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Würzburg
Nach Messerangriff: Wie eine Therapie mit Augenbewegungen Traumatisierten hilft
Nach traumatischen Erlebnissen sollte man sich schnell Hilfe suchen, rät Marion Schowalter. Mit welcher Methode sie Betroffenen des Würzburger Messerangriffs helfen konnte.
Die Würzburger Therapeutin Dr. Marion Schowalter behandelt traumatisierte Menschen. Eine anerkannte Therapieform ist EMDR, bei der Augenbewegungen entscheidend sind. Ein Hilfsmittel sind Lichtsignale.
Foto: Thomas Obermeier | Die Würzburger Therapeutin Dr. Marion Schowalter behandelt traumatisierte Menschen. Eine anerkannte Therapieform ist EMDR, bei der Augenbewegungen entscheidend sind. Ein Hilfsmittel sind Lichtsignale.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:11 Uhr

Auch Menschen, die beim Messerangriff am 25. Juni in Würzburg zwar nicht verletzt wurden, aber brutale Szenen miterlebt haben, sind Opfer – und traumatisiert. Furchtbare Bilder haben sich in ihren Kopf gebrannt. Nicht verdrängen, sondern sich schnell Hilfe suchen, lautet der Rat von Dr. Marion Schowalter. Die Psychologische Psychotherapeutin hat nach dem schrecklichen Ereignis ein Hilfsprojekt mit Unterstützung der Stadt Würzburg initiiert: eine Akut-Traumatherapie.

Alle betroffenen Personen, auch Augenzeuginnen und Augenzeugen des Messerangriffs, erhielten laut Schowalter wenige Tage nach dem Messerangriff eine Einladung zu einer Informationsveranstaltung in Würzburg. Dort wurden Hilfsmaßnahmen vorgestellt und Wege aufgezeigt.

Die Traumatherapeutin nennt als "potenteste Therapie" EMDR. Die Buchstaben stehen für die englische Bezeichnung "Eye Movement Desensitization and Reprocessing" - Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen. Die wissenschaftliche anerkannte Methode ist das Mittel der Wahl bei einer Akuttherapie, sagt Schowalter. Mit hoher Erfolgsquote. Damit Traumatisierte schnell Hilfe erhalten konnten – und noch können -, hat sie rund 15 Therapeutinnen und Therapeuten in der EMDR-Methode geschult. Wie diese Methode genau funktioniert, erklärt sie im Interview.

Frage: Was bewirkt EMDR?

Marion Schowalter: Durch EMDR werden belastende innere Bilder und Erlebnisse verarbeitet – und das in nur wenigen Sitzungen. Nach einer Behandlung fühlen sich die Patienten deutlich entlastet. Als besonders effektiv hat sich die Methode bei akuter Traumatisierung wie zum Beispiel bei den Betroffenen der Messerattacke gezeigt.

Das geschieht durch Augenbewegungen?

Schowalter: Das Gehirn verarbeitet das Trauma über die Augenbewegung beziehungsweise sucht nach einer Möglichkeit, um die schrecklichen Gefühle aufzulösen. Diese Bewegungen der Augen beziehungsweise der Pupillen von rechts nach links werden vom Therapeuten angeleitet. Entweder folgen die Augen den beiden erhobenen Fingern der Therapeuten oder - aufgrund der durch die Corona-Pandemie bedingten Abstandsregeln - einem künstlichen Lichtsignal auf einer waagrechten Stableuchte.

"Es melden sich immer noch Betroffene, die dachten, sie kommen alleine mit dem Erlebten klar. Das ist eher nicht der Fall."
Traumatherapeutin Dr. Marion Schowalter
Gibt es eine Erklärung für diese Form der Verarbeitung?

Schowalter: Es geht bei EMDR um eine bilaterale beziehungsweise Rechts-Links-Stimulation. Wenn ich gehe oder jogge, dann bin ich auch in diesem Modus unterwegs. Der Effekt ist: Man bekommt den Kopf frei. Andere gehen spazieren oder begeben sich auf eine Pilgerreise, um sich über manche Sachen klar zu werden. Die Forschung sucht noch nach der genauen Erklärung dafür. Aber dass die Recht-Links-Bewegung bei EMDR wirkt, ist belegt – und das zu mindestens 80 Prozent. Das ist für eine Psychotherapie ein guter Erfolg.

Dr. Marion Schowalter 
Foto: Thomas Obermeier | Dr. Marion Schowalter 
Wie läuft eine EMDR-Sitzung ab?

Schowalter: EMDR sollte von anerkannten Therapeuten durchgeführt werden, die einen geschützten Raum bieten können, in dem Menschen ihr Trauma wiedererleben. Zuerst gibt es ein Gespräch. Danach Sequenzen von etwa 30 Sekunden bis zu einer Minute, in denen zum Beispiel das Lichtsignal läuft. Dann schaut man, wie die Verarbeitung vorangeschritten ist. Gibt es neue Bilder, neue Körpergefühle? Während des Lichtsignals wird nicht geredet, weil dabei ein emotionaler Prozess abläuft. Wenn das Signal stoppt, gibt der Patient eine Orientierung an den Therapeuten. Ich frage: Was ist jetzt da? So weiß ich, wo meine Patienten stehen. Dann kommt der nächste Schritt. Als Therapeutin begleite ich diesen Prozess. Ich greife nicht ein, sondern vertraue, dass das Gehirn zu einem guten Ende kommt.

Für welche Probleme eignet sich die Methode noch?

Schowalter: EMDR wird inzwischen bei sehr vielen verschiedenen Störungsbildern eingesetzt. Zum Beispiel ist EMDR bei Schmerzen sehr effektiv, auch bei Phantomschmerzen. Sie sind ja nichts anderes als Erinnerungen an den Schmerz. Ebenso wirkt EMDR bei Depressionen oder bei einer Angstproblematik. Selbst länger zurückliegende Mono-Traumata, etwa eine Vergewaltigung, sind mit EMDR sehr gut behandelbar.

Wie viele Menschen haben nach der Messerattacke bisher Hilfe angenommen?

Schowalter: Zu unserer Veranstaltung kamen fast 100 Menschen, Hilfe gesucht haben bislang etwa 25. Es melden sich aber immer noch Betroffene, die erst dachten, sie kommen alleine mit dem Erlebten klar. Das ist jedoch eher nicht der Fall.

Hilfe für Betroffene nach dem Messerangriff in Würzburg

Betroffene Menschen können sich an die Psychotherapeutische Hochschul-Traumaambulanz wenden, Klinikstraße 3, 97070 Würzburg; Telefon (0931) 31-80917 (Montag bis Freitag 9 bis 12 Uhr). E-Mail: psychotherapie@uni-wuerzburg.de. Dort wird ihnen laut Traumatherapeutin Dr. Marion Schowalter in der Regel innerhalb einer Woche ein Erstgespräch angeboten.
Informationen gibt es auch direkt bei Dr. Schowalter & Kollegen, Dominikanerplatz 4, 97070 Würzburg, Telefon (0931) 20 550 608; E-Mail: info@drschowalter.de sowie Internet: www.drschowalter.de
Der Verein Würzburg zeigt Herz sammelt weiterhin zweckgebundene Spenden für Betroffene des Messangriffs. Internet:www.wuerzburgzeigtherz.de
Quelle: cj/mscho
 
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