Gut 20 Jahre lang war er im Aufsichtsrat der Deutschen Presse-Agentur (dpa), zehn Jahre davon als Vorsitzender. Jetzt hat sich Main-Post-Geschäftsführer David Brandstätter aus dem Gremium verabschiedet. Wie die Agentur, hinter der rund 170 Gesellschafter stehen, aufgestellt ist, wie sie sich gewandelt hat und warum sie so wichtig ist, erklärt der 63-Jährige im Interview.
David Brandstätter: Damals hätte ich wahrscheinlich gefragt, was macht die Agentur eigentlich? Wie ist die aufgestellt und wozu brauchen wir die?
Brandstätter: Die dpa ist genau in dem Jahr gegründet worden, als das Grundgesetz in Deutschland verabschiedet wurde. Sehr schnell danach haben sich die deutschen Medien aufgrund von Artikel 5, der nun gesetzlich garantierten freien Meinungsäußerung, entschlossen, eine Nachrichtenagentur aufzubauen, die ihnen ihr eigentliches Kerngeschäft besser ermöglicht. Wir haben ja überwiegend regionale und lokale Zeitungen in Deutschland. Die überregionalen spielen nicht wirklich eine große Rolle, anders als in Frankreich oder Spanien. Um aber die nationalen und vor allem internationalen Themen, einschließlich Fotos, optimal abzudecken, hat man eine Agentur gegründet. Eine, die weltweit tätig ist, die unabhängig ist und in der möglichst alle Medienhäuser mitmachen.
Brandstätter: Wir haben 170 Gesellschafter, weil das wirklich die beste Form der Unabhängigkeit ist. Kein einzelner darf mehr als 1,5 Prozent Anteile haben. Dadurch haben wir die Absicherung, dass jede Art von Einflussnahme verhindert wird, darauf sind wir stolz bei der dpa. Das gibt es weltweit sehr selten. Was die Menschen oft nicht wissen: Wir bekommen keine Staatszuschüsse und wir haben keine Investorengelder. Hinter Reuters stehen große Investoren und die afp in Frankreich bekommt fast so viel Staatszuschuss wie wir Umsatz machen.
Brandstätter: Ich fühle mich sehr viel wohler als Journalist, wenn ich sagen kann: Wir müssen unser Geld selbst verdienen. Das ist viel, viel härter, aber wir haben das Höchstmaß an Unabhängigkeit und uns redet kein Staat rein. Wir müssen uns sehr anstrengen, denn das klassische Nachrichtengeschäft ist in den roten Zahlen. Aber wir können durch viele neue Geschäfte, Angebote und Dienstleistungen die Zahlen so ausgleichen, dass wir immer ein positives Gesamtergebnis haben und die Unabhängigkeit erhalten können. Das ist die beste Voraussetzung für unabhängigen Journalismus.
Brandstätter: Es war von vornherein das Angebot, dass möglichst alle Medienhäuser mitmachen im Sinne einer Solidargemeinschaft. Und es müssen ziemlich alle gewesen sein. Sogar sehr kleine Zeitungen wie das Obermain Tagblatt waren und sind Gesellschafter. Selbst die Süddeutsche, selbst ARD oder ZDF brauchen eine Agentur als Ergänzung zu ihrem Netzwerk. Besondere Bedeutung hat das Thema "weltweite Bildbeschaffung".
Brandstätter: Es ist eine große Herausforderung – zum Beispiel bei unvorhersehbaren Ereignissen wie Erdbeben oder wenn es um Krisengebiete geht. Das geht nur mit einem extrem guten Netzwerk. Wir kooperieren weltweit mit 300 Agenturen, selbst mit Russland müssen wir zusammenarbeiten, wenn man Bilder von einem Flugzeugabsturz oder dergleichen haben will. Auch mit den Chinesen wird zusammengearbeitet. Natürlich wird zugeliefertes Material genau verifiziert.
Brandstätter: Eine der Kompetenzen der dpa! Wenn sie so viel Fremdmaterial bekommen, müssen sie das extrem sorgfältig auf Echtheit und Plausibilität überprüfen können. Wir machen als Dienstleister inzwischen auch Faktenchecks für die ganze Branche und bieten dazu Schulungen für unsere Kunden an. Für Google zum Beispiel checken wir inzwischen alle Kandidatinnen und Kandidaten der Wahlen in EU-Ländern, für Facebook checken wir Fakten. Natürlich haben wir sehr intensiv im Aufsichtsrat darüber diskutiert, weil Google, Facebook und Co. nicht unbedingt unsere Wunschpartner sind. Da habe ich damals gesagt: Was wir nicht verhindern können, damit müssen wir uns auseinandersetzen. Denn Google und Facebook ist es egal, ob wir für sie Fakten checken oder die Franzosen.
Brandstätter: Sie deckt für uns alle nationalen und internationalen Themen ab und wir greifen auf wertvolle Hintergrundinformationen zurück. So, dass wir uns zu 100 Prozent darauf konzentrieren können, unsere Region abzubilden und möglichst jede journalistische Energie dafür einzusetzen. Das ist unsere größte Kompetenz.
Brandstätter: Denkbar ist immer alles, aber wir könnten nicht annähernd die Qualität bieten, wie wir das heute tun. Es haben einige Verlage versucht, auf die Dienste der dpa zu verzichten. Sie sind alle gescheitert und heute wieder Kunde der dpa. Außerdem können wir viel von der Agentur lernen, denn sie war immer medienneutral, hat schnell die Bedeutung des Internets erkannt. Heute arbeiten auch wir völlig medienneutral, der Kunde soll entscheiden, ob er Nachrichten in gedruckter oder digitaler Form konsumieren möchte. Dieses Know-how der dpa, dieser Vorsprung in der Arbeitsweise wird heute mehr denn je geschätzt und daher sind alle relevanten Medienhäuser auch Kunde der Agentur.
Brandstätter: Das wird ein Problem in Zukunft, denn wir erleben eine starke Konsolidierung in der Branche. Dennoch müssen wir diese Organisationsstruktur, wie wir sie heute haben, beibehalten: dass wir überparteilich und unabhängig sind, dass kein Staat reinredet und wir keine Machtkonzentration haben. Diese Unabhängigkeit war auch meine Hauptmotivation für die Arbeit im Aufsichtsrat: Ich glaube, wir leisten damit einen ganz, ganz großen Beitrag für die Demokratie. Leider, das zeigt meine Lebenserfahrung, ist das nicht jedem bewusst.
Brandstätter: Alles, was scheinbar immer vorhanden ist, verliert an Wert. Wenn ich die AfD-Ergebnisse bei der Europawahl sehe, dann ist für mich klar: Die Menschen, die altersbedingt noch nah an furchtbaren Ereignissen der Nazi-Diktatur dran waren, haben eine andere Distanz zu politischen Extremisten als unsere Erstwähler. Wenn ich sehe, wie viele junge Leute AfD wählen – da habe ich schon mein Problem damit. Ich kann es mir nur erklären, dass Demokratie für sie einfach immer da war und alle Freiheiten und Rechte als selbstverständlich empfunden werden. Nein, Demokratie ist nicht selbstverständlich. Und deshalb ist für mich guter Journalismus, unabhängiger Journalismus so wichtig. Er ist der Sauerstoff für die Demokratie.
Sind nicht dpa-Berichte auch gewinnoptimierter zugekaufter Einheitsbrei statt Meinungsvielfalt aus dem eigenen Medienhaus?