
Als ideale Ergänzung zum letzten Leopoldina Online-Seminar "Stress und Stressreduktion" sprach die Diplompsychologin und Verhaltenstherapeutin Stefanie Holzheimer (Psychosomatische Klinik) vor einer kleinen, frisch negativ getesteten Zuhörergruppe über das Thema Achtsamkeit. Der Zusammenhang zwischen Stress und Achtsamkeit werde deutlich bei der von dem amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn entwickelten Methode der "Achtsamkeit basierten Stressreduktion" MBSR (Mindful-Based Stress Reduction). Diese inzwischen weltweit praktizierte Technik basiere auf traditionellen buddhistischen Meditationsarten, jedoch ohne einen spirituellen Überbau.
Was genau ist Achtsamkeit?
Holzheimer beschreibt Achtsamkeit einmal als eine Lenkung der Aufmerksamkeit auf den aktuellen Moment, das "Hier und Jetzt", das durch eine offene und wohlwollende Haltung begleitet wird. Außerdem bedeutet Achtsamkeit eine Wahrnehmung, ohne zu bewerten oder zu urteilen. "Es ist, wie es gerade eben ist, und ich nehme es so an."
Soll ich alles toll finden?
Nein, dieses Akzeptieren bedeutet nicht, alles gut zu heißen oder toll zu finden – aber es vermittelt zunächst ein Stück Ruhe. Oft beurteilen wir Situationen oder Menschen allzu schnell als negativ. Dann belasten uns weniger die Tatsachen, als unsere Bewertungen. Die Psychologin betont, dass im Alltag schnelle Unterscheidungen zwischen "gut" und "schlecht" sehr wohl wichtig, oft lebenswichtig seien.
Was vermag Achtsamkeit?
"Achtsamkeit kann uns helfen, entspannter, offener und wohlwollender mit unseren Gefühlen umzugehen", erklärt Holzheimer. Gefühle wie Angst, Traurigkeit, Ärger, Eifersucht, Scham, Schuldgefühle, Ekel würden oft als Krankheiten betrachtet, die man möglichst schnell "weghaben" wolle. Doch Gefühle seien wichtige Signale unseres Körpers. Achtsamkeitsübungen helfen, sie zu entschlüsseln: Wir erkennen etwa, was wir als Nächstes tun können.
Den Gedanken ausgeliefert?
Achtsamkeit hilft bei der Unterbrechung (nächtlicher) Grübelgedanken, beim Genießen des Moments, aber auch bei der Orientierung oder bei der Gewinnung von Abstand bei überflutenden Gedanken. Mit Hilfe von Achtsamkeit vermöge man auch früher einen drohenden Rückfall einer Depression oder anderer psychischer Erkrankungen zu erkennen, so die Referentin.
Achtsamkeit auch gegen Stress?
Stress wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus, kann zu Burnout, Depressionen, Angstzuständen und Panikattacken führen. Dauerstress verursacht viele körperliche Beschwerden bis hin zum Herzinfarkt und Schlaganfall. Gerade hier kann man dieses "Gehetzt-Sein" mit Achtsamkeitstraining abbauen, um so zu einem entspannten, gesunden und bewussten Leben zu gelangen.
Welche Achtsamkeits-Übungen gibt es?
Zunächst erklärt Holzheimer Atemübungen: Augen schließen oder einen Punkt im Raum fixieren und den Atem kommen lassen. Herausfinden wo er spürbar ist: Brustkorb, Bauch, Nasenwände. Es geht um verschieden langes Ein- und Ausatmen und Atempausen, wobei längeres Ausatmen Stress reduziert und beruhigt. Doch plötzlich schweifen die Gedanken ab (Schmerzen, Sorgen, Erinnerungen, Pläne). Solche Gedanken ruhig ziehen lassen, zur Atmung als "Anker" zurückkehren.
Was ist ein Bodyscan?
Bei dieser Übung wandert man systematisch mit der Aufmerksamkeit durch den Körper, von den Zehen bis zum Kopf. Auch bei dieser Übung ist eine nicht wertende Wahrnehmung entscheidend: Missempfinden, Verspannungen oder Schmerzen sollten aus einer neutralen Beobachterposition wahrgenommen werden. Es geht um das Annehmen der gegenwärtigen Situation, was sich oft als erster Schritt zur Veränderung erweist. Die Erfahrung wächst, dass viele Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen kommen und auch von allein wieder gehen, wenn man sie nicht festhält.
Was ist die 5-4-3-2-1-Methode?
Bei dieser Meditationsmethode steht die Außenorientierung über einen bewussten Einsatz der drei Sinne Sehen, Hören, Spüren im Vordergrund. Man beginnt, indem man zunächst fünf Dinge aus seiner Umgebung aufzählt, die man sieht. Holzheimer: "Bemerken Sie dann fünf Dinge, die Sie hören können und benennen Sie diese ebenso. Danach nehmen Sie nacheinander fünf Dinge wahr, die Sie spüren können (Kontakt der Füße zum Boden, Wind auf der Haut). Danach je vier Dinge aufzählen, danach je drei usw. Diese bewusst empfundenen Sinneswahrnehmungen helfen, quälende Gedanken loszulassen und in die Gegenwart zurückzukehren. Die Übungen können auch dazu beitragen, besser einzuschlafen und Ängste zu mindern."
Wo kann ich Achtsamkeit erlernen?
Achtsamkeitskurse bieten Krankenkassen und die Volkshochschule an, im Buchhandel gibt es Übungsanleitungen mit CD. In der Psychosomatischen Klinik des Leopoldina wird eine stationäre Behandlung mit einer Dauer von sechs bis sieben Wochen angeboten. Hier ist Achtsamkeitstraining ein wichtiger Baustein von vielen Therapieangeboten bei psychosomatischen Erkrankungen.
Jeden Freitag von 14 bis 16 Uhr telefonische Beratung unter Tel. (09721) 7206582. Bei Interesse für einen Therapieplatz kann man sich mit einer Stationsassistentin in Verbindung setzen: Tel. (09721) 7203610. Mail: psychosomatik@leopoldina.de