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Würzburg
Urteil: Ärzte und Sterbehelfer dürfen Suizid ermöglichen
Vier Jahre brauchten sie bis zum Urteil. Nun haben die Verfassungsrichter dem Selbstbestimmungsrecht von Patienten absoluten Vorrang gegeben. Die Reaktionen sind geteilt.
Ein Altenpfleger hält in einem Pflegeheim die Hand einer Frau. Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland für verfassungswidrig erklärt.
Foto: Sebastian Kahnert, dpa | Ein Altenpfleger hält in einem Pflegeheim die Hand einer Frau. Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland für verfassungswidrig erklärt.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 27.04.2023 09:30 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat die Tür für organisierte Angebote zur Sterbehilfe in Deutschland weit aufgestoßen. Das bisherige Verbot verletze das Recht des Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Sterben, urteilten die Karlsruher Richter am Mittwoch nach Klagen von Schwerkranken, Sterbehelfern und Ärzten. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und auf freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Das gilt ausdrücklich für jeden, nicht nur für unheilbar Kranke. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.).

Kirchen sehen das Urteil kritisch

Die beiden großen Kirchen reagierten besorgt. Von Ärzten und aus der Politik kam ein geteiltes Echo. Die Bundesregierung will das Urteil zunächst prüfen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz beklagte, nun werde die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption. Der Gesetzgeber habe kein Instrument, dem noch Riegel vorzuschieben. 

Kritisch sieht das Urteil auch Würzburgs Bischof Franz Jung: "Die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung kann dazu führen, Druck auf alte und kranke Menschen auszuüben, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen", ließ er auf Anfrage mitteilen. Für Christen gelte nach dem Urteil um so mehr, alte und kranke Menschen zu begleiten und sie nicht alleine zu lassen. Genau dies sei bislang durch den Paragrafen 217 geschehen, findet Sabine Dittmar, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Bad Kissingen. Die gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion begrüßt das Urteil. Nun erhielten Patienten und Ärzte Rechtssicherheit. 

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts bei der Verkündung des Urteils: von links Sibylle Kessal-Wulf, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Johannes Masing und Ulrich Maidowski.
Foto: Uli Deck, dpa | Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts bei der Verkündung des Urteils: von links Sibylle Kessal-Wulf, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Johannes Masing und Ulrich Maidowski.

Die Karlsruher Richter erklärten den Strafrechtsparagrafen 217, der seit Dezember 2015 "geschäftsmäßige" Sterbehilfe verbietet, für nichtig, weil er "die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert". Eine Regulierung soll aber möglich sein. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sagte, auch das Handeln von Suizid-Assistenten genieße einen weitreichenden grundrechtlichen Schutz. Ohne Dritte könne der Einzelne seine Entscheidung zur Selbsttötung nicht umsetzen. 

Aktive Sterbehilfe bleibt tabu

Dabei hat "geschäftsmäßig" nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet "auf Wiederholung angelegt". Aktive Sterbehilfe – also eine Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze – bleibt verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es selbst ein. Bisher bieten vor allem Sterbehilfe-Vereine so etwas an. Sie hatten ihre Aktivitäten in Deutschland 2015 weitgehend eingestellt. Ärzte sind nach Eindruck der Richter nur selten dazu bereit. Das Urteil verpflichtet auch keinen Mediziner, gegen seine Überzeugung Sterbehilfe zu leisten. Anspruch auf Hilfe gebe es nicht.

Nach Voßkuhles Worten hat der Gesetzgeber "ein breites Spektrum an Möglichkeiten", um die Suizidhilfe zu regulieren. Das Urteil nennt beispielhaft Sicherungsmechanismen wie gesetzlich festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten. Die Zuverlässigkeit von Anbietern könne über Erlaubnisvorbehalte gesichert werden. Besonders gefahrträchtige Formen könnten verboten werden. Die Umsetzung erfordere möglicherweise Anpassungen des Betäubungsmittelrechts, hieß es. Auch das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker müsse entsprechend ausgestaltet werden.   (mit Material von dpa)

  • Das komplette Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Was Palliativmediziner aus der Region zum Urteil sagen
Erleichtert über das Urteil zeigen sich Palliativmediziner in der Region. Der Paragraf 217 habe für große Verunsicherung bei den Ärzten gesorgt, so Rainer Schäfer, Chef der Palliativmedizin am Würzburger Juliusspital. "Die Angst war da." Dass die Verfassungsrichter den Paragrafen komplett kassieren würden, hatte Schäfer nicht erwartet - eher mit einer Einschränkung gerechnet. Nun aber könnten Palliativmediziner wieder offener mit Patienten umgehen und unbefangen auch über einen möglichen Sterbewunsch sprechen. Dies sei positiv für das Arzt-Patienten-Verhältnis.
Die Palliativmedizin sieht Schäfer durch das Urteil "als echte Alternative" gestärkt und gefordert: "Wir wollen auf die Menschen eingehen - natürlich mit der Hoffnung, einen Suizid zu verhindern."
Wieder näher am Patienten und weniger am Paragrafen - das erhofft sich auch Birgitt van Oorschot, leitende Oberärztin am Palliativzentrum der Uniklinik Würzburg, nach dem Urteilsspruch. Palliativmediziner bräuchten Freiraum und Zeit. Der Paragraf 217 habe mehr Probleme als Lösungen geschaffen. Dass sich Menschen nicht zu einem Suizid gedrängt fühlen, hält van Oorschot für eine Aufgabe der Gesellschaft. Wie Schäfer erwartet auch sie nun Regelungen und Kriterien, um einen Missbrauch zu verhindern. So sei etwa zu überlegen, Suizidhilfe im Falle von Depressionen auszuschließen. (aj)

Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. Der Krisendienst am Kardinal-Döpfner-Platz 1 ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr geöffnet, Tel. (0931) 571717, und täglich von 18.30 bis 00.30 Uhr ist unter derselben Nummer ein telefonischer Bereitschaftsdienst erreichbar.

 
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  • S. K.
    ...wieder mal ein Paragraf für den Müll
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  • L. W.
    Ein nicht ungefährliches Urteil

    Es wird jetzt viel leichter, seinen alten Verwandten einzureden, dass der "freiwillige" Abschied doch so viel leichter ist als das Leben als Pflegebedürftiger.

    Wie leicht werden da Dämme gebrochen.

    Eine menschenwürdige Pflege ist viel teurer als der schnelle Abschied von einem scheinbar unheilbar kranken Mitmenschen. Da kann in einer materialistischen Gesellschaft in der der Euro mehr zählt als Menschlichkeit schon der gesellschaftliche Druck auf Kranke entstehen, die "freiwillige" Selbsttötung zu wählen.

    Noch gefährlicher wird es dann, wenn eine Partei wie die AfD Macht bekäme. Radikal marktwirtschaftlich ausgerichtet mit der Ideologie für ein sogenanntes "Volkswohl" ist der kranke Mensch nur noch ein Hindernis für die Erreichung dieses Volkswohls.

    In Schulbüchern aus dem dritten Reich wurde das Leben schon materiell bewertet.

    Wenn wir nicht aufpassen, dann kommt dieses Bewertungssystem für Leben wieder. Wehret den Anfängen.
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  • G. K.
    Absolut richtig.

    Aber aufgrund dieser abstrakten Gefahr anderen Menschen unnötiges reales Leid und Schmerz aufzwingen? Teilweise Jahrelang und in einer Grausamkeit, die man sich nicht vorstellen kann, falls man sich nicht in der Situation befindet?

    Die Angst der Gesunden als Grund, das grausame Leid der Schwerstkranken gegen ihren Willen zu verlängern?
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  • L. W.
    @ FischersFritz

    Natürlich soll keiner leiden müssen, aber wenn es gute Palliativversorgung vielleicht erst gar nicht mehr gibt weil jeder doch so leicht selbst "Abschied" nehmen kann?

    Die drohende Gefahr in unserer materiellen Gesellschaft ist hoch, dass die Versorgung Pflegebedürftiger zurück gefahren wird, wenn diese Schranke geöffnet ist.

    Bislang hat man Pflegebedürftige vielleicht in Heime abgeschoben, für die man die Ausrede hatte, dass man da schlecht hinkommt.

    Aber zukünftig werden die alten Verwandten vielleicht überredet selbst Schluss zu machen, damit nicht das Erbe vielleicht noch in einer langen Pflegezeit noch gefährdet wird.

    Noch gefährlicher würde es natürlich wenn ideologisch Verblendete wie die AfDler das Sagen bekämen. Dann wäre mit einem liberalen Recht zur Selbsttötung Tür und Tor für den Missbrauch dieses Rechts geöffnet.
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  • H. S.
    Wir werden zufällig ohne unser Zutun ins Leben geworfen. Also sollte jeder im Gegenzug das Recht haben, seinen Abschied selbst zu wählen.
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  • G. K.
    Und wieder einmal haben die Bundesverfassungsrichter Mut und Verantwortungsbewusstsein zeigen müssen – weil genau das dem Gesetzgeber seit Jahren fehlt.

    Mein Kompliment und meine Hochachtung vor den Richtern des BVG – aber meine Verachtung für unsere erbärmliche Legislative.

    Man hat den Eindruck, dass die Politik alle schwierigen Entscheidungen nur allzu bereitwillig und mit Erleichterung in die Hände der höchsten Gerichte in diesem Land legt.

    Das beschränkt sich leider nicht nur auf das BVG. In so ziemlich allen Bereichen müssen höchstrichterliche Urteile das von unserem Gesetzgeber geschaffene Entscheidungsvakuum füllen.

    Wir sollten froh sein, dass wenigstens die Rechtsprechung zumindest auf den höheren Ebenen ab zu noch ganz gut funktioniert – aber für Berlin ist das eine weitere schallende Ohrfeige und ein Armutszeugnis ….
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  • H. F.
    Endlich! Ich hoffe die in der Regel christlichen Organisationen und entsprechende Parteien werden die Umsetzung nicht torpedieren. Es stehen noch viele gesetzliche Anpassungen und entsprechende Regelungen einer schnellen Durchsetzung und Umsetzung im Wege. Z. Bsp. BTM-Gesetz, länderspezifische Regelungen für die Ärzteschaft, usw. Es steht zu hoffen, dass das Leid und die Qualen vieler Menschen nun zu einem würdigen Ende führt und die Ärzte die alleinige Bereitstellungskompetenz erhalten werden und auch annehmen.
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  • G. F.
    Dieses Urteil ist schon längst überfällig. Wenn man Jahrzehnte mit schwer Kranken Menschen zu tun hat, dann ist dies der richtige Weg
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