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Würzburg/Eibelstadt
Streit um Klingelrufe im Seniorenheim: Müssen Pflegekräfte innerhalb von fünf Minuten im Zimmer sein?
Brisanter Fall für die Altenpflege: Der Betreiber eines Seniorenheims im Landkreis Würzburg klagt gegen einen Bescheid der Heimaufsicht. Es geht um Wartezeit beim Klingeln.
Mit einem Druckknopf können Menschen in Seniorenheimen Hilfe herbeirufen. Wie schnell eine Pflegekraft kommen muss – darum geht es in einem Fall vor dem Verwaltungsgericht Würzburg.
Foto: Getty Images | Mit einem Druckknopf können Menschen in Seniorenheimen Hilfe herbeirufen. Wie schnell eine Pflegekraft kommen muss – darum geht es in einem Fall vor dem Verwaltungsgericht Würzburg.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 05.11.2024 02:41 Uhr

Es ist eine Streitsache, die massive Auswirkungen auf den Betrieb von Seniorenheimen in ganz Bayern haben könnte: Muss eine Pflegekraft beim Klingelruf einer Bewohnerin oder eines Bewohners innerhalb von fünf Minuten im Zimmer sein?

So will es die Heimaufsicht des Landratsamtes Würzburg und hat das Seniorenheim Eibelstadt per Bescheid und unter Androhung eines Zwangsgeldes von 3000 Euro dazu "verdonnert". Der Heimträger, das Kommunalunternehmen (KU) des Landkreises Würzburg, klagt dagegen. Das Heim sieht sich nicht in der Lage, die Fünf-Minuten-Anforderung permanent zu erfüllen. Man hält sie auch für wenig aussagefähig in puncto Pflegequalität.

Ausgangspunkt: Eine Beschwerde vor drei Jahren und Prüfung durch Heimaufsicht

Dem Bescheid des Landratsamts vorausgegangen war eine Beschwerde im November 2021: Es habe 20 und 50 Minuten gedauert, bis das Pflegepersonal in dem Eibelstädter Heim auf einen Klingelruf reagiert habe. Es folgten eine Begehung und Prüfungen der Klingelprotokolle durch die Heimaufsicht.  Seit 2023 liegt der Fall beim Verwaltungsgericht Würzburg.

Bei der Verhandlung in der Hauptsache wurden zum Auftakt die unterschiedlichen Perspektiven deutlich: Hier die angenommenen Bedürfnisse und Erwartungen von Bewohnern. Dort die Herausforderung, trotz Pflegepersonalnot und begrenzter Finanzen ein Heim zu betreiben und die Versorgung für alle zu sichern.

Dabei ging es dem Gericht im ersten Schritt noch gar nicht um eine inhaltliche Bewertung, sondern um die formelle Prüfung: Hätte die Heimaufsicht – die Fachstelle Pflege- und Behinderteneinrichtungen, Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) – den Bescheid in dieser Form ausstellen dürfen? Lag im Eibelstadter Seniorenheim überhaupt ein Mangel vor?

Der übergeordnete Bayerische Verwaltungsgerichtshof in Ansbach hat in einem Beschluss im März 2024 deutliche Zweifel daran geäußert. Der Heimbetreiber hatte sich dort eine aufschiebende Wirkung des Bescheides erklagt, solange vor Gericht um ihn gestritten wird.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof hat Zweifel an Bescheid des Landratsamts Würzburg

Die Ansbacher Richter stellen in ihrem Beschluss die Rechtmäßigkeit der gesetzten Fünf-Minuten-Frist infrage, in Teilen halten sie den Bescheid des Landratsamts Würzburg für rechtswidrig. Die Anordnung sei zu unbestimmt, es würden keine konkreten Maßnahmen zur Abhilfe benannt. Dazu bezweifelt der Verwaltungsgerichtshof, dass überhaupt ein Mangel vorliegt, der geahndet werden könnte.

Der Betreiber des Seniorenheims in Eibelstadt war vor den bayerischen Verwaltungsgerichtshof gezogen: Die Kammer in Ansbach hielt den Bescheid des Landratsamtes Würzburg in Teilen für rechtswidrig. 
Foto: Karl-Josef Hildenbrand | Der Betreiber des Seniorenheims in Eibelstadt war vor den bayerischen Verwaltungsgerichtshof gezogen: Die Kammer in Ansbach hielt den Bescheid des Landratsamtes Würzburg in Teilen für rechtswidrig. 

Eine fachliche Grundlage für eine Fünf-Minuten-Frist als Qualitätsstandard gebe es nicht. Die tatsächliche Reaktionszeit gehe aus den Rufprotokollen auch nicht zwangsläufig hervor. Eine drohende Gefährdung sei nicht hinreichend nachgewiesen, sondern nur abstrakt angenommen worden. Dazu machten Ermessensfehler den Bescheid rechtswidrig, heißt es im Beschluss aus Ansbach. 

Doch die Kammer am Würzburger Verwaltungsgericht stellte klar: Man wolle den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofs nicht blind folgen, sondern sich ein eigenes Urteil bilden. Den Fall intensiv zu erörtern, sei die Verantwortung von Heimbetreiber, Aufsicht und Gericht, so der Vorsitzende Richter.

Betreiber des Seniorenheims: "Wir sind kein Krankenhaus"

Das Landratsamt stützt sich auf die Umsetzung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und argumentiert unter anderem mit einem denkbaren medizinischen Notfall. Dann, so eine Ärztin, sei Eile geboten und deshalb die Fünf-Minuten-Frist angemessen. Weil wiederholt zu spät auf Klingelrufe reagiert worden sei, macht die Heimaufsicht einen "erheblichen Mangel" geltend.

Genau diesen mag der Heimbetreiber nicht erkennen. Die Reaktionszeit auf Klingelrufe sei nur ein "ganz kleiner Ausschnitt im Pflegealltag, sie wird aber hier zum Nonplusultra erhoben", kritisierte der Anwalt des Kommunalunternehmens.

Die KU-Leitung erklärte vor Gericht, es gebe eine Vielzahl von Maßnahmen, um die Pflegequalität zu sichern. Eine vorgeschriebene Fünf-Minuten-Frist bringe Pflegekräfte in ständige Dilemmasituationen, wenn mehrere Bewohner gleichzeitig zu versorgen sind. Und im Eibelstadter Heim habe es in den vergangenen Jahren keinen einzigen Klingelruf wegen eines Notfalls gegeben. 

Man sei "kein Krankenhaus, sondern ein Wohnheim mit Pflegebegleitung". Beim Klingeln gehe es in der Regel um Kleinigkeiten des Alltags, um ein verrutschtes Kissen oder ein Glas Wasser.

In ihrer formellen Prüfung kam das Würzburger Verwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis als der Verwaltungsgerichtshof: Der Bescheid sei nicht zu unbestimmt. Es sei zulässig, wenn die Heimaufsicht eine Reaktionsfrist von fünf Minuten lediglich als Zielvorgabe anordnet, die konkrete Umsetzung aber dem Heimbetreiber überlässt. Bei langen Wartezeiten sei ein Mangel nicht auszuschließen, selbst wenn für Klingelrufe keine allgemeingültigen Standards durch Experten formuliert sind.

Fünf-Minuten-Frist machbar? Verwaltungsgericht Würzburg will Gutachten

Ob die Fünf-Minuten-Frist bei einem Klingelruf tatsächlich gerechtfertigt und machbar ist, darüber wollte die Kammer nicht ohne Gutachten eines Sachverständigen verhandeln. Ein solches Gutachten soll jetzt mit Fragen beider Parteien in Auftrag gegeben werden.

Die Auseinandersetzung um die Klingelrufe im Seniorenheim vor Gericht geht dann in die nächste Runde – und ans Eingemachte.

 
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Kommentare
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  • Simone Full
    20 bis 50 Minuten sind nicht akzeptabel. Über exakt fünf Minuten kann gestritten werden - bei ausreichender Personalbesetzung umsetzbar.
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  • Katrin Rinke
    50 Minuten finde ich schon lang
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  • Hans Vogel
    Landkreis (Landrat) gegen Kommunalunternehmen (Vorständin), oder Politik gegen Pragmatismus - das können wir leider gerade auch an ganz anderer Stelle erleben. Alles nur noch traurig und beschämend wie hier von Seten des LR agiert wird.
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  • Georg Ries
    Das hat aber gedauert, bis diese These aus der Versenkung kommt 😂
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  • Hans Vogel
    Wer die Strukturen kennt, weiß dass das keine These ist. Aber dass es Ihnen nicht gefällt ist auch klar…
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  • Georg Ries
    An dem Nebel heute ist auch der Landrat schuld, nehme ich an? 😀
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  • Stefan Krug
    Wer in einem Altenheim arbeitet
    kennt seine Bewohner
    und hat ein Gespür dafür wanns ernst wird
    oder ob wieder nur die üblichen "Klingelstreiche" gespielt werden..

    manch Heimbewohner verwechselt vielleicht auch die Lokalität
    und denkt er wäre in einem Hotel mit all Inklusive Service...
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  • Alfred Holler
    Geenau, nach dem Motto " ich hab ja scließlich
    . Jahre eingezahlt" aber dieses Fass wollte ich nicht auch noch aufmachen!
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  • Barbara Fersch
    manche Bewohner sitzen aber auch mitunter 1 Std. auf der Toilette bis jemand kommt, und ihnen hilft wieder ins Bett oder Rollstuhl zu kommen......da gibt es leider blaue Oberschenkelrückseiten !!!
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  • Alfred Holler
    Irgendwann hat man zwar gerichtlich durchgesetzte Ansprüche, aber niemand mehr, der sie erfüllen will und kann😡. Aber Recht bekommen...
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  • Horst Blatz
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  • Frank Stößel
    Ein Beifuß-, Sofort- oder-Fünfminuten-Service bei Wünschen ohne Notfallcharakter helfen selbst Service- und Pflegeroboter, nur, wenn genügend vorhanden sind. Pflegekräfte aber sind keine Roboter. Ist jetzt ein langer Prozess bis zum BGH und zum BVG um die Fünfminutenfrist zu erwarten?
    Falls ja, würde ich verstehen , dass manche engagierte Pflegekraft, egal welcher Herkunft, das Handtuch wirft.
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  • Ulrich Klüpfel
    Ein weiteres Beispiel für die immer weiter ausufernde Bürokratie und die teilweise schon absurden Anforderungen. Und es wundert sich wirklich irgend jemand das Pflegeplätze immer schwerer zu bekommen sind und immer teurer werden? Wenn der Staat 50% der Bürokratie abschaffen würde, hätte das Plegepersonal auch Zeit sich um die Bewohner zu kümmern anstatt ihren Dokumentationsaufgaben nachkommen zu müssen.
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  • Ralf Eberhardt
    Was soll hier ein Gutachten? Von welcher Frequenz bei wievielen zu Pflegenden soll man denn ausgehen? Und wie soll das Risiko eines Notfalls integriert werden? Der Beitrag spricht davon, dass das nahezu nicht der Fall war im betreffenden Heim. Das ist doch nur hinausgeworfenes Geld. Wichtiger ist die GENERELLE Ausstattung mit Pflegepersonal. Und das ist wohl in den letzten Jahren immer weniger geworden.
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