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Würzburg/Rottendorf
Eisenheim-Prozess: Bizarres Schauspiel eines Zeugen um Mord-Frage
An Tag drei im Berufungsprozess um den Tod von Theresa Stahl sagte die Zeugin aus, die im Herbst 2020 Nachermittlungen auslöste. Ein anderer Zeuge sorgte indes für Kopfschütteln.
Drei der vier Angeklagten (im Hintergrund) kommen am Freitag mit ihren Anwälten am Gut Wöllried an.
Foto: Silvia Gralla | Drei der vier Angeklagten (im Hintergrund) kommen am Freitag mit ihren Anwälten am Gut Wöllried an.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:28 Uhr

Wurde Niclas H., der Hauptangeklagte im sogenannten Eisenheim-Prozess, von Beifahrer Marius H. angestiftet, Theresa Stahl zu überfahren? Um diese Frage drehte sich am Freitag der dritte Tag der Berufungsverhandlung um den Tod der 20-Jährigen vor dem Landgericht Würzburg, das erneut aus Platzgründen in der umfunktionierten Festscheune im Gut Wöllried bei Rottendorf tagte. Der Verhandlungstag dürfte den Prozessbeteiligten wohl lange in Erinnerung bleiben – doch der Reihe nach.

Der Verdacht, dass der heute 23-jährige mitangeklagte Beifahrer den volltrunkenen Fahrer Niclas H. in jener Aprilnacht 2017 auf der dunklen Landstraße aufgefordert haben soll, die Fußgängerin zu überfahren, kam im vergangenen Herbst auf. Plötzlich standen Mord und Anstiftung zum Mord im Raum – der damals schon laufende Berufungsprozess wurde für Nachermittlungen ausgesetzt, gegen Niclas H. und Marius H. Haftbefehle erlassen. Grund war eine neue Zeugin, die sich im September 2020 bei der Polizei gemeldet hatte und nun vor Gericht aussagte.

Ihre Geschichte: Im Oktober oder November 2017, ein halbes Jahr nach der tödlichen Alkoholfahrt, sei ihr von einem heute 24-jährigen Freund erzählt worden, er habe auf einer Geburtstagsparty von Marius H. "die Situation genutzt" und den betrunken Gastgeber nach dem Unfall gefragt. Der habe ihm offen erzählt, dass die vier Angeklagten nach dem Weinfestbesuch kein Geld mehr für ein Taxi gehabt hätten, um auf eine weitere Feier zu fahren. Daraufhin hätten sie Niclas H. ans Steuer seines VW Golf gesetzt, damit dieser – der Betrunkenste an dem Abend – die Schuld hätte, falls etwas passiert.

"Das Wissen hat mich jahrelang belastet."
21-jährige Studentin im Zeugenstand

Als Theresa und ihr Freund ins Blickfeld der Fahrzeuginsassen kamen, soll Marius H. aus Spaß "Überfahr sie!" oder "Fahr sie um!" gerufen haben. Danach soll Niclas H. auf die Fußgängerin zugefahren sein und sie erfasst haben. Anschließend seien die vier weiter nach Untereisenheim (Lkr. Würzburg) gefahren. Niclas H. sei am Steuer bewusstlos geworden, daraufhin hätten die drei Mitfahrer den Golf mit dem damals 18-Jährigen am Steuer in einen Graben geschoben und seien geflohen.

Nicht mit Mordermittlungen gerechnet

"Das Wissen hat mich jahrelang belastet", erklärte die 21-jährige Zeugin. Warum sie sich erst so spät gemeldet hat? Der Freund, der ihr die Geschichte weitererzählt haben soll, habe sie gedrängt, nicht zur Polizei zu gehen. "Er wollte mit der Polizei nichts zu tun haben", so die 21-jährige Studentin. Die beiden hatten sich einst im Jugendarrest kennengelernt.

Letztlich sei sie zur Polizei gegangen, weil sie sich für Theresas Familie wünsche, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Und weil sie befürchtet habe, das Urteil gegen Niclas H., mit dem sie früher "sehr eng" befreundet gewesen sei, könnte im Berufungsprozess hart ausfallen. "Ich dachte, ich könnte ihn entlasten." Dass ihre Aussage zu Mordermittlungen führte, habe sie nicht kommen sehen. Schlecht habe sie sich damals gefühlt, sagte sie unter Tränen.

Wahrheit gesagt, in Polizeigewahrsam genommen

Doch wie glaubwürdig ist die Geschichte? Und wie glaubwürdig ist die junge Frau, die schon einmal als Jugendliche als Beschuldigte gegenüber der Polizei falsche Angaben gemacht hatte? Die Nachermittlungen im zurückliegenden Jahr konnten den Mordverdacht jedenfalls nicht erhärten. Und anfangs war sich die Zeugin gar unsicher, von wem sie diese neue Version der Tatnacht, die die Rolle der drei Mitangeklagten in ein anderes Licht rückt, gehört hatte. Neben der heute 24-jährigen Bekanntschaft aus dem Jugendarrest hatte sie der Polizei auch einen 23-jährigen Kumpel genannt.

Beide Männer sollen Gäste der Geburtstagsfeier im Herbst 2017 gewesen sein und standen am Freitag schon vor der 21-Jährigen im Zeugenstand. Der 23-Jährige hatte im vergangenen Jahr zunächst wahrheitsgemäß ausgesagt, dass er die Geschichte nie gehört hatte. Als die Ermittler ihm das nicht glaubten, musste er eine Nacht in Polizeigewahrsam bleiben. Danach log er, er habe der Zeugin doch von einem solchen Bericht von Marius H. erzählt – "um frei zu kommen", wie er nun erklärte. Später widerrief er die Falschaussage, die ihm dennoch eine Ermittlung wegen Strafvereitlung einbrachte. Staatsanwalt Ingo Krist stellte ihm in der Sache Milde in Aussicht, weil er nun die Wahrheit gesagt habe.

Zeuge verstrickt sich in Widersprüche

Ein bizarres Schauspiel bot dagegen der 24-Jährige, der vor Gericht jegliches Mitwissen abstritt. Er behauptete, dass er erst 2019 von dem Unfall überhaupt erfahren hatte: vom Hauptangeklagten Niclas H., der ihm betrunken und unter Tränen erzählt habe, ihm werde "ein Mord" vorgeworfen, den er nicht begangen habe. Die Zeugin will er erst 2019 im Jugendarrest kennengelernt haben. Und Marius H. hätte er zuletzt im Oktober 2020 gesehen. Da saß der aber in Untersuchungshaft. Und als das Gericht dem 24-Jährigen vorhielt, dass er bereits 2017 im Jugendarrest war, räumte er ein, die Zeugin doch schon länger zu kennen. Aber danach habe er sie wenn, dann nur zufällig auf der Straße getroffen.

An dieser Stelle dauerte die Vernehmung schon eine knappe Dreiviertelstunde und Staatsanwalt Krist riss der Geduldsfaden. Auf dem im Zuge der Nachermittlungen sichergestellten Handy des 24-Jährigen hatten sich nämlich nicht nur Fotos von ihm mit der Zeugin gefunden, sondern auch ein Chat mit rund 300 Nachrichten. "Hier sitzt ein Vater, der seine Tochter verloren hat, und wir versuchen hier die Wahrheit herauszufinden. Also strengen Sie sich an", schimpfte Krist. Philipp Schulz-Merkel, Anwalt von Theresas Vater, drohte sogleich mit einer Strafanzeige wegen Falschaussage.

Handy noch im Gericht sichergestellt

Er habe viele Gedächtnislücken, weil er jeden Tag nach Feierabend einen Joint rauche, versuchte sich der 24-Jährige herauszureden. Richter Michael Schaller unterbrach die Befragung daraufhin, "damit sich der Zeuge sammeln kann".

Der blieb auch nach der Pause dabei und war sich zu "einer Million Prozent sicher": Er habe erst im Sommer 2019 von dem Unfall erfahren und der 21-jährigen Zeugin habe er nie eine solche Geschichte erzählt. Sie habe schon immer viel gelogen, Kontakt habe er mit ihr nur gehabt, weil er eine Nacht mit ihr verbringen wollte. Insgesamt glaubte der Staatsanwalt dem jungen Mann nicht. Nach zweistündiger Befragung ließ er noch im Gericht das Handy des 24-Jährigen sicherstellen und startete ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage.

Prozess wird am 5. Oktober fortgesetzt

Vom sexuellen Interesse des 24-Jährigen an ihr, ahnte die 21-Jährige indes nichts. Ob mehr als Freundschaft im Spiel gewesen sei und sie es für möglich halte, dass der 24-Jährige sie mit der Geschichte um Marius H. beeindrucken wollte, fragte das Gericht die Zeugin. "Nein", antwortete sie. Als sie mit dem 24-Jährigen Kontakt hatte, "hatte er ja eine Freundin". Ihre Vernehmung wird am Dienstag, 5. Oktober, dem nächsten Verhandlungstag, fortgesetzt.

Hinweis: Der Autor dieses Textes steht trotz Namensgleichheit mit der Familie des Opfers in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis.

 
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  • H. M.
    Die Beschuldigten und Zeugen sowie die Zeugin glauben wohl, dass sie sich vor Gericht aufführen können, wie das in den unsäglichen Gerichtsshows im TV oftmals vorgemacht wurde. Respekt vor dem Gericht sowie vor dem Opfer - Fehlanzeige!! Die wussten damals genau was sie tun. Schließlich haben sie den betrunkensten Kumpel ans Steuer gelassen. In dem Wissen, dass, wenn was passiert dieser mit einer glimpflichen Strafe davon kommt. Sie haben also vorsätzlich eine Trunkenheitsfahrt zugelassen! Wahrscheinlich glauben die noch, dass Teresa selbst schuld war, weil sie dort gelaufen ist. Es ist unfassbar, dass die offensichtlich nicht das geringste Unrechtsbewusstsein haben. Hoffentlich schlägt sich dieses asoziale Verhalten im Urteil endlich nieder. Allein mir fehlt der Glaube daran. Und für die Zukunft: Der § über den fahrlässigen Vollrausch muss sofort abgeschafft werden!!!
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  • M. Z.
    Vorsicht. Wenn der besagte Paragraph abgeschafft würde, wäre sowas gar nicht mehr strafbar.

    Der Paragraph sorgt dafür, daß jemand bestraft werden kann, auch wenn er dank zu wenig Blut im Alkohol bei der eigentlichen Tat nicht zurechnugsfähig war.
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  • H. A.
    Wegsperren, auch die Zeugin denn so richtig scheint weder von den Angeklagten noch von der Zeugin die Wahrheit gesagt zu werden. Hier scheint sich jeder von denen der nächste zu sein und erzählt irgendwelche Märchen um die eigene Haut zu retten.
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  • S. K.
    Alles was mir dazu einfällt
    würde gegen die Netiquette verstoßen...

    hab auch jemand bei einem Unfall verloren
    und da gabs auch "nur" ne Geldstrafe...
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  • D. Z.
    Ich stimme Dir vollumfänglich zu. Jedoch ist die Rechtsprechung das eine. Die gab es vor dem Vorfall, auch wenn man die ungerecht empfindet. Viel schlimmer empfinde ich in diesem Fall jedoch das langjährige Verhalten der vier Angeklagten. Schämen solltet ihr euch! Ab hier greift bei mir auch die Netiquette.
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  • I. M.
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  • P. Q.
    Da wir gelogen...rauf und runter....keine Moral, kein Ehrgefühl. Wie überall, jeder denkt nur an sich.
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  • D. K.
    Willkommen in der Realität.
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  • P. K.
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  • M. R.
    Ich kann dass nur so kommentieren:

    UNFASSBAR
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  • W. P.
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