
Enrico Calessos neuer Arbeitsplatz ist ein weniger glamouröser als der alte: Das Teatro Verdi in Triest ist, wie fast alle italienischen Opernhäuser, ein prachtvoller Tempel der Kunst. Das kann man von der Blauen Halle in Würzburg dann doch nicht sagen. Calesso, 50, seit 14 Jahren Generalmusikdirektor des Mainfranken Theaters, hält die Ausweichspielstätte trotz ihrer Beschränkungen dennoch für einen "Glücksfall". Im September 2023 hatte der Dirigent bekanntgegeben, dass er seinen Vertrag in Würzburg nicht verlängern wolle. Seither pendelt er zwischen Würzburg und Triest, nun wird er ganz als Musikchef ans Teatro Verdi wechseln.
Davor hat er aber noch zwei letzte große Auftritte in Würzburg: Am 9. Februar dirigiert er in der Blauen Halle die Premiere der Alban-Berg-Oper "Wozzeck" und am 19. Februar im CCW die monumentale zweite Sinfonie von Gustav Mahler - zwei Werke, die er bewusst für seinen Abschied gewählt hat. Im Gespräch verrät Calesso, was er an Würzburg vermissen wird. Und was nicht.

Enrico Calesso: Das wird sehr, sehr viel sein. Die Stadt und ihre Menschen, die mich und meine Familie so warm empfangen haben. Wir haben uns von der allerersten Minute an willkommen und zu Hause gefühlt. Ich werde aber auch viele, viele konkrete Menschen vermissen - im Theater wie in der Stadtgesellschaft. Auch die Arbeit an der Entwicklung dieses Hauses in Richtung Staatstheater werde ich vermissen - das war der gemeinsame Nenner in diesen 15 Jahren. Ich finde, wir haben mit unseren Visionen und unserer Qualität gezeigt, dass wir längst Staatstheater sind.
Calesso: Ich bin vor allem auf eine Sache stolz: die Resonanz beim Publikum. Als ich die Verantwortung übernommen habe, lag die Auslastung der Konzerte bei durchschnittlich 55 Prozent. Jetzt gehe ich nach 14 Jahren mit ausverkauften Konzerten. Natürlich gibt es in einer so langen Zeit einen Generationenwechsel im Orchester. Ich darf sagen, dass wir bei Neueinstellungen immer extrem aufgepasst haben, dass wir die richtigen Leute finden. Aber im Kern sitzt da noch das Orchester, das ich vor 15 Jahren vorgefunden habe. Gemeinsam haben wir alle für große Fortschritte gesorgt - das bekomme ich oft gesagt.

Calesso: Darüber denke ich seit Monaten nach. Es ist eine Mischung aus Traurigkeit und Dankbarkeit. Hier war Theater auf beachtlichem Niveau möglich. Ich bin vor allem glücklich über die Projekte im deutschen Fach. Sie wissen, ich bin ein großer Verehrer der deutschen Kultur. Ich habe schon als Jugendlicher angefangen, deutsche Literatur zu lesen. Trotzdem: Als Italiener muss man beim deutschen Repertoire die eigene Natur überwinden. Am Anfang dachte ich, ich werde das nie verstehen - aber ich bin drangeblieben. Deshalb sind Projekte wie "Tristan", "Götterdämmerung" und "Elektra" meine Highlights. Heute werde ich in Italien als Spezialist für das deutsche Fach wahrgenommen.
Calesso: Eine endgültige Antwort habe ich immer noch nicht. Man kann es, grob vereinfacht, vielleicht an den Strukturen festmachen. Das deutsche Repertoire verlangt eine ganz andere Orchesterstruktur. Es ist viel komplexer, viel radikaler. Denken Sie an Richard Strauss oder Wagner. Das Wesen der Musik entsteht durch den Orchesterklang. Der Italiener wiederum sieht das Orchester sehr oft einfach nur als Begleitung. Nehmen wir eine Bellini-Oper: Die Sänger singen, das Orchester begleitet. Dagegen zum Beispiel "Elektra" von Strauss: Da gibt es einen unglaublich dichten und unerbittlichen kompositorischen Duktus im Orchester, und die Sänger sind darin eingebettet.
Calesso: In Triest haben wir, wie überall im Land, Staggione-Betrieb. Das heißt: Die Produktionen laufen für eine sehr begrenzte Zeit, maximal zwei Wochen, dann sind sie durch. Die Probenzeit ist auch kürzer, maximal vier Wochen, aber sehr intensiv. Man probt extrem viel. Aber Solisten und Regie-Team haben währenddessen in der Regel nur diese eine Produktion, auf die sie sich voll konzentrieren können. Während der acht Wochen Proben in Deutschland laufen oft noch andere Produktionen und Vorstellungen parallel, weil ja ständig das ganze Repertoire des Spielplans bedient werden muss.

Calesso: Ja, absolut. Das hat sich angenähert. Aber eines finde ich in Italien immer noch sehr gut: Publikum, Kritiker und die Häuser selbst legen ganz großen Wert darauf, dass auch Regietheater in absolutem Respekt vor der Musik stattfindet. Und wie man sieht, entstehen trotzdem noch ganz tolle Inszenierungen, wie die "Traviata", die Sie ja auch in Triest erlebt haben. Das ist in Deutschland ein wenig verloren gegangen. Da opfert man manchmal die Musik zugunsten von sehr starken Regiekonzepten. Das finde ich gefährlich. Denn die Oper ist so, wie sie ist. Man sollte sie nicht in eine andere Gattung verwandeln.
Calesso: Schwierige Frage. Nach der "Elektra" hatte ich eine emotional etwas trübe Zeit. Das hat mit dem bevorstehenden Abschied zu tun, dachte ich. Aber dann wurde mir auch bewusst, wie viel körperliche und psychische Energie man für das Haus geben muss. Die Rolle des Generalmusikdirektors ist allumfassend, man ist überall involviert, hat aber nicht die Möglichkeit, alleinige Entscheidungen zu treffen. Das hat mich richtig müde gemacht. Und das ist das, was ich nicht vermissen werde.
Ich habe Enrico Calesso mehrere Male in Würzburg erleben dürfen, sein Dirigat verschweißt die Musiker zu einem emotionalen Klangmonument, das das Publikum magisch in seinen Bann zieht.
Wir werden ihn in WÜ sehr vermissen.
Eine Reise nach Triest zu einem seiner Konzerte ist schon im Hinterkopf und wartet auf Realisierung.