Es sind mehr als 400 Menschen, so schätzt die Polizei, die sich am Dienstagabend rund um den Kreisel am Haugerkirchplatz in Würzburg versammeln. Mit bunten Luftballons, lauter Musik und bunter Kleidung nehmen sie Abschied von ihrem Weggefährten, Freund und Bekannten – dem 28-jährigen Opfer der Messerattacke am frühen Sonntagmorgen vor Stift Haug.
Es war der ausdrückliche Wunsch der engsten Freunde und Familienangehörigen, dass alle farbenfroh gekleidet kommen sollten – und sie folgen dem Aufruf. Aus einem chromroten Auto schallt laute Clubmusik über den Platz. Immer wieder hört man Menschen sagen: "Alex hätte es so gewollt."
Als der Vater des Opfers mit Familienangehörigen zum Kreisverkehr gelaufen kommt, steigt die Emotionalität auf dem Platz spürbar. Viele Menschen laufen auf ihn zu, schütteln ihm die Hände, umarmen ihn, drücken ihm sein Beileid aus. Auch das Mitarbeiter-Team des Würzburger Clubs "Studio" kommt geschlossen zum Kreisel – mit Luftballons, Blumen und Kerzen in der Hand.
Statt Rap-Musik erklingt plötzlich "Für Elise" von Beethoven
Kurz darauf ändert sich die Musik. Statt Rapmusik erklingt das Pianostück "Für Elise" von Ludwig van Beethoven. Und ohne dass sie sich abgesprochen haben, lassen Hunderte von Menschen fast gleichzeitig ihre bunten Luftballons in die Luft steigen – vorbei an der mächtigen Stiftskirche, die von den letzten Sonnenstrahlen des Tages angestrahlt wird.
Vier Mädchen stehen beisammen, eines von ihnen kannte das Opfer Alex R. seit vielen Jahren. Die vier sind nicht überrascht, über die große Menschenmenge, die am Abend gekommen ist, um Abschied zu nehmen – im Gegenteil. "Das war doch klar. Jeder kannte und mochte ihn." Die Mädchen finden viele positive Worte über den getöteten Würzburger. Wenige Schritte weiter hält ein junger Mann seine schluchzende Freundin in den Armen. "Es ist so unfair", hört man sie sagen. Viele stimmen ihr an diesem Tag zu.
Dann ergreift der Vater von Alex R. das Wort. Die Besitzer des chromblitzenden Wagens haben kurzerhand sein Smartphone mit den Lautsprechern ihres Autos verbunden, damit er ein paar Sätze an die versammelten Menschen richten kann. Sichtlich ergriffen, versucht Christian R. die richtigen Worte zu finden. Er bedankt sich bei allen, die gekommen sind. "Das einzige, was für ihn wichtig war: Freunde zu treffen, jeden Tag abzudancen und gesund nachhause zukommen", sagt Christian R. über seinen Sohn. Das habe meist auch geklappt, außer am Sonntagmorgen. "Da hat man mir und vielen anderen das Herz gebrochen", fasst der Vater seine Trauer zusammen.
Straßenparty, Motorrad-Show und emotionale Worte
Doch er richtet auch mahnende Worte an alle, die sich versammelt haben. "Lasst das sein mit irgendwelchen Waffen, Messern und dem ganzen Scheiß. Das braucht kein Mensch", ruft Christian R. der Menge entgegen. Danach ergreift Marvin Schmitt das Wort. Er war eng mit dem Opfer befreundet. "Ich hab Tourette-Syndrom und manche Leute kommen damit nicht klar", beginnt er seine Rede. Alex R. sei immer für andere da gewesen und habe für jeden positive Worte übrig gehabt, sagt der Freund. "Du bist perfekt so, wie du bist, hat er immer zu mir gesagt."
Beflügelt von den positiven Worten, ändert sich die Stimmung auf dem Platz plötzlich. Es wird geklatscht und gejubelt. Und nach dem Aufruf des Vaters – "Und jetzt wird gefeiert!" – dröhnen durch die Autolautsprecher plötzlich harte Hiphop-Beats. Einige fangen an zu tanzen, der Platz verwandelt sich in eine riesige Partyzone. "Sein größter Wunsch war es, einmal Tänzer zu werden", sagt eine junge Frau über Alex R.. "Deshalb war er immer auf der Tanzfläche und deshalb tanzen die Leute heute für ihn."
Wenig später heulen Motoren auf, mit lautem Knattern kündigen sich zehn Motorradfahrer auf ihren Maschinen an. Sie fahren röhrend unter Applaus eine Runde im Kreisverkehr und lassen die Reifen durchdrehen. "Ich persönlich kannte ihn nicht gut, aber viele meiner Freunde", sagt Patrick Fochler. Er hat seine Motorradfreunde zusammengetrommelt, um dem 28-Jährigen die letzte Ehre zu erweisen. "Wir wollten Solidarität zeigen. Es kann einfach nicht sein, dass jemand wegen sowas sterben muss."
Rettungskräfte und Seelsorger waren bei der Trauerfeier im Einsatz
Am Sonntagmorgen hatte Alex R., der in der Würzburger Clubszene vielen Menschen bekannt war, sein Leben verloren. Weil er, nach jetzigem Kenntnisstand, einer jungen Frau zu Hilfe eilte, die von einem 22-Jährigen angegriffen worden war.
Auch die Rettungskräfte hatten an diesem Dienstagabend bei der Trauerfeier alle Hände voll zu tun. Paul Justice, Geschäftsführer des Zweckverbandes Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung, spricht von insgesamt drei Personen, die kollabiert seien. "Psychisch ist das ganz dramatisch, aber medizinisch relevant mussten wir nicht eingreifen", sagt Justice. Drei Rettungswagen und ein Notarzt seien im Einsatz gewesen.
Auch Ulrich Wagenhäuser, psychosozialer Notfallseelsorger des Bistums Würzburg, war zum Kreisverkehr gekommen. "Das war ein Abschied für die Menschen heute. Sie haben mehr oder weniger einen Gottesdienst gefeiert", sagt Wagenhäuser. Seine Aufgabe an dem Abend sei es gewesen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und sie mit ihrer Trauer nicht allein zu lassen.
Auf Nachfrage dieser Redaktion bei der Polizei, ob die Veranstalter mit Konsequenzen wegen der lauten Partynacht rechnen müssten, erklärt Pressesprecher Philipp Hümmer: "Nein, wir waren nur für die Straßensperrungen und Verkehrsmaßnahmen vor Ort."