zurück
Giebelstadt
B 19-Umgehung: Nun droht auch der LBV mit Klage
Das Ausgleichskonzept für die geplante Ortsumfahrung strotzt vor Fehlern, sagt der Landesbund für Vogelschutz. Wurden diese bewusst gemacht, um politischem Druck nachzugeben?
Eine junge Wiesenweihe, kurz bevor sie flügge wird, in einem Getreidefeld bei Giebelstadt. Bei der Ermittlung, wie viel Lebensraum der bedrohten Art durch den Bau der Umgehungsstraße verloren geht, haben sich die Gutachter absichtlich verrechnet, vermutet der Landesbund für Vogelschutz.
Foto: Gerhard Meißner | Eine junge Wiesenweihe, kurz bevor sie flügge wird, in einem Getreidefeld bei Giebelstadt. Bei der Ermittlung, wie viel Lebensraum der bedrohten Art durch den Bau der Umgehungsstraße verloren geht, haben sich die ...
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 09.02.2024 16:17 Uhr

Anders als der Bund Naturschutz (BN) lehnt der Landesbund für Vogelschutz (LBV) den Bau einer B 19-Ortsumfahrung in Giebelstadt in der geplanten Form nicht grundsätzlich ab, sondern hat bei der Erarbeitung eines Naturschutz-Ausgleichkonzepts mitgearbeitet. Über das Ergebnis, das nun Teil des Planfeststellungsverfahrens ist, ist LBV-Geschäftsstellenleiter Marc Sitkewitz allerdings stocksauer. Die artenschutzrechtliche Bewertung sei mit vielen Fehlern behaftet, die - so vermutet Sitkewitz - bewusst begangen wurden, um die Einflüsse der acht Kilometer lange Trasse auf die Natur klein zu rechnen. Das Ausgleichsverfahren müsse deshalb im Zuge der Planfeststellung erheblich nachgebessert werden. Andernfalls ziehe auch der LBV, wie schon der BN, eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss in Erwägung.

Die letzten großen Vorkommen in Bayern

Es geht um den Feldhamster und die Wiesenweihe. Das seien zwar nicht die einzigen bedrohten Arten entlang der geplanten Trasse, sagt Marc Sitkewitz, wohl aber die wichtigsten, weil hier inzwischen die letzten größeren Vorkommen in ganz Bayern beheimatet sind. Laut Gesetz müssen für Eingriffe in den Lebensraum Ausgleichsflächen geschaffen werden. Größe und Beschaffenheit dieser Flächen waren jahrelang ein Streitpunkt, bis es dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gelungen ist, ein Konzept auszuarbeiten, das die Interessen von Artenschutz und Landwirtschaft in Einklang bringt.

Bei der Größe habe man sich allerdings gründlich verrechnet, sagt Sitkewitz, und nennt als Beispiel die Wiesenweihe. Sie brütet ausschließlich im Wintergetreide, das im Frühjahr schon so hoch steht, dass es den Nestern Deckung bietet. Das für die artenschutzrechtliche Untersuchung zuständige Fachbüro hat ausgerechnet, dass in dem potenziellen Brutgebiet auf durchschnittlich sechs Prozent der Fläche Wintergerste und Winterroggen angebaut werden und sich daraus ein Verlust an Brutflächen  von 3,7 Hektar ergibt. Tatsächlich sei der Verlust viel höher, sagt Marc Sitkewitz, weil der Bestand an Winterweizen überhaupt nicht in Ansatz gebracht wurde. Und das sei laut der Anbaustatistik des Landwirtschaftsamts mit einem Flächenanteil von über 40 Prozent die mit Abstand häufigste Feldfrucht.

"Die Qualität des Gutachtens ist unterirdisch; die Fehler, die gemacht wurden, werden der Schwere des Eingriffs nicht gerecht."
Marc Sitkewitz, Landesbund für Vogelschutz

Die Erhebung sei von einem renommierten Umweltbüro erstellt worden, einen unabsichtlichen Fehler schließt der LBV-Gebietsbetreuer deshalb aus. Nach der vorliegenden Rechnung würde der Flächenverlust sogar unterhalb der sogenannten Erheblichkeitsschwelle von zehn Hektar liegen. Ein derart umfangreiches Ausgleichsverfahren wäre dann gar nicht nötig gewesen. "Man redet seit Jahren über einen Ausgleich für die Erheblichkeit und stellt nun fest, dass gar kein erheblicher Eingriff vorliegt", sagt Sitkewitz, "wenn die Rechnung stimmen würde, hätten wir uns das sparen können." Aber sie stimme eben nicht.

Flächenverluste klein gerechnet

Gleiches macht Marc Sitkewitz für den Feldhamster geltend. Auch er stellt spezielle Ansprüche an seinen Lebensraum und gräbt seine Baue am liebsten im lockeren, fruchtbaren Lößboden. Deshalb müssen Äcker, die als Ausgleichsflächen infrage kommen, auf der Skala von 0 bis 100 eine Bodenqualität von mindestens 70 haben. Um den Verlust an Lebensraum zu beziffern, seien ebenfalls nur hochwertige Flächen berücksichtigt worden, und das sei falsch, weil der Hamster - wenn ihm nichts anderes übrig bleibt- auch in schlechteren Äckern wohnt. Außerdem habe man für die Bestandserhebung auf Zahlen von 2016 zurück gegriffen, obwohl es längst aktuellere Bestandszahlen gebe, die sogar öffentlich zugänglich sind. "Eine bessere Datengrundlage hätte auf jeden Fall zuverlässigere Ergebnisse ermöglicht", sagt Marc Sitkewitz. 

Der LBV-Mitarbeiter und Umweltingenieur nennt eine Reihe weiterer Mängel. Etwa dass das Ausgleichskonzept andere schützenswerte Arten kaum berücksichtigt, obwohl ihnen mit geringem Aufwand ebenfalls Rechnung getragen werden könnte. Entsprechend vernichtend ist sein abschließendes Urteil: "Die Qualität des Gutachtens ist unterirdisch; die Fehler, die gemacht wurden, werden der Schwere des Eingriffs nicht gerecht." Statt knapp 15 Hektar geht er davon aus, dass mindestens 25 Hektar erforderlich wären. Bei dieser Arbeitsweise müsse der LBV den Finger in die Wunde legen, auch im Interesse der Landwirte, die seit Jahren auf freiwilliger Basis an Artenschutzprogrammen des Verbands mitarbeiten.

"Es wäre besser gewesen, die Politik hätte sich raus gehalten und die Fachleute ihre Arbeit machen lassen."
Marc Sitkewitz, Landesbund für Vogelschutz

Sitkewitz' Vermutung nach ist es der Einfluss der Landespolitik, der sich Gutachter und Fachbehörden gebeugt haben. In der Tat hatte die Gemeinde 2016 - die Ausgleichsproblematik war damals die letzte entscheidende Hürde - den bayerischen Innenstaatssekretär Gerhard Eck, damals noch für den Straßenbau zuständig, um Schützenhilfe gebeten, um die Größe der Ausgleichsflächen von ehemals 35 Hektar so weit wie möglich zu reduzieren. Eck hatte seine Unterstützung damals zugesichert.

"Es wäre besser gewesen, die Politik hätte sich raus gehalten und die Fachleute ihre Arbeit machen lassen", so Marc Sitkewitz heute. Unter dem Strich fürchtet er, dass nun den Naturschützern der Schwarze Peter für etwaige Verzögerungen zugeschoben werden soll. "Wir haben das Verfahren von Anfang an begleitet", stellt er fest, "der Naturschutz verzögert gar nichts, hier hat die Politik die Verantwortung, dass Probleme, die längst bekannt waren, nicht berücksichtigt wurden."

Ausgleichsverfahren mit Modellcharakter

Seine Kritik wiegt umso schwerer als das Giebelstadter Verfahren als landesweiter Modellfall gilt. Das Ausgleichsverfahren auf der Basis langfristiger Pachtverträge, verbunden mit einer vertraglich vereinbarten Bewirtschaftung, könnte als Blaupause für andere Bauvorhaben dienen, die aufgrund der Ausgleichsproblematik ins Stocken geraten sind. Entsprechend intensiv habe sich die Höhere Naturschutzbehörde an der Regierung von Unterfranken im Vorfeld mit dem Konzept beschäftigt.

Deshalb rechnet Sitkewitz damit, dass auch die Fachbehörde ihre Bedenken vorbringt, und im Rahmen des laufenden Planfeststellungsverfahrens eine Überarbeitung eingefordert wird.  "Wenn der Freistaat Bayern als Planungsträger fungiert, muss man voraussetzen können, dass sauber gearbeitet wird." Andernfalls behalte sich der LBV Rechtsmittel gegen den Planfeststellungsbeschluss vor. Den Schaden hätten auch andere Kommunen im Vogelschutzgebiet, das sich auch über Teile des nördlichen Landkreises erstreckt, sagt Marc Sitkewitz. Nach geltender Rechtslage könnten diese nämlich bei künftigen Vorhaben zu strengeren Auflagen gezwungen sein, um fehlende Ausgleichsmaßnahmen in Giebelstadt zu ersetzen.

Den Wunsch Giebelstadts nach einer Umgehungsstraße kann der LBV-Gebietsbetreuer gut verstehen. Und auch ein angemessener Ausgleich für die Eingriffe in die Natur sei möglich. "Das kriegt man hin, wenn sauber gearbeitet wird", sagt Sitkewitz, "und das erwarten wir."

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Giebelstadt
Gerhard Meißner
Artenschutz
Bauprojekte
Fehler
Gerhard Eck
Landwirtschaft
Naturschutz
Naturschutzbehörden
Naturschützer
Regierung von Unterfranken
Straßenbau
Streitereien
Vogelschutz
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • hausgarten
    Wenn es so weitergeht, werden wir uns im Jahr 2030 befinden und in Giebelstadt wird man noch immer die Umgehungsstraße planen bzw. die Einwendungen gegen diese prüfen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • gerhard.meissner@mainpost.de
    Es muss aber dazu gesagt werden, dass der LBV die Umgehungsstraße nicht verhindern will, sondern nur ein sauberes Vorgehen anmahnt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • rolandroesch@web.de
    Flughafen Berlin lässt grüßen
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • maczeug
    Das ist nicht vergleichbar. In Berlin wird schon gebaut.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten