
Steigende Nachfrage, Personalmangel, knappe Kassen – und trotzdem eine gute Versorgung von Bewohnerinnen und Bewohnern: Dieser Spagat ist für die Betreiber von Pflegeheimen immer schwieriger geworden. Seit 1. Januar haben sie es leichter: Die bayerische Staatsregierung hat bauliche und personelle Standards gesenkt.
Wie Einrichtungen zur Betreuung von Pflegebedürftigen oder Menschen mit Behinderung beschaffen sein müssen – das regelt in Bayern das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG). Seit 2011 gibt es dazu eine Ausführungsverordnung mit Details, sie wurde nun geändert.
Was bedeutet das konkret für die Heime und die Bewohner? Antworten auf die zentralen Fragen.
Warum werden die Standards gesenkt?
Von einer "Entbürokratisierung" spricht Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Judith Gerlach (CSU). Sie zielt auf die Prüfungen durch die örtlichen Heimaufsichten, die "Fachstellen für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA)" der Landratsämter. Immer wieder stehen sie in der Kritik.
Heimbetreiber fühlen sich durch Kontrollen und bußgeldbewehrte Bescheide mitunter gegängelt. Man streitet um Zimmergrößen, Fenstergriffe, Klingelrufe, offene Flaschen oder auch um Fachkraftquoten. Kernproblem: Wo es in der Pflege oder Eingliederungshilfe an Personal und Geld fehlt, sind die Mindestanforderungen oft nicht mehr einzuhalten.
Nun wurden die Vorschriften der Wirklichkeit angepasst. Träger von Einrichtungen sollen künftig weniger Ärger mit der Heimaufsicht haben, der Verwaltungsaufwand wird laut Gerlach reduziert. Die Ministerin geht davon aus, dass Pflegeanbieter, Kassen und Bewohner davon profitieren.
Was ändert sich baulich für die Heime?
Die wohl wichtigste Maßnahme: Heime, die vor 2011 gebaut wurden oder fertig geplant waren, haben jetzt Bestandsschutz. Sie werden von bestimmten Vorschriften befreit – etwa bei der Mindestgröße von Zimmern, Barrierefreiheit, Sanitär-, Gemeinschafts- oder Lagerräumen. Teure Umbauten könnten damit entfallen, weitere Heimschließungen sollen vermieden werden.
Ebenfalls eine wesentliche Neuerung: Die gesetzlichen Vorgaben der Ausführungsverordnung gelten nicht mehr für kleine Wohngruppen und Wohngemeinschaften mit weniger als sechs Personen.
Abgeschafft wurde laut Gerlach die starre Pflichtquote von 75 Prozent an Einzelzimmern, hier sollen die Betreiber künftig freier nach Bedarf und Ressourcen agieren. Vollstationäre Einrichtungen müssen nur noch ein Pflegebad pro Haus vorhalten – zuvor war ein Pflegebad je 40 Bewohner vorgeschrieben. Gänzlich abgeschafft wurde die Verpflichtung, einen Abschiedsraum für den Sterbefall bereitzuhalten.
Nicht gelockert, sondern forciert wurde bei der Digitalisierung: Jeder persönliche Wohnraum im Heim muss – sofern noch nicht vorhanden – spätestens in fünf Jahren einen Anschluss für Telefon, Fernsehen und Internet haben.
Was ändert sich personell für die Heime?
Wesentliche Weichenstellung hier: Die starre 50-Prozent-Fachkraftquote ist abgeschafft, Teams können künftig verstärkt mit Pflegefachassistentinnen und Pflegehilfskräften besetzt werden. Entscheidend soll nicht mehr die formale Berufsqualifikation, sondern die tatsächliche Qualität der Pflege sein. Allerdings: Stellt die Heimaufsicht hier einen Mangel fest, wird der Personalschlüssel überprüft. Ist er ursächlich für Pflegemängel, können mehr Fachkräfte eingefordert werden.
Generell dürfen die Heime ihr Personal nun flexibler einsetzen, angepasst an den Bedarf von Bewohnerinnen und Bewohnern und nach örtlichen Gegebenheiten. Zwar muss nachts mindestens eine Pflegefachkraft anwesend sein. Zusätzlich wird unter bestimmten Kriterien aber eine nächtliche Rufbereitschaft möglich, ebenso eine Tätigkeit in mehreren Häusern.
So können Mitarbeiter aus einem Springerpool leichter zwischen den Einrichtungen wechseln, zum Beispiel als Vertretung im Fall von Krankheit oder Urlaub. Für Gesundheitsministerin Gerlach "ein wichtiger Schritt, um die Pflegekräfte zu entlasten und gleichzeitig die Versorgung sicherzustellen". In Seniorenheimen muss pro 30 Bewohnerinnen und Bewohnern eine gerontopsychiatrische Fachkraft beschäftigt werden.
Für besondere Wohnformen der Eingliederungshilfe gilt nun: Ist die Anwesenheit einer Fachkraft nachts nicht erforderlich, muss sie zumindest per Rufbereitschaft erreichbar sein. Eine "ausreichende Personalausstattung" kann nach fachlichen Kriterien schriftlich mit Kassen und Bezirk vereinbart werden – ansonsten bleibt es bei der verpflichtenden 50-Prozent-Fachkraftquote.
Wie sehen unterfränkische Heimbetreiber die Neuregelung?
Der Tenor der Betreiber: Grundsätzlich sehr positiv. Derzeit überprüfen sie etliche Bescheide der Heimaufsichten. Fallen monierte Mängel unter den Bestandsschutz? Reicht jetzt die Zahl an Fachkräften? Dann müsste ein Bescheid aufgehoben werden. Bis Ende März können die Heimträger beantragen, Verfahren wiederaufzugreifen und aufgrund der neuen Rechtslage zu bewerten.
"Es gibt viel Unsicherheit und Anfragen an den Verband", sagt Alexander Schraml, Vorstandssprecher der Kommunalen Altenhilfe Bayern. Bei ihm wie auch bei den großen unterfränkischen Heimträgern Caritas und Arbeiterwohlfahrt ist aber Erleichterung zu spüren: Die Politik reagiere auf die Realität, es sei höchste Zeit gewesen für Lockerungen. Teilweise hätten ältere Heime Plätze reduziert, nicht mehr investiert oder gar dichtgemacht, weil sie die Bauvorschriften nicht erfüllen konnten.
"Da wurde schon viel Geld versenkt", sagt Ulrike Hahn, bei der AWO Unterfranken verantwortlich für den Bereich Senioren und Rehabilitation. Übertriebene Vorschriften hätten höhere Kosten für die Heimbewohner verursacht. Der Bestandsschutz bringe nun Sicherheit, auch für Investoren. Dankbar ist Hahn für den Verzicht auf die starre Pflichtquote bei Fachkräften: "Wir haben die Leute einfach nicht in ausreichender Zahl." Es sei wissenschaftlich belegt, dass die Pflege mit weniger Fachkräften auskommt – "wenn sie wirklich gut sind".
Einige Skepsis herrscht weiterhin gegenüber Heimaufsichten. Die Befürchtung von Altenhilfe-Experte Schraml: Bei Kontrollen könnten auch geringfügige Pflegemängel allzu leicht auf Personalmängel zurückgeführt werden – mit der Verpflichtung, zusätzliche Fachkräfte einzustellen. Nur sind solche schwer zu finden und treiben die Kosten. Schraml: "Da wird man die Praxis genau beobachten müssen."
Was bedeutet die Änderung für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner?
Für sie soll sich wenig ändern. Immerhin: Der weitere Anstieg der Heimkosten könnte gedämpft werden, weil die Einrichtungen weniger Geld in Umbauten und Fachpersonal stecken müssen. Darauf hofft auch die Gesundheitsministerin. Die Qualität der Pflege sei aber nicht in Gefahr, beteuert Sonja Schwab, Leiterin des Bereichs Altenhilfe bei der Caritas Unterfranken. Und bei den baulichen Lockerungen gehe es nicht um sicherheitsrelevante Aspekte wie den Brandschutz. "Niemand braucht hier Angst zu haben, die Einrichtungen sind sicher."
Es ist gut, wenn Vorschriften daraufhin überprüft werden, ob / wie sie Heimbewohner*innen und Personal dienen. (Vorschriften, die niemandem nutzen und lediglich die Kosten hochtreiben, gehören entrümpelt. Wie beispielsweise die "starre Pflichtquote von 75 Prozent an Einzelzimmern".)
die Heime freuen sich über weniger Aufwand,
die Pflegekräfte werden vorgeblich effektiver eingesetzt.
Aber wo genau gibt es Verbesserungen für die Leute,
die in Heimen leben (müssen)?
Das hätte doch längst passieren können, anstatt ständig darüber nur zu jammern. Wer hat den ganzen Unsinn überhaupt eingeführt?
Natürlich ist es zu begrüßen, wenn bürokratischer Unsinn nicht mehr das Maß der Dinge ist und blödsinnige Formalien abgeschafft werden.
Andererseits ist es kaum positiv, wenn der Fachkräftemangel zu Lasten der Bewohner und der noch vorhandenen Mitarbeiter nun praktisch „legitimiert“ wird anstatt etwas gegen die Ursachen zu unternehmen.
Wenn schwere Folgen und Schädigungen eintreten ist keiner verantwortlich und die Heimaufsicht nun völlig raus…und es bleibt letztlich an dem - ggf. unqualifizierten - Mitarbeiter hängen, der das Leben hatte, gerade „da“ gewesen zu sein….?