnimmt: "Ich habe mir im Alter vorgenommen, mehr auszuprobieren", sagt er. Als Jugendlicher sei er eher verschlossen gewesen, habe wenig Neues ausprobiert. Seit einigen Jahren hat er das geändert, um sich selbst besser kennenzulernen. Am Ende des Abends ist er zufrieden und sagt, dass er sich auf die Erfahrung gut einlassen konnte.
Doch so leicht fällt das nicht jedem. Eine Teilnehmerin erzählt nach dem Kurs, es sei ihr anfangs schwergefallen, sich auf die Berührungen einzulassen. "Bei mir hat es Jahre gedauert, bis ich das konnte", sagt sie. Drangeblieben ist sie trotzdem. Das ist die wohl größte Herausforderung, die Susanne Vaas-Berens bei diesen Abenden hat: Darauf zu achten, dass sich alle wohlfühlen, sowohl Menschen, die offen für Körperkontakt sind, als auch diejenigen, die sich nicht so schnell darauf einlassen können.

Deshalb erklärt sie zu Beginn, dass jeder auf die eigenen Grenzen achten soll, sich jederzeit aus den Kuscheleinheiten herausnehmen oder kommunizieren kann, dass er oder sie auch mal nur zuschauen möchte. Auch steht Susanne Vaas-Berens immer als Ansprechpartnerin zur Verfügung und achtet darauf, dass die Kuschelregeln eingehalten werden. Dazu zählt unter anderem, dass keine sexuellen Berührungen stattfinden dürfen, kein Küssen, niemand unter Alkohol- oder Drogeneinfluss teilnehmen darf und jeder die Grenzen des Gegenübers jederzeit respektiert.
Das große Kuscheln am Ende kann einen schon mal überfordern
Die letzte Stunde des Kuschelkurses wird dazu genutzt, dass alle gemeinsam auf den ausgebreiteten Matten kuscheln. Ich muss erstmal schlucken. Das bisherige Kuscheln und Berühren in den kleinen Dreier-Grüppchen hat sich sehr natürlich angefühlt. Doch an diesem Punkt kommt mir das erste Mal der Gedanke, dass ich das doch etwas zu viel finde.
Damit scheine ich nicht die einzige zu sein. Auch Katja sitzt etwas überfordert am Rand des Menschenhaufens und wirkt, als wüsste auch sie nicht recht, was sie von der Situation halten soll. Also stehe ich auf, setze mich zu ihr und sage ihr, dass das auch für mich etwas zu viel ist. Wir reden eine Weile, lehnen die Köpfe aneinander und beobachten die anderen.
Als ich gegen 23.45 Uhr auf dem Nachhauseweg bin, tut mir der Kopf weh. Ich freue mich darauf, endlich wieder alleine zu sein und bin froh, dass daheim niemand auf mich wartet und jetzt auch noch Körpernähe möchte. Vier Stunden waren dann doch etwas zu viel. In die Freundesgruppe auf WhatsApp schreibe ich an dem Abend noch: "Die nächsten Tage will ich erstmal niemanden mehr kuscheln."
Was kostet denn ein solcher Kuschelabend?
die Teilnahme am vierstündigen Kuschelkurs kostet 25 Euro. An besonderen Event-Abenden mehr. Anmelden kann man sich über die Website.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Gina Thiel