
"Ich kann nicht mehr. Bitte helfen Sie mir zu sterben! Wo bekomme ich Unterstützung und die tödlichen Mittel her?" - So oder ähnlich lauten Anfragen an die Fachstelle Suizidberatung in Würzburg, wenn sich Menschen mit Unterstützung das Leben nehmen möchten.
"In diesem Jahr haben sich deutlich mehr Männer und Frauen nach assistiertem Suizid erkundigt", sagt Leiterin Sonja Liebig. Rund 30 Anrufe und E-Mails dazu seien von April bis Mitte November in der Beratungsstelle eingegangen, das entspreche etwa elf Prozent der Anfragen in diesem Zeitraum. Durch den Austausch mit Kollegen und Kolleginnen in psychosozialen und psychiatrischen Einrichtungen der Region weiß die 55 Jahre alte Diplom-Sozialpädagogin: Dort taucht das Thema assistierter Suizid auch verstärkt auf.
Warum nehmen die Anfragen zu? Und wie gehen Sonja Liebig und ihr Team im Spagat zwischen Lebensschutz und selbstbestimmtem Sterben damit um? Fragen und Antworten zu einem Thema, das an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnt.
Was bedeutet assistierter Suizid?
Assistierter Suizid meint die Beihilfe zur Selbsttötung und ist seit vier Jahren in Deutschland straffrei. Konkret geht es darum, sich ein tödliches Mittel beschaffen oder bereitstellen zu lassen. Verabreichen müssen sich Sterbewillige dieses selbstständig.
Das grenzt den assistierten Suizid von der aktiven Sterbehilfe ab. Die gezielte Herbeiführung des Todes durch andere ist strafbar, auch wenn sie auf Wunsch von Sterbewilligen geschieht.
Wie ist assistierter Suizid gesetzlich geregelt?
Aktuell gibt es dazu in Deutschland kein Gesetz. 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht ein Verbot zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe und ermöglichte durch die Abschaffung des Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Demnach darf sich jeder Mensch - egal ob jung oder alt, gesund oder krank oder einfach lebenssatt - Hilfe bei der Selbsttötung holen.
Einzige Voraussetzung: Er muss frei verantwortlich entscheiden können. Das bedeutet, er weiß, was er tut und ist nicht beeinflusst von einer akuten psychischen Störung. Er handelt nicht aus einem Affekt heraus, sondern aus einem dauerhaften Sterbewunsch. Er kennt mögliche Alternativen zum Freitod und führt diesen eigenhändig und ohne äußeren Druck aus.
Der Staat hat gemäß dem Urteil dafür Sorge zu tragen und sicherzustellen, dass der Entschluss zum assistierten Suizid auf freiem Willen beruht. Eine Regelung dazu fehlt aber bisher. Zwei fraktionsübergreifende Gesetzesentwürfe fanden 2023 keine Mehrheit.
In der rechtlichen Grauzone werden viele Fragen gesellschaftlich heftig debattiert. Wie frei entscheidet sich ein depressiver Mensch, dessen Denken mutmaßlich eingeengt ist? Ein Kranker, dessen Erspartes von der Pflege aufgebraucht wird? Oder ein alter Mensch, der seiner Familie nicht zur Last fallen will?
Um zu verhindern, dass Suizid eine zunehmend gesellschaftlich erwartete Form der Lebensbeendigung wird, drängen viele Expertinnen und Experten noch vor einer Regelung der Suizidassistenz auf ein Gesetz zur Suizidprävention.
Weshalb ist die Suizidrate zuletzt gestiegen?
Im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre ist die Suizidrate in Deutschland laut Statistischem Bundesamt um 3,1 Prozent gesunken, in 2022 und 2023 aber wieder leicht gestiegen. 2023 nahmen sich bundesweit 10.303 Menschen das Leben, davon rund zwei Drittel Männer. Das waren 1,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor und 14 Prozent mehr gegenüber dem historischen Tiefstand 2019. Demnach sterben in Deutschland weiter mehr als dreimal so viele Menschen durch Suizid wie durch Verkehrsunfälle.
Bayern verzeichnete 2023 trotz eines leichten Rückgangs die meisten Suizide: 1799 Menschen töteten sich selbst.
"Fachleute vermuten, dass die bundesweite Steigerung auch damit zu erklären ist, dass mehr Menschen assistierten Suizid in Anspruch genommen haben. Denn diese Fälle werden bisher nicht extra statistisch erfasst", sagt Sonja Liebig von der Würzburger Fachstelle Suizidberatung.
Zu den Suizid-Risikogruppen zählen Liebig zufolge jugendliche und ältere Menschen - "umso mehr, wenn sie einsam sind" - oder Menschen mit psychischen und chronischen Erkrankungen, starken Schmerzen, einer Sucht oder in einer akuten Krise. "Und Menschen, die schon einen Suizid im engen Umfeld hatten."
Warum nimmt die Nachfrage nach assistiertem Suizid zu?
Einerseits seien von Corona bis zu Kriegen zuletzt gesellschaftlich viele Krisen zu bewältigen, die Menschen verunsichern und zu individuellen Schicksalen und Lebenskrisen dazukommen, sagt Sonja Liebig. "Andererseits sehen wir einen kausalen Zusammenhang zu der Gesetzeslücke, in der wir uns seit 2020 befinden."

Einen Zusammenhang sieht indirekt auch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e.V. (DGHS) in Berlin, eine von bundesweit vier aktiven Sterbehilfeorganisationen, die Suizidassistenz leisten oder vermitteln. Die Organisation zählte nach eigenen Angaben Ende Oktober knapp 38.000 Mitglieder, davon 7756 in Bayern und 409 in Unterfranken.
Die Anfragen nach assistiertem Suizid "nehmen kontinuierlich zu", sagt DGHS-Sprecherin Wega Wetzel. "Das führen wir darauf zurück, dass es zunehmend bekannter wird, dass es nun auch in Deutschland möglich ist, organisierte Freitodbegleitungen in Anspruch zu nehmen." Sterbewillige müssen dafür nicht mehr in die Schweiz oder Niederlande reisen.
Wie arbeiten Sterbehilfeorganisationen?
Die meisten Organisationen setzen eine zahlende Mitgliedschaft voraus, um eine Sterbebegleitung zu vermitteln. Für die juristische und medizinische Prüfung, Vorbereitung und Durchführung des assistierten Suizids fallen in der Regel Kosten an, bei der DGHS laut Homepage 4000 Euro für eine Einzel- und 6000 Euro für eine Doppel-Sterbebegleitung.
Man kooperiere vor Ort mit selbständigen Ärztinnen und Ärzten, Juristinnen und Juristen, teilt der Berliner Verein mit. "Die Freitodbegleitungen finden immer in der persönlichen Umgebung der Sterbewilligen statt, also in deren Wohnung, einer Seniorenresidenz oder ähnlichem."
Welche Menschen erkundigen sich nach assistiertem Suizid?
"Junge Menschen und alte Menschen, die aus individuellen Gründen keinen anderen Ausweg mehr sehen", sagt Sonja Liebig über die Ratsuchenden. "Die meisten kommen bislang nicht aus der Region, finden uns aber über die Internetsuche und denken fälschlicherweise beim Namen Suizidberatung, hier bekämen sie Informationen zur Selbsttötung."
Im Gegensatz zu anderen Hilfesuchenden hätten Menschen, die nach assistiertem Suizid fragen, häufig kein Interesse mehr an einem Gespräch "Sie wollen nur noch wissen: Wo und wie kann ich mich umbringen, wer kann mir dabei helfen?"
Dazu geben Liebig und ihr Team keine Auskunft. "Wir wollen ergebnisoffen einen Raum anbieten, in dem Menschen mit uns ihre Gedanken und Gefühle teilen können. Oft sind wir die Ersten, mit denen sie über das Tabuthema Suizid sprechen."
Welche Haltung vertritt die Suizidberatungsstelle?
"Wir haben die Haltung: Jeder Mensch darf sich umbringen", erklärt Sonja Liebig. "Ich maße mir auch nicht an, ermessen zu können, was manche Menschen durchmachen. Aber sie sollen eine Wahlmöglichkeit haben. Denn was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn jemand denkt, sein einziger Ausweg sei der Tod?"
Das Beratungsteam in Würzburg arbeitet nach dem Prinzip der stellvertretenden Hoffnung. "Wir geben Menschen an keiner Stelle auf", sagt die Sozialpädagogin. "Wir versuchen, mit den Klientinnen und Klienten zu besprechen, wie die Waagschale, die für das Leben steht, wieder mehr Gewicht bekommen kann. Wie noch weitere Hilfesysteme und Angehörige oder andere nahestehende Menschen einbezogen werden können."
Ein wichtiger Punkt sei dabei der Selbstwert, sagt Liebig. "Alte, kranke oder behinderte Menschen denken oft, sie hätten keinen Wert mehr für die Gesellschaft. Es ist wichtig, ihnen zu vermitteln, dass jeder Mensch einen Wert an sich hat, unabhängig davon, was er leistet, wie er aussieht oder wie viel er erwirtschaftet. Das ist in meinen Augen nicht nur ein christlicher, sondern auch ein gesellschaftlicher Auftrag."
Wo gibt es Hilfe für Menschen in Krisensituationen?
Hier finden Hilfe- und Ratsuchende Ansprechpartner - kostenfrei und auch rund um die Uhr:
- Die Fachstelle Suizidberatung in Würzburg, getragen von Caritasverband und Diakonischem Werk, leistet Hilfe in kritischen Lebenssituationen. Sie ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr für Hilfesuchende geöffnet, Kardinal-Döpfner-Platz 1, 97070 Würzburg. In dieser Zeit ist die Beratungsstelle auch telefonisch erreichbar unter (0931) 57 17 17. Termine nach Vereinbarung sind möglich, ebenso Anfragen per E-Mail: info@fachstelle-suizidberatung.de. Mehr Infos: fachstelle-suizidberatung.de
- Das Krisennetzwerk Unterfranken des Bezirks hilft bei psychischen Krisen und psychiatrischen Notfällen jeder Art. Es ist an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr erreichbar unter Telefon 0800 / 655 3000. Das Netzwerk vermittelt auch Notfalltermine, zum Beispiel bei Sozialpsychiatrischen Diensten. Mehr Infos: krisendienste.bayern
- Die Telefonseelsorge der christlichen Kirchen ist durch ein Netzwerk an mehr als 100 Stellen bundesweit Tag und Nacht zu erreichen unter den deutschlandweit einheitlichen Nummern 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222.
- Die Online-Beratungen U25 des Deutschen Caritasverbands und MANO des gemeinnützigen Trägervereins Niedrigschwellige Suizidprävention e.V. richten sich an junge suizidgefährdete Menschen unter 25 bzw. ab 26 Jahren: u25-deutschland.de oder mano-beratung.de.
Was die Religion angeht, gebe ich Ihnen recht: die dient vor allem eben dazu, sich mittels Imagination und magischem Denken Trost und Geborgenheit zu suggerieren, Verantwortung abgeben zu wollen, das unweigerliche Ende zu verdrängen und zu romantisieren. Eine kollektive Illusion.
in den Paragrafen hat sich tatsächlich eine Null eingeschlichen, die da nicht hingehört. Der Fehler ist ausgebessert. Ich bitte, ihn zu entschuldigen.
Mit freundlichen Grüßen,
Natalie Greß, Redakteurin
Man kann dem auch nur zustimmen: "Ich maße mir auch nicht an, ermessen zu können, was manche Menschen durchmachen"
Traurig wäre jetzt nur, wenn hier keine Antwort erfolgt...
Der Ps. 139,16 "Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben die noch werden sollten und von denen keiner da war". Die Auferweckung des Lazarus (Johannes 11 ab Vers 17) und der Tochter des Jairus (Markus 5, 21-43). Daran sehen Sie, dass Gott Herr über Leben und Tod ist und Gott nichts dem Zufall überlässt.
Die Geschichte von Hiskia (2.Könige 20) ist sehr interessant, da schenkt Gott nochmal 15 Jahre dazu! l.G