Seit dem 1. Juli werden auf Burg Brattenstein in der Operette "Orpheus in der Unterwelt" die Götterfiguren der Antike vom Sockel gestoßen - Anspielungen auf die Region inklusive. Im Gespräch mit Regisseur Matthias Kaiser, dem Musikalischen Leiter der Frankenfestspiele Rudolf Hild und der Kostümbildnerin Angela C. Schuett geht es um Weinpanscher, zwielichtige Gestalten aus der Unterwelt und darum, welche Botschaft Lachen haben kann.
Rudolf Hild: Eine Operette zu finden, ist nicht einfach, weil die einschlägigen Stücke wie "Die Fledermaus" oder "Wiener Blut" und andere in Röttingen alle schon aufgeführt wurden. Da sind der Intendant Lars Wernecke und ich darauf gestoßen, dass eine Operette von Jaques Offenbach hier noch nie gelaufen ist – wobei er ja der Erfinder der Operette schlechthin ist. Hängengeblieben sind wir bei seinem ultimativen Stück: "Orpheus in der Unterwelt".
Matthias Kaiser: Ich fand das charmant, weil die Röttinger Frankenfestspiele ja vor Jahren mal die Nestroy-Festspiele waren. Offenbach und Nestroy sind Vettern im Geiste, was die Komik betrifft. Nestroy hat außerdem den europa- und weltweiten Siegeszug von "Orpheus in der Unterwelt" begründet, da er die erste deutsche Version auf die Bühne gebracht hat.
Kaiser: Jede Aufführung von "Orpheus in der Unterwelt" ist heutzutage eine eigene Fassung; jedes Theater macht daraus etwas Eigenes. Auch Offenbach selbst hat zahlreiche Varianten des Stückes erarbeitet. Davon geblieben sind die kleine Fassung von 1858, auf der unser Stück basiert, und die große von 1874. Bei Liedern wie dem berühmten Couplet "Als ich einst Prinz war von Arkadien" ist es Tradition, dass man es im politischen oder lokalen Zusammenhang der jeweiligen Örtlichkeit anpasst.
Hild: Offenbach hat sein eigenes Theater gehabt, das von der Zeitkritik lebte. "Orpheus in der Unterwelt" ist voller Anspielungen auf Ereignisse und Personen der damaligen Zeit. Wenn man das Stück heute adäquat rüberbringen will, muss man es an die heutige Zeit anpassen.
Kaiser: Ich habe die Sprechtexte zwischen den musikalischen Nummern komplett neu und in moderner Sprache geschrieben, ebenso wie ein Viertel der Liedtexte. Auf Basis der alten deutschen Übertragung von Ludwig Kalisch aus dem 19. Jahrhundert – die Operette ist ja in französischer Sprache komponiert – habe ich außerdem hier und da noch etwas drüber gefeilt. Rudolf Hild hat eine Röttinger Partitur von "Orpheus" geschrieben und den Ton von Offenbach wunderbar getroffen.
Hild: Man steht in Röttingen immer wieder vor der Herausforderung, ein Stück mit wenigen Musikern spielen zu müssen – die die jeweilige Musik auch noch treffend interpretieren können. Die Band bei "Orpheus" besteht, inklusive mir, aus nur sieben Musikern. Alles, was an Instrumenten fehlt – von der Pauke bis hin zur großen Trommel, spielt unsere "Wundertüte", ein zweites Keyboard…
Kaiser: Wir haben bei "Orpheus in der Unterwelt" neun Solisten, die alle sehr gute Sänger und spielfreudig sind.
Angela C. Schuett: Gestorbene in der Unterwelt, die sich im Leben nicht immer ganz korrekt verhalten haben – wen gibt’s da an historischen Figuren? Alle, die uns einfielen, haben wir aufgeschrieben: unter anderem Heinrich VIII., Richard Wagner, Nosferatu, Eva Braun, Kleopatra. Dann haben wir unter den Mitgliedern des Extra-Ensembles geschaut, welche Figur zu wem passen würde. Einer ist zum Beispiel 1,90 Meter groß, das war ganz klar Heinrich VIII.
Kaiser: Man muss die Burg spielen, sich zu ihr bekennen. So zu tun, als ob man in einem normalen Theater wäre, hielte ich inszenatorisch für falsch. Unser Stück beginnt also da, wo wir sind: auf der Burg in Röttingen. Die öffentliche Meinung hat dort ihren Behördenschreibtisch, Orpheus ist Geiger in Rudis Kapelle, Eurydike gehört zum Gastropersonal der Burg. Der Ehekonflikt zwischen Orpheus und Eurydike findet jetzt und hier auf der Burg statt. Daraus entwickelt sich das Stück.
Kaiser: Unser Pluto-Darsteller kann Fränkisch – und tritt in seiner Rolle als Aristeus als Weinpanscher auf, statt als Bienenzüchter, wie bei Offenbach. Venus macht einen Ausflug ins Rotlicht-Viertel von Bad Mergentheim. Und der Unterweltdiener Styx ist bei uns ein berühmter bayerischer Nationalheld, der bei einem großen Münchner Fußballclub Karriere gemacht hat. Ich habe aber keine Fassung geschrieben, die wie eine Karnevalssitzung die hiesige Lokalpolitik aufs Korn nimmt. Jupiter ist Jupiter - und nicht der Bürgermeister von XY.
Kaiser: Ja. Es gibt zwei Momente, die eigentlich unbedingt körperliche Nähe erfordern: die Verführungsszene von Pluto und Eurydike, und das "Fliegenduett", als Jupiter, als Fliege verkleidet, in Eurydikes Schlafzimmer fliegt, um mit ihr anzubandeln. Für beide Szenen habe ich mich einer alten Theatertechnik bedient: der Teichoskopie, auch Mauerschau genannt. Das heißt, es gibt einen Dritten, der hinter den Schauplatz schaut – und den Zuschauern durch seine Kommentare und sein Verhalten erzählt, was dort passiert.
Kaiser: "Orpheus in der Unterwelt" ist schon ernst gemeinte Komödie, macht sich aber auch lustig: über das Genre, die Figuren, die immer auch eine Karikatur ihrer selbst sind, über die Musik. Das Stück verfolgt keine mit Ernst vorgetragene Botschaft. Lachen ist die Botschaft: über die Mächtigen, die Absurditäten der Fassade einer hierarchischen Gesellschaft im Himmel. Das Herunterwerfen der Mächtigen von ihren Podesten – nicht mit Gewalt, sondern mit Lachen, ist lustig und übertragbar auf jede Gesellschaft.
Kaiser: Im normalen Theaterbetrieb tut jeder das, wofür er seinen Vertrag hat. Hier machen alle alles – sie helfen dabei, die Bühne sauber zu machen, fassen bei den Requisiten mit an. Den Teamgeist und das Bewusstsein fürs Ganze hier finde ich beeindruckend. Im normalen Betrieb kuckt jeder auf seinen Teller…
Hild: … und dann kommt der Satz "das hab' ich nicht im Vertrag"… Das gibt’s hier nicht, da könnten wir gleich aufhören, wenn wir so rangehen würden.
Schuett: Im normalen Theaterbetrieb gibt’s immer wieder Schauspieler, die beim Anblick ihres Kostüms sagen: "Das macht mich dick!" oder "Grün steht mir nicht!". In Röttingen nicht. Weil alle wissen, dass es hier schwierig ist, Dinge zu beschaffen. Da sagt jeder: "Wenn Du das nicht hast, kuck' ich mal in meinem Schrank".
Kaiser: Keiner hier macht's für die Gage. Alle machen's für den Spaß.
Nächste Vorstellungen von "Orpheus in der Unterwelt" am 16., 24. und 30. Juli sowie am 15., 19. und 20. August. Karten unter Tel: (09338) 972855 oder www.frankenfestspiele.de