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Schweinfurt
Psychische Ausnahmesituation: So kann das Krisennetzwerk Unterfranken Menschen in Krisen helfen
Eine psychische Erkrankung oder Probleme in der Familie, ein Trauerfall, Einsamkeit, Geldsorgen: Wer nicht mehr weiter weiß, kann sich an die Leitstelle des Krisennetzwerks wenden.
Wer sich in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, kann sich beim Krisennetzwerk Unterfranken melden. Dafür ist keine psychiatrische Diagnose erforderlich.
Foto: Lisa Marie Waschbusch | Wer sich in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, kann sich beim Krisennetzwerk Unterfranken melden. Dafür ist keine psychiatrische Diagnose erforderlich.
Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 10.01.2025 02:33 Uhr

Wer tief in einer psychischen Krise steckt, weiß oft nicht mehr weiter. Dabei muss es sich gar nicht um eine psychiatrische Erkrankung – etwa eine Depression, Angststörung oder Psychose – handeln, die einen in diese Situation bringt. Auch Probleme in der Partnerschaft, ein Todesfall in der Familie oder Geldsorgen können solche Krisen auslösen. In allen Fällen hilft das Krisennetzwerk Unterfranken. 

Das Gebäude der Leitstelle wirkt unscheinbar, der genaue Standort soll nicht genannt werden. Damit niemand vorbeikommt, die Kontaktaufnahme soll ausschließlich telefonisch ablaufen. Die Räumlichkeiten – eine Altbauwohnung, hohe Decken, große Fenster, Parkettboden – sind hell und freundlich eingerichtet. Eine Küche, ein Badezimmer, ein Schlafsofa. An einer Wand im Gemeinschaftsraum hängen Bilder der Mitarbeitenden.

Rund um die Uhr erreichbar, auf zwei oder drei Leitungen

Das Telefon ist rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr besetzt, die Mitarbeitenden arbeiten im Schichtdienst. Tagsüber sind zwei Leitungen offen, nachts eine. "Wenn beide im Gespräch sind, kommt eine Mail hinein. Wie eine Mailbox-Nachricht", sagt Simona Kralik, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie ärztliche Leiterin des Krisennetzwerks Unterfranken. Man könne das Angebot sogar auf drei Leitungen erweitern. Das Schlafsofa steht da, damit eine zweite Person in Rufbereitschaft sein kann, falls nachts doch einmal mehr Hilfesuchende anrufen.

Am Hörer sitzen Fachkräfte – Psychologinnen und Psychologen, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Pflegekräfte mit Zusatzausbildung Psychiatrie. Sie alle haben Vorerfahrungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen und Krisenarbeit. Der Job ist kein Ehrenamt, die Kräfte arbeiten in Voll- oder Teilzeit, in der Leitstelle des Krisennetzwerks Unterfranken sind es 17.

Dr. Simona Kralik, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztliche Leitung des Krisennetzwerks, und Dr. Daniel Kilian, Koordinator Krisennetzwerk beim Bezirk Unterfranken
Foto: Lisa Marie Waschbusch | Dr. Simona Kralik, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztliche Leitung des Krisennetzwerks, und Dr. Daniel Kilian, Koordinator Krisennetzwerk beim Bezirk Unterfranken

Die Krisendienste Bayern sind mit der Reformierung des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes 2018 entstanden. Der Hintergrund: Die Suizidzahlen sowie die Anzahl der Unterbringungen in den psychiatrischen Kliniken zu verringern und allen einen niederschwelligen Zugang zu fachlicher Hilfe ermöglichen. Die Vorgabe: Es braucht eine Leitstelle und ein mobiles Einsatzteam, damit rund um die Uhr ein niederschwelliges, flächendeckendes Angebot geschaffen wird.

Angebot gilt in ganz Bayern mit einheitlicher Telefonnummer

Seit März 2021 gibt es das Krisennetzwerk Unterfranken, richtig losgegangen mit dem Rund-um-die-Uhr-Betrieb ist es im Juli 2021. Es gibt eine einheitliche Telefonnummer für den gesamten Krisendienst Bayern. Das Ganze funktioniert über Geo-Routing: Wer aus Unterfranken anruft, kommt auch bei der Leitstelle in Unterfranken heraus. Wer von außerhalb Bayerns anruft, wird darauf hingewiesen, dass er sich an die Krisendienste vor Ort wenden soll.

Simona Kralik und Daniel Kilian, Koordinator Krisennetzwerk beim Bezirk Unterfranken, erklären, wie das Prozedere abläuft: Kommt ein Anruf bei der Leitstelle an, heißt es erst einmal Zuhören. Worum geht es? Was braucht die Person? Einen Facharzt, weil es eine medikamentöse Behandlung braucht? Einen Psychologen? In dringenden Fällen oder wenn es um sozialpsychiatrische Themen geht, kann das Krisennetzwerk in der Institutsambulanz in Schweinfurt oder beim Sozialpsychiatrischen Dienst (SpDi) der Caritas Schweinfurt einen kurzfristigen Termin vereinbaren. 

Die Liste an Hilfsangeboten ist lang

Die Bandbreite der Kontakte, die die Leitstelle habe, sei groß, erklärt Daniel Kilian. Frauenhäuser, Suchtberatungen, Angebote für Menschen mit Fluchterfahrungen, Familienberatung, Schuldnerberatung. Die Liste ist lang. "Wir können gemeinsam das notwendige Angebot ermitteln und gegebenenfalls den Kontakt herstellen. Es gibt für fast alles ein Hilfsangebot, man muss es nur kennen."

Stellen die Mitarbeitenden der Leitstelle bei einem Anruf aber fest, dass es sich um einen Notfall handelt, den man am Telefon nicht auflösen kann, wird eines der drei mobilen Einsatzteams – es gibt je eins in Würzburg, in Schweinfurt und in Aschaffenburg – informiert. Innerhalb von einer Stunde sind die Fachkräfte bei der betroffenen Person vor Ort.

"Wir hatten noch keinen Einsatz, bei dem es keine Lösung gab."
Daniela Rottmann

Eine, die selbst im mobilen Einsatzteam gearbeitet hat, mittlerweile aber das Einsatzteam für Main-Rhön koordiniert, ist Daniela Rottmann. "Wir werden zu jedem Problem geholt. Es kann alles sein, man weiß nie, was einen erwartet", erklärt sie. "In erster Linie geht es um die Entlastung und dass der Klient die nächsten Stunden wieder gut zurechtkommt. Wir hatten noch keinen Einsatz, bei dem es keine Lösung gab." 

Koordiniert das mobile Einsatzteam für die Region Main-Rhön: Daniela Rottmann.
Foto: Anand Anders | Koordiniert das mobile Einsatzteam für die Region Main-Rhön: Daniela Rottmann.

Suizidalität ist häufigster Einsatzgrund bei mobilen Teams

Die Einsätze laufen immer zu zweit ab. Kommt der Anruf der Leitstelle, packen die Mitarbeitenden, ebenfalls qualifizierte Fachkräfte mit Berufserfahrung im sozialpsychiatrischen Bereich, ihre Sachen und fahren zu einem Entlastungsgespräch am Einsatzort. "Dieses kann überall stattfinden: bei den Betroffenen zu Hause, im Park, auf der Polizeistation", sagt Rottmann. "Wir kommen mit einem unauffälligen Pkw, sodass es anonym ist." 

In mehr als der Hälfte der Einsätze gehe es um Suizidalität. Je nachdem, wie ernst die Lage sei – wenn beispielsweise jemand auf einer Brücke steht und damit droht, zu springen –, kontaktiere die Leitstelle zusätzlich zum Einsatzteam auch die Polizei. "Ist ein direktes Einschalten der Polizei nicht erforderlich, bleibt ein Mitarbeiter des Krisennetzwerks am Telefon, bis das mobile Einsatzteam vor Ort ist", erklärt Rottmann.

Genau wie die Leitstelle ist das mobile Einsatzteam auch dafür da, Alternativen zur Klinik aufzuzeigen. Manchmal sei aber auch eine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus notwendig, sagt Rottmann. Es müsse immer im Einzelfall entschieden werden. "Man schaut vor Ort, am Ort der Krise, welche Möglichkeiten es für den Klienten gibt, die am schonendsten ist und am meisten entlastet."

Krisendienst: Keine Therapie, sondern ein erster Entlastungsschritt

Der Kontakt, sowohl mit der Leitstelle als auch mit dem Einsatzteam ist einmalig. "Der Krisendienst ist keine Therapie, sondern ein erster Entlastungsschritt", betont Rottmann. Das gehöre zur Krisenarbeit dazu, nicht zu wissen, was mit den Klientinnen und Klienten nach dem Gespräch oder dem Einsatz passiert, weiß Simona Kralik von der Leitstelle. Selbst, wenn jemand sich noch einmal meldet, bekomme er sehr wahrscheinlich nicht den gleichen Mitarbeiter, die gleiche Mitarbeiterin. 

Den meisten Anrufenden allerdings reiche das erste Gespräch schon aus. "80 Prozent brauchen tatsächlich nichts mehr", sagt Kralik. "Krisenarbeit ist schon wirksam, allein dadurch, dass es die Möglichkeit gibt, dass jemand da ist und man immer anrufen kann." Klar habe es auch schon traurige Einsätze gegeben, welche, bei denen keine Hilfe mehr möglich war, sagt Kralik. Das sei allerdings die Ausnahme. Schön sei, wenn ehemals Hilfesuchende anrufen und sich bedanken, dass es ihnen geholfen hat. 

Einer der Räume in der Leitstelle des Krisennetzwerks Unterfranken. Hier werden die Anrufe angenommen.
Foto: Archivbild: Thomas Obermeier | Einer der Räume in der Leitstelle des Krisennetzwerks Unterfranken. Hier werden die Anrufe angenommen.

2023 hatte die Leitstelle in Unterfranken 11.000 Anrufe. "Wenn man sich das erste Quartal anschaut, werden wir im Jahr 2024 auf 15.000 kommen", sagt Kralik. Krisendienste würden gut angenommen, die Zahlen stiegen jährlich. Durch Schulungen der Polizei, Mailing-Aktionen an Ärzte und Beratungsstellen, einen Stadtbus in Schweinfurt und eine Aktion mit bedruckten Bäckertüten soll der Dienst Bekanntheit in der Bevölkerung erlangen "Trotzdem stellen wir immer wieder fest: Viele Leute haben noch nie von uns gehört", sagt Daniel Kilian.

Seit August 2023 ist es dem Team möglich, einen Dolmetscherdienst in 120 Sprachen telefonisch hinzuzuziehen. Geplant sind weitere Kooperationen und Angebote – für Menschen mit Autismus oder Taubstummheit, damit möglichst viele Menschen den Krisendienst für sich nutzen können. Kralik sagt: Das Angebot gebe es jetzt seit drei Jahren, man müsse es ständig weiterentwickeln, "und wir sind noch nicht fertig".

 
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