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Würzburg/Stuttgart
27 Jahre nach Tötung einer Frau in Stuttgart: Angeklagter wegen Mordes verurteilt
Nach dem Mammutprozess hieß das Urteil: "lebenslänglich". Doch der Bundesgerichtshof forderte Nachbesserung. Worum es geht und welche Rolle ein Würzburger Foto spielt.
Erneut versucht das Landgericht Stuttgart, einem Ex-Manager aus Franken den Mord an einer 35-Jährigen im Jahr 1995 nachzuweisen - auch mit alten Bildern des Angeklagten aus einem Würzburger Verfahren. Das Foto entstand zu Prozessbeginn im November 2022.  
Foto: Christoph Schmidt, dpa | Erneut versucht das Landgericht Stuttgart, einem Ex-Manager aus Franken den Mord an einer 35-Jährigen im Jahr 1995 nachzuweisen - auch mit alten Bildern des Angeklagten aus einem Würzburger Verfahren.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 15.07.2024 11:30 Uhr

Update vom 9. März 2023: 27 Jahre nach der Tötung einer Frau in Stuttgart, ist die aufsehenerregende Wiederaufnahme des Verfahrens um den Mord am Donnerstag mit der Höchststrafe für den angeklagten Täter zu Ende gegangen: lebenslange Haft. Lesen Sie hier den vollständigen Bericht zum Urteil.

Artikel vom 28. Dezember 2022: Ein 15 Jahre altes Pressefoto aus einem Würzburger Mordprozess hat im vergangenen Jahr in Stuttgart spektakulär zur Aufklärung eines anderen Frauenmordes geführt, der drei Jahrzehnte ungeklärt gewesen war: Der Angeklagte soll 1995 die ihm unbekannte 35-jährige Brigitta J. mit 24 Messerstichen auf offener Straße getötet haben. Er wurde zu "lebenslänglich" verurteilt. Doch jetzt könnte auf ihn die Freiheit warten: Denn der Bundesgerichtshof (BGH) fordert Nachbesserungen des Urteils, die schwer erfüllbar scheinen. Angehörige des Opfers sind entsetzt.

Das Leben des heute 72-jährigen Angeklagten war rasant wie eine Achterbahnfahrt: Einst erfolgreicher Manager einer Porzellan-Manufaktur in Franken, dann aus Geldnot Erpresser von Shell in Hamburg, in Bayreuth im Jahr 2004 nach dem Mord an einer Anhalterin freigesprochen, im zweiten Prozess dazu 2007 am Landgericht Würzburg dann doch zu zehn Jahren Haft verurteilt. 

Nach der ersten Haftstrafe holte ihn die Vergangenheit ein

Kaum wieder frei, holte den Mann 2017 die Vergangenheit ein: Weil Angehörige der ermordeten Stuttgarterin Brigitta J. keine Ruhe gelassen hatten, war plötzlich sein ursprünglich nur schlampig geprüftes Alibi geplatzt. Mit neuen Methoden konnten Ermittler DNA des heute 72-Jährigen am Opfer nachweisen. Im Sommer 2021 schließlich verdichtete sich der Verdacht weiter - auch, weil ein Augenzeuge der Mordnacht einen alten Bericht vom Würzburger Prozess samt Foto des Angeklagten im Internet gefunden hatte. 

Bundesgerichtshof: Nicht genug Belege für Heimtücke

Die Obersten Richter am Bundesgerichtshof fanden indes erneut einen Fehler im Urteil - wie 2007 in Würzburg: Auch der Stuttgarter Fall ging in Revision. Dabei bezweifelt nicht einmal der BGH, dass der 72-Jährige 1995 Brigitta J. nachts auf dem Heimweg von der Arbeit in einem Industriegebiet getötet hat. Was der BGH jetzt kritisierte: Das Stuttgarter Gericht habe nicht ausreichend Belege für heimtückisches Vorgehen gefunden, was Voraussetzung für die Verurteilung wegen Mordes ist. 

Es sei völlig offen, ob es vor den tödlichen Stichen ein Gespräch oder einen Streit gegeben habe und ob die Frau hätte fliehen oder um Hilfe rufen können, heißt es in der selbst von Juristen kopfschüttelnd zur Kenntnis genommenen Entscheidung des BGH. Wie dies nach über 25 Jahren ohne ein Geständnis und ohne Zeugen bewiesen werden soll, ist völlig unklar.

"Was Sie angetrieben hat, darüber liegen wir völlig im Dunkeln", hatte der Vorsitzende Richter in Stuttgart in der Begründung seines Urteils zugegeben. Der psychiatrische Gutachter hatte sogar "pure Mordlust" als Motiv für möglich gehalten. Zu Beginn des nötigen zweiten Prozesses im November 2022 kündigte die Anwältin des 72-Jährigen an, ihr Mandant werde weder Angaben zur Person noch zur Sache machen.

Wieder geht es um die Würzburger Bilder des Prozesses von 2007

Nun wird der Fall in Stuttgart also komplett neu aufgerollt - auch mit einem Gutachten über den  Angeklagten aus dem Würzburger Prozess von 2007 und Bildern dieser Redaktion aus dem Würzburger Gerichtssaal. Ein wichtiges Beweisstück: Denn nach 27 Jahren hat sich das Aussehen des Angeklagten so verändert, dass ihn selbst Zeugen, die sein Gesicht damals nahe vor sich hatten, nur schwer erkennen.

Wieder wird sich in Atlanta in den USA ein heute 69-jähriger früherer Pilot die Fotos anschauen. Er war in jener Nacht in Stuttgart zufällig zum Tatort gekommen und hatte gesehen, wie Täter und Opfer kämpften. Dem Angreifer hatte er direkt ins Gesicht gesehen, bevor dieser mit einem Auto davongefahren war.

Der Zeuge aus den USA hatte den Angeklagten in dem zehnmonatigen Mammutprozess 2021 mit Corona-Maske nicht wiedererkannt. Aber er recherchierte dann selbstständig im Internet - und schrieb aufgewühlt eine Mail ans Stuttgarter Gericht: "Das ist der Drecksmörder". Dass er den Angeklagten anhand der Würzburger Bilder identifizierte, trug wesentlich zur Verurteilung bei.

Neues Urteil - wegen Totschlags statt wegen Mordes?

Aber sollte die Kammer jetzt nicht neue Beweise für Mord finden, stehen die Chancen des Angeklagten auf eine Freilassung gut. Denn dann wäre nur eine Verurteilung wegen Totschlags möglich - was anders als Mord nach 20 Jahren längst verjährt wäre.

 
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  • W. S.
    Was ich in diesem Fall nicht nachvollziehen kann, ist die Verjährung, falls es "nur" Totschlag war.

    Ich kann mir vorstellen, dass das damit begründet wird, dass es mit zunehmendem zeitlichem Abstand schwieriger wird, Sachverhalte und Tatabläufe nachzuweisen. Es ist aber gleichermaßen ein Mensch tot. Aber nach 20 Jahren juristisch vergessen, selbst wenn die Tat (dank moderner Analysemethoden) erst jetzt beweisbar ist.

    Wird jemand 19 Jahre und 11 Monate nach der Tat verurteilt, muss er u.U. für 10 Jahre hinter Gitter. Einen Monat später bei gleicher Sachlage und Beweislast gar nicht. Da stimmt doch was nicht.
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  • I. R.
    Soweit ich das verstehe geht es nicht um die Frage, ob er es war, sondern warum er es tat, mit/ ohne Vorsatz. Mit=Mord, verjährt nicht! Ist das hier so, dass eine Spontanüberlegung im Laufe der beobachteten Rangelei wie „ach, die könnte ich dann bisschen abstechen wenn sie nicht will“ eben verjähren kann? Sofern nicht mehr nachweisbar ist, dass er ihr aufgelauert hat o.ä?Damit fallen sicher viele Spontantäter, besonders bei Sexualdelikten womöglich darunter, sofern sie nicht anderweitig beobachtet werden. Das Opfer ist ja tot und kann nicht mehr aussagen! Vielleicht hätte es gesagt „lass mich los, du Schwein“? Wäre das Mord? Ich war 2 x in so einer Situation, verfolgt, war nur 1 x schneller und 1x so beherzt, da aussichtslose Fluchtsituation, auf den Täter losgegangen, dass der wohl dachte, die hat eine Waffe, getürmt wie ein Hase! Ich gehe in brenzligen Situationen nie ohne Schlüssel in der Hand bzw. für kurze Strecken Taxi! Arme Frauen in Deutschland, dafür bitte RichterINNEN!
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  • S. K.
    Tatvorsatz brauchen Sie sowohl für Mord als auch für Totschlag. Für einen Mord sind zusätzliche Mordmerkmale erforderlich (zB Habgier, Mordlust, Heimtücke, etc., § 211 StGB). Im Nachhinein meist sehr schwer sicher feststellbar.
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  • I. R.
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    Ich hatte über die Weihnachtsfeiertag Gelegenheit mit einem Richter an einem Landgericht zu sprechen. Er sagte mir, wenn es die Totesstrafe auf Mord gäbe , konnte er kein Strafrichter sein. Zu denken habe ihn ein Fall gegeben, wo ein vermeintlicher Täter aufgrund eindeutiger Zeugenaussagen wegen Mordes verurteilt wurde. Später stellte sich der wahre Täter.
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    Im Zweifel für den mordlüsternen Täter - geht's noch?
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  • D. H.
    Wenn die Mordlust des Täters belegt werden kann, wird er auch wegen Mordes verurteilt werden.
    Wenn weder dieses noch ein anderes Mordmerkmal hinreichend belegt werden kann, wird er auch nicht wegen Mordes verurteilt werden.
    Solange daran nennenswerte Zweifel bestehen, gilt natürlich der Grundsatz "in dubio pro reo".
    Und das ist auch gut so.

    Sie wollen es anders? Ja geht's noch?
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    @danann: Falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist: Es handelt sich um einen Wiederholungstäter! Lesen Sie den Bericht noch mal - allerdings aufmerksam! und schalten mal einen Gang zurück!!!
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    @danann: "nennenswerte Zweifel"? Wo bitte???
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  • D. H.
    @gardner: Offensichtlich gab es bei den zuständigen Richtern am BGH ausreichende Zweifel an der Urteilsfindung des Stuttgarter Gerichts.
    Aber selbst das verurteilende Gericht hatte an der Mordlust des Täters wohl genügend Zweifel, sonst hätte man den Täter deswegen verurteilt. Im Artikel steht aber sehr klar zitiert, dass man die inneren Beweggründe des Täters eben nicht kennt.
    Das nun kassierte Urteil stützte sich wohl auf die Heimtücke nicht auf Mordlust.
    Würden Sie wissen, wenn Sie den Artikel aufmerksam gelesen hätten.

    Wenn Sie ganz aufmerksam sind, stellen Sie vielleicht sogar fest, dass die Main Post in der Schlagzeile mittlerweile auch nicht mehr von einem Frauenmord schreibt.

    Sie können es nun natürlich schlecht finden, dass es (bis jetzt) nicht gelungen ist, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
    Für eine Verurteilung ist es aber nötig auch genau die angeklagte Straftat zu beweisen und nicht eine so ähnliche Tat oder weil man es sich ganz doll wünscht.
    Beste Grüße
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