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Würzburg/Eisenheim
Eisenheim-Prozess: Eine neue Version der Tatnacht
Die Berufungsverhandlung im sogenannten Eisenheim-Fall wurde am Donnerstag in Würzburg bis auf weiteres ausgesetzt. Grund sind neue Zeugenaussagen – und ein Mordverdacht.
Beifahrer Marius H. wurde am Donnerstag von der Polizei ins Gericht gebracht. Er sitzt in Untersuchungshaft.
Foto: Thomas Obermeier | Beifahrer Marius H. wurde am Donnerstag von der Polizei ins Gericht gebracht. Er sitzt in Untersuchungshaft.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:55 Uhr

Marius H. ist der erste der vier Angeklagten, der am Donnerstagfrüh im Landgericht Würzburg erscheint. Aus der Untersuchungshaft von zwei Polizisten vorgeführt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Platz genommen, wippt er nervös minutenlang mit dem rechten Bein. Am zweiten Tag der Berufungsverhandlung im sogenannten Eisenheim-Prozess spielt der 22-Jährige plötzlich keine Nebenrolle mehr: Vor einer Woche sind gegen ihn und den 21-jährigen Hauptangeklagten Niclas H. Haftbefehle erlassen worden – wegen des Verdachts auf Mord und Anstiftung zum Mord. Was an den Vorwürfen dran ist, müssen nun weitere Ermittlungen klären. Denn seit diesem Donnerstag gibt es  wieder mehr Fragen als Antworten – und neue Ungereimtheiten um den Tod von Theresa Stahl.

Bislang stellte sich die Tatnacht im April 2017 wie folgt dar: Stark betrunken setzte sich Niclas H. nach einem Weinfestbesuch in Untereisenheim (Lkr. Würzburg) ans Steuer seines VW Golf. Mit im Auto: drei ebenfalls betrunkene Kumpels. Nach einigen Fahrmanövern auf einem Parkplatz bog der damals 18-Jährige in Schlangenlinien auf eine Umgehungsstraße Richtung Eisenheim ab. Dort überfuhr er die 20-jährige Fußgängerin. In der Ortsmitte stiegen die drei Mitangeklagten aus. H. fuhr weiter und landete wenig später in einem Straßengraben.

Soweit die Annahme von Ermittlern und Gericht bislang. Nach dem ersten Tag der Berufungsverhandlung vor rund zwei Wochen aber meldete sich bei der Polizei eine Zeugin mit einer ganz anderen, neuen Version der Ereignisse.

Die neue Version der Tatnacht: "Fahr sie um"

Von der Aussage der jungen Frau berichtete ein Ermittler am Donnerstag vor Gericht. Sie habe erfahren, was Beifahrer Marius H. angetrunken auf einer Party erzählt habe. Die Angeklagten hätten nach dem Weinfestbesuch alle noch auf eine Feier fahren wollen. Die drei Mitfahrer hätten Niclas H. ans Steuer gesetzt, weil er "am besoffensten" gewesen sei. Sie seien davon ausgegangen, dass er am wenigsten zu befürchten gehabt hätte, sollten sie erwischt werden.

Auf der Umgehungsstraße hätten die Angeklagten die Fußgängerin und ihren Freund wahrgenommen. Auf der Party soll der Zeugin zufolge Marius H. erzählt haben, wie er Niclas H. mit den Worten "Fahr sie um" dazu anstiftete, die 20-Jährige gezielt zu überfahren. Im weiteren Verlauf der Fahrt sei Niclas H. dann bewusstlos geworden. Als das Auto zum Stehen kam, seien die drei Mitfahrer ausgestiegen, hätten den Golf in den Straßengraben geschoben und seien geflohen.

Zeuge in Haft genommen

Die Zeugin habe der Polizei unter anderem den Namen des jungen Mannes genannt, von dem sie diese Geschichte gehört haben will, so der Ermittler. Nachdem sich dieser in der Vernehmung aber nicht kooperativ gezeigt habe, sei er festgenommen worden. Nach einer Nacht in Untersuchungshaft habe er vor dem Ermittlungsrichter zumindest einen Teil eingeräumt: Marius H. habe ihm ein halbes Jahr nach Theresas Tod auf einer Geburtstagsfeier erzählt, dass er Niclas H. "im Spaß" aufgefordert habe, die Fußgängerin zu überfahren.

Der Ermittler hält diese Version der Ereignisse für plausibel. Die Aussage der Zeugin passe "sehr gut ins Bild". 56 Zeugen seien inzwischen vernommen worden. Was im April 2017 wirklich passiert ist – daran habe es immer Zweifel gegeben. So hätten die Ermittler schon früh den Verdacht gehabt, dass der Golf in den Straßengraben geschoben wurde: Das Auto habe keine Beschädigungen aufgewiesen  wie man sie erwarten würde, wenn ein Fahrzeug von der Straße abkommt.

Neue Gutachten, neue Handydaten, neue Zeugen

Die Verteidiger äußerten dagegen Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Version. Hans-Jochen Schrepfer, Verteidiger von Niclas H., nannte die neuen Zeugenaussagen "sehr befremdlich". Tatsächlich gibt es noch einige Ungereimtheiten: Der Anwohner etwa, der den Golf im Straßengraben gefunden hatte, sagte bereits aus, außer Fahrer Niclas H. niemanden vor Ort gesehen zu haben. Und ein anderer Zeuge hatte früher gegenüber der Polizei angegeben, er habe einen Mitfahrer in der Ortsmitte von Eisenheim aus dem Golf steigen sehen – also bevor das Auto im Graben landete. Am ersten Verhandlungstag vor zwei Wochen wollte er sich an diese Aussage allerdings nicht mehr erinnern.

Richter Reinhold Emmert hält Nachermittlungen in dem Fall für erforderlich.
Foto: Thomas Obermeier | Richter Reinhold Emmert hält Nachermittlungen in dem Fall für erforderlich.

Und so blieb am Donnerstag nur eine Gewissheit: Um den Tod von Theresa Stahl endlich aufzuklären, sind weitere Ermittlungen notwendig. Daher setzte das Gericht die Berufungsverhandlung bis auf weiteres aus. Der Verdacht auf Mord und Anstiftung zum Mord stehen weiter im Raum. Laut Richter Reinhold Emmert muss nun ein Gutachten zur Schuldfähigkeit von Marius H. angefertigt werden. Und es muss neu geprüft werden, ob Niclas H. vor dem Hintergrund der neuen Vorwürfe schuldfähig sei. Außerdem stünden weitere Zeugenvernehmungen und die Auswertung von Handydaten an.

"Nachermittlungen waren immer das, was wir gewollt haben."
Philipp Schulz-Merkel, Anwalt von Theresas Vater Ronald Stahl

Wann die Verhandlung wieder aufgenommen wird, ist offen. Der Zeitrahmen für eine Aussetzung "ist nicht festgelegt", erklärt der Würzburger Strafrechtler Professor Eric Hilgendorf. Zwar seien Ermittler und Gutachter "gehalten, zügig zu arbeiten". Doch hänge gerade in diesem Fall viel von der Frage der Schuldfähigkeit der Beschuldigten und damit von der Genauigkeit der Sachverständigen ab.

Philipp Schulz-Merkel, Anwalt von Theresas Vater Ronald Stahl, ist mit der Entwicklung "zufrieden". "Nachermittlungen waren immer das, was wir gewollt haben", sagte er. Stahl betonte, wie froh er sei, dass die Zeugin den Mut gehabt habe, sich doch noch zu melden.

Warum sich die Zeugin erst jetzt gemeldet hat

Warum sie das erst jetzt tat? Sie habe es als ungerecht empfunden, berichtete der Ermittler, dass Niclas H. in "ganz Deutschland" als Hauptschuldiger dargestellt worden sei. Und sie habe im Berufungsprozess ein härteres Urteil befürchtet. Sie habe mit ihrer Aussage dem 21-Jährigen, mit dem sie früher gut befreundet war, helfen wollen.

Dieser Plan ging nicht auf. Rechtsanwalt Schrepfer will sich "gegen den Tatvorwurf wehren" und hofft nun, dass sein Mandant, den psychischen Stress überstehe. Schon zweimal habe Niclas H. versucht, sich das Leben zu nehmen. 

An den Haftbefehlen gegen Niclas H. und Beifahrer Marius H. hielt das Gericht am Donnerstag fest. Während der Haftbefehl gegen Niclas H. gegen Auflagen ausgesetzt ist, sitzt Marius H. also weiter in Untersuchungshaft.

Hinweis: Der Autor dieses Textes steht trotz Namensgleichheit mit der Familie des Opfers in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis.

 
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    Massiver Alkoholmissbrauch kostet Menschenleben. Das ist die Schattenseite der steuer-subventionierten 'Fränkischen Weinfestkultur'. Konsequente Alkoholkontrollen im nahen Umfeld der Weinfeste könnten Menschenleben retten und den Angehörigen viel Leid ersparen.
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Spaß

    ja was heutzutage alles Spaß ist. Hab mal gelernt, um richtig Spaß zu machen und zu verstehen, bedürfte es einer gewissen Intelligenz.

    Naja, hoffentlich bewahren sich die Betreffenden ihren goldigen Humor, wenn sie selber mal die Leidtragenden von sowas werden...

    (Vorsicht Sarkasmus)
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