- Was ist das für ein Stück? Bei "Orpheus in der Unterwelt" von Jaques Offenbach, 1858 in Paris uraufgeführt, handelt es sich um die erste Operette überhaupt. Regisseur Matthias Kaiser und der musikalische Leiter der Festspiele, Rudolf Hild, haben für Röttingen eine eigene Fassung in Text und Musik geschaffen – mit überarbeiteten Liedtexten und neu geschrieben Dialogen sowie einer neuen Partitur.
- Worum geht es? Inszeniert als Parodie auf die griechische Göttersage liefert sich das Ehepaar Orpheus und Eurydike einen Rosenkrieg: Die Ehe ist verkorkst, man hat sich nichts mehr zu sagen. Orpheus, der als Geiger arbeitet und zu seinem Instrument eine innigere Beziehung hat als zu seiner Frau, ist erleichtert, als diese von ihrem Liebhaber Pluto in die Hölle entführt wird. Doch die öffentliche Meinung will Moral und Anstand wiederherstellen – und pocht darauf, dass Orpheus bei den Göttern seine Frau zurückfordert. Göttervater Jupiter befragt daraufhin Pluto nach Eurydike. Da dieser jedoch leugnet, sie je gesehen zu haben, begibt sich der gesamte Olymp in die Unterwelt, um die Sache aufzuklären.
- Warum lohnt es sich, die Operette zu sehen? Das Publikum erwartet ein extrem kurzweiliges Stück: Schwungvolle Musik, stimmgewaltige Solistinnen und Solisten, tolle Tanzszenen, witzige Dialoge, originelle Kostüme – eingebunden in das Setting vor Ort: Orpheus spielt als Geiger in Rudi Hilds Kapelle, Eurydike gehört zum Gastro-Personal der Burg und Pluto – in Gestalt des Aristeus – ist ein Weinpanscher, der Müller-Thurgau mit Wasser streckt. Die Röttinger Fassung der Operette greift Offenbachs Mythologie-Veralberung perfekt auf, und kommt gleichzeitig zeitgemäß herüber.
Es sind zwei gegensätzliche Welten, in die das Publikum eintaucht: Vor der Pause spielt sich das Geschehen im tatsächlichen Setting von Burg Brattenstein ab – und im Olymp, einer sterilen, in weiß gehaltenen Wellness-Oase, in der sich die Götter in Bademänteln auf ihren Liegestühlen langweilen und ein Tag dem anderen gleicht. Nach der Pause geht es in die Unterwelt: ein in rotes Licht getauchter Schrottplatz, auf dem, inmitten kaputter Autoteile, zwielichtige Gestalten herumlungern und es Bier, Burger und jede Menge Erotik gibt.
Spätestens hier zeigt sich das gelungene Zusammenspiel der Solistinnen und Solisten mit den Mitgliedern des Extra-Ensembles, die voll in ihren Rollen als Höllenbewohner - unter anderem Nosferatu, Eva Braun, Heinrich VIII. und Richard Wagner, aufgehen.
Mitreißend auch die Lieder, die die – inklusive Leiter Rudolf Hild – aus nur sechs Musikern bestehende Band auf die Bühne bringen. Vor allem der "Höllen-Cancan", das bekannteste Stück der Operette, begeistert. Durch die hervorragenden Solisten, ein engagiertes Extra-Ensemble, eine Choreografie, die alle Beteiligten coronagemäß auf Abstand hält, ohne an Schwung einzubüßen, phantasievolle Kostüme und eine gelungene Lichtstimmung fühlt sich das Publikum direkt in die Unterwelt versetzt.
"Uli Styx" begeistert als Unterweltdiener
Für Lacher sorgt unter anderem Götterbote Merkur (Daniel Ebert), der zunächst mit fliegendem Blümchen-Poncho und Hawaii-Hütchen auf einem Elektroroller auf die Bühne gerollt kommt, um die Götter zum Ausflug in die Unterwelt zu bewegen. Vor den Toren der Unterwelt verwandelt er sich in den Unterweltdiener "Uli Styx" - in Anlehnung an Uli Hoeneß, Ex-Manager des FC Bayern München. Von da an jagt ein anzüglicher Fußball-Kalauer den nächsten – sehr zum Vergnügen des Publikums.
Und so verwandelt Regisseur Kaiser auch Offenbachs bekanntes Lied des Styx "Als ich einst Prinz war von Arkadien" in das selbstmitleidige "Denn ich war Stürmer von Bavaria". Ende des Liedes: ein theatralisches Schluchzen des "Uli Styx", der – in Erinnerung an seine grandiosen Leistungen als Fußballer – wehmütig seinen Fußballschuh ansingt.
Spontanen Applaus bekam auch das "Fliegenduett" zwischen Eurydike (Anne Steffens) und Jupiter (Martin Sommerlatte). In der Urfassung von Offenbach will Jupiter Eurydike als Fliege verkleidet bezirzen. In Röttingen tut er es im Flieger-Outfit, und so summen und brummen Jupiter und Eurydike sich durch die Verführungsszene. Da körperliche Nähe coronabedingt auf der Bühne nicht stattfinden kann, wurde sich einer alten Theatertechnik bedient: der sogenannten Mauerschau, bei der Styx als Dritter vor dem roten Vorhang steht und schildert, was die beiden dahinter treiben. In einem Stück, das von erotischen Anspielungen strotzt, wirkt dies weniger wie eine Notlösung, denn als eleganter Kunstgriff.
Sehr überzeugend auch die öffentliche Meinung: Mit einem Blaulicht ausgestattet, das aufheult, sobald ein unanständiges Wort fällt, führt die Schauspielerin Angela H. Fischer die Zuschauer mit strenger Hand und trockenem Humor durch die vergebliche Suche nach Anstand und Moral.
Und die Moral von der Geschicht'? Lachen befreit und schafft es, die Mächtigen von ihrem Sockel zu stoßen – ganz ohne Gewalt.
Weitere Aufführungen bis zum 20. August. Infos und Karten unter www.frankenfestspiele.de und Telefon (09338) 9728-55.