"Wir freuen uns wahnsinnig, dass wir hier zusammen sein können, und dass auch Sie wieder da sind, das ist sehr berührend", begrüßte Lars Wernecke, Intendant der Frankenfestspiele Röttingen, das Publikum auf Burg Brattenstein. Über 100 Menschen waren trotz Niesel- und gegen Ende heftigem Regen in den Burghof gekommen, um sich bereits vor den Premieren der drei Hauptstücke von einem Teil des Ensembles auf das Programm einstimmen zu lassen.
Das ungemütliche Wetter konnte der Emotionalität dieser Situation nichts anhaben: "Dies ist unser erster Publikumskontakt seit über einem Jahr", stellte Wernecke gerührt fest. Das gesamte Festspiel-Team hätte bei der Absage der Saison 2020 das Ziel gehabt, im Sommer 2021 wieder bereit zu sein. "Schlechte Nachrichten kommen von selbst, für gute muss man sorgen – wir haben alles getan, was in unserer Macht stand", fasste der Intendant die Unsicherheit und Mühen des vergangenen Jahres zusammen.
Seit Mai laufen die Proben; mit Hilfe eines sehr engmaschigen Hygienekonzepts, das auch Inszenierungen bei höheren Inzidenzen als den aktuellen erlaubt, soll den Zuschauern ein entspannter Sommer ermöglicht werden. Für die drei Hauptstücke bringt dies einige Herausforderungen mit sich: "Zwischen den Künstlern wird auf der Bühne immer ein Abstand von mindestens 1,50 Meter eingehalten, auch bei den Tanz- und Kussszenen", so Wernecke.
"Sugar" eröffnet die Festspiele
Dass man Nähe darstellen kann, ohne sich körperlich nahe zu sein, beweisen Marie-Sophie Weidinger und Björn Boresch bei der Vorstellung der Musical-Komödie "Sugar – Manche mögen’s heiß", die unter der Regie von Lars Wernecke mit der Premiere am 17. Juni die Frankenfestspiele eröffnen wird. Mit reichlich Abstand besingen die beiden ihre Zuneigung – mit dem Song "Wir sind uns so nah".
Das Musical nach Billy Wilders Film "Some like it hot" über die arbeitslosen Musiker Jerry (Björn Boresch) und Jo (Sven Zinkan – wunderbar ironisch im Duett mit Boresch) spielt im Chicago der 20er Jahre und wurde 1972 in New York uraufgeführt.
Die Handlung: Jerry und Jo werden von der Mafia verfolgt und verkleiden sich als Frauen, um in einer Damenkapelle untertauchen zu können. Joe verliebt sich in die Sängerin Sugar (Marie-Sophie Weidinger), und Jerry muss sich als Daphne gegen die Annäherungsversuche des Millionärs Sir Osgood Fielding wehren. Diese Rolle sollte ursprünglich mit Pavel Fieber besetzt werden, der über viele Jahre zur Stammbesetzung der Frankenfestspiele gehörte. Da Fieber im Juli 2020 verstarb, wurde die Rolle an Hans B. Goetzfried vergeben, der sich dem Publikum mit einer Liebeserklärung an Röttingen vorstellte: "Ich bin in ein wunderbares Nest gefallen."
Spontanes Geburtstagsständchen und Kuchen
Auch Regisseur Dietmar Horcicka zeigte sich begeistert, wieder in Röttingen zu sein. "Das ist so ein schönes Bild", freute er sich über den Anblick des Publikums, "ich bin richtig beseelt." Nachdem er 2019 bei den Frankenfestspielen Regie bei der Komödie "Glorious!" geführt hatte, widmet er sich nun mit der Komödie "Ziemlich beste Freunde" erneut einem Stück, das auf einer wahren Begebenheit basiert.
Angelehnt an den gleichnamigen Kinohit von 2012, adaptierte René Heinersdorff das Stück für die Bühne: Philippe (Ingo Brosch), ein adliger ehemaliger Geschäftsführer, ist seit dem Absturz bei einem Gleitschirmflug halsabwärts querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Driss (Deryl Kenfack), ein junger Mann, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, wird sein Pfleger – und damit beginnt eine außergewöhnliche Freundschaft.
Schauspieler Deryl Kenfack sorgte für einen weiteren emotionalen Moment der Matinée: Er wurde am Sonntag 30 Jahre alt – und bekam neben einem spontanen Geburtstagsständchen, das der musikalische Leiter der Festspiele, Rudolf Hild, zusammen mit dem Publikum anstimmte, auf der Bühne einen Kuchen von seinem Kollegen Ingo Brosch überreicht.
Dieser berichtete im Anschluss, wie er sich auf seine Rolle vorbereitet hat, in der er auf Kopfbewegungen und Mimik reduziert ist. "Wenn es erst mal 'klick' gemacht hat, ist das Leben auf vier Rädern genauso wie auf zwei Beinen", habe ihm ein Querschnittsgelähmter erzählt. Dies habe ihn sehr beeindruckt: "Mitleid mit der Figur des Philippe zu haben, wäre der falsche Ansatz, um die Rolle zu spielen."
Liebes-Chaos und zwielichtige Gestalten
Komplettiert werden Musical und Schauspiel von der Operette "Orpheus in der Unterwelt" von Jaquues Offenbach. Inszeniert von Matthias Kaiser, mit einer musikalischen Fassung von Rudolf Hild, bringt das Ensemble eine eigens für die Festspiele geschaffene Parodie über die griechische Göttersage auf die Bühne, bei der Röttingen, Franken und Bayern aufs Korn genommen werden.
"Dies ist die einzige Operette ohne Liebesgeschichte, aber mit viel Erotik", kündigte Regisseur Matthias Kaiser das Stück an, in dessen Zentrum die verkorkste Ehe von Orpheus und Eurydike steht. Zunächst zusammen mit Wolfram B. Meyer als Pluto, später im Duett, besangen Frederike Faust als Diana und Lisa Ziehm als Venus das Liebes-Chaos in Ober- und Unterwelt. In letzterer werden laut Kostümbildnerin Angela C. Schuett einige "historisch zwielichtige Gestalten" wie unter anderem Richard Wagner, Cleopatra und Eva Braun anzutreffen sein.
Anfangs sei es befremdlich gewesen, wieder mit so vielen Leuten zusammen zu arbeiten, so Frederike Faust. Sie habe sich aber schnell daran gewöhnt, zudem würden alle Ensemblemitglieder dreimal wöchentlich auf Corona getestet. Dennoch müsse man stets aufpassen und mitdenken: "Requisiten dürfen auf der Bühne zum Beispiel nicht weitergegeben werden, ehe sie desinfiziert wurden", so Faust.
Tanzübungen beim Zähneputzen
Wie andere Ensemblemitglieder auch, hat sie die Matinee genutzt, um einen Einblick in die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen zu bekommen. "Wir haben nur Kontakt zum eigenen Team, man trifft die anderen höchstens mal auf der Straße", bestätigte Nina Basten, die in "Sugar" die Rolle der Sweet Sue verkörpert. Auch die Wohnungen, in denen die Künstler während der Festspielsaison untergebracht sind, wurden diesmal entsprechend der einzelnen Ensembles aufgeteilt.
Dass all diese Beschränkungen dem speziellen Zauber der Festspiele nichts anhaben können, beweist Karl Kuhn, Mitglied im zwölfköpfigen Extra-Ensemble: "Ich ertappe mich dabei, wie ich sogar beim Zähneputzen meine Tanzschritte übe", sagt er und lacht. "Es ist toll, hier mitmachen zu können."