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Würzburg
Der brutale Messerangriff in Aschaffenburg löst bei Kindern Nöte und Ängste aus: Wie Eltern reagieren sollten
Kleine Mädchen und Jungen wurden Zeugen einer schrecklichen Tat. Andere Kinder hören davon. Was macht das mit ihnen? Wie können sie unterstützt werden? Das rät ein Experte.
Prof. Marcel Romanos, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg.
Foto: Johannes Kiefer | Prof. Marcel Romanos, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 28.01.2025 02:36 Uhr

Kinder mussten am Mittwoch das Schrecklichste miterleben, was man sich vorstellen kann. Ein Mann greift sie plötzlich mit einem Messer an, verletzt sie. Sie sind in Gefahr, es herrscht Panik, es fließt Blut, ein Kind stirbt. Aber auch an Kindern, die in der Familie, in den Nachrichten oder in ihrem Freundeskreis davon hören, geht der Schock nicht vorbei.

Jeder Mensch, der eine solche schreckliche Tat miterlebt oder von ihr erfährt, egal in welchem Alter, ist erst mal erschüttert und zeigt eine psychische Belastungsreaktion, sagt Professor Marcel Romanos. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg erläutert, wie nahestehende Personen bei der Verarbeitung helfen können.

Frage: Kinder, die von einer solchen Gewalttat hören, können Ängste entwickeln. Wie sollten Eltern damit umgehen?

Prof. Marcel Romanos: Wichtig ist, dass nichts bagatellisiert wird und die Sorgen der Kinder ernst genommen werden. Mit ihnen sollte offen geredet und in einfacher Sprache erklärt werden: So etwas kann grundsätzlich passieren, kommt aber selten vor. Wichtig ist, dass Kinder sich aufgehoben fühlen und spüren, sie können, wenn sie Sorgen haben, zu ihren Eltern kommen und darüber reden. Sie werden nicht ausgelacht. Wenn ihre Sorgen weggewischt werden, dann hören Kinder auf, mit den Eltern zu reden.

Das gilt nicht nur für Gewalttaten.

Romanos: Sicher, Kinder erfahren alle möglichen problematischen Inhalte: Krieg, Naturkatastrophen – oder von der Krebserkrankung der Oma. Das kann sie belasten und verstören. Wenn diese Belastungen jedoch über das normale Maß hinausgehen und sich nicht legen, dann sollte überlegt werden, ob das Kind eine Beratung braucht.

Wie kann Kindern, die das Attentat direkt miterlebt haben, bei der Verarbeitung geholfen werden?

Romanos: Normale Reaktionen sind – nicht nur bei Kindern: Weinen, Schock, Ängste. Kinder werden anhänglich, ändern ihr Essverhalten, können aggressiv werden. Eltern sollten da sein für sie, Trost spenden. Und wenn Kinder darüber reden möchten, sie reden lassen, ihnen zuhören. Auch wenn sie irrationale Ängste entwickeln, Schuldgefühle wie: Warum bin ich nicht verletzt worden oder gestorben? Wenn Kinder darüber sprechen möchten, dann sollten Erwachsene das auffangen, einordnen und Verständnis zeigen. Aber sie sollten die Kinder nicht zum Reden zwingen.

Worauf sollten Eltern noch achten?

Romanos: Keinesfalls sollten die Gefühle der Kinder entwertet und das schreckliche Erlebnis bagatellisiert und unter den Teppich gekehrt werden. Auch müssen Kinder zwar nicht sofort wieder am nächsten Tag in den Sportverein oder in den Kindergarten gehen. Aber es sollte so rasch wie möglich wieder Alltag, Normalität hergestellt werden, kein langfristiger Schonraum geschaffen werden. Sonst gibt man dem traumatisierenden Erlebnis einen zu breiten Platz.

Plüschtiere, Blumen, Kränze und Kerzen liegen nach dem tödlichen Angriff in Park Schöntal in Aschaffenburg. Kinder und Erzieherinnen mussten Traumatisches miterleben. 
Foto: Daniel Löb, dpa | Plüschtiere, Blumen, Kränze und Kerzen liegen nach dem tödlichen Angriff in Park Schöntal in Aschaffenburg. Kinder und Erzieherinnen mussten Traumatisches miterleben. 
Und wenn dennoch eine Traumatisierung auftritt?

Romanos: Eine Traumafolgestörung kann sich erst Monate später entwickeln. Symptome sind Schlafstörungen, emotionale Labilität sowie Flashbacks. Das heißt: Das Ereignis schießt unkontrollierbar wieder in den Kopf und ist in diesem Augenblick wieder real. Es wird nicht als Erinnerung wahrgenommen, sondern als ein Wiedererleben.

Wie wird eine Traumafolgestörung behandelt?

Romanos: Kinder werden im Prinzip mit den gleichen Methoden wie Erwachsene traumatherapeutisch behandelt, aber die Form wird an sie angepasst. Eine Möglichkeit ist EMDR (Anm. d. Redaktion: EMDR steht für "Eye Movement Desensitization and Reprocessing", die Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen). Eine andere ist die narrative Expositionstherapie. Kurz erläutert: Wer es schafft, setzt sich mit therapeutischer Begleitung dem Ereignis erneut emotional und kognitiv aus, ordnet es ein und überwindet es. Erwachsene beschreiben dazu ihre Lebensgeschichte schriftlich oder mündlich und verordnen das Ereignis zeitlich. Was war davor, was danach, was kam hinzu, was war meine Rolle in diesem Prozess?

Wie gelingt das bei Kindern?

Romanos: Eine Expositionstherapie kann bei Kindern spielerisch oder plastisch gemacht werden. Es wird eine Lebenslinie zum Beispiel durch eine Schnur symbolisiert. Dann werden Steine oder Blumen an die Schnur gelegt: Dort warst du geboren, dann warst du da oder dort. So wird eine historisch chronologische Kette aufgebaut, in der auch das traumatische Ereignis eingereiht wird.

Warum ist das wichtig?

Romanos: Traumatische Erinnerungen dringen mit viel Wucht ins kindliche Gehirn ein. Diese Gedächtnisinhalte sind so stark ausgeprägt, dass sie immer wieder auftauchen und sich entkoppeln. Es gelingt keine Zuordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit. Andere normale Gedächtnisinhalte entwickeln eine Kontinuität. Ziel der Therapie ist, die Erinnerungen wieder einzuordnen und sich an diesen Gedanken zu gewöhnen und ihm dadurch die Schärfe zu nehmen. Das gelingt auch bei Kindern.

 
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  • Alfred Nowak
    Wie wäre es einmal die Ursachen für solche schrecklichen Taten zu bekämpfen und nicht immer nur die Auswirkungen. Eigentlich haben wir, die Bürger, unsere Volksvertreter hierfür gewählt1
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