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Würzburg
Mordprozess in Stuttgart: Warum alte Würzburger Gutachten eine Rolle spielen
In Stuttgart geht ein spektakulärer Prozess mit Querverbindungen zu einem Würzburger Fall vor 14 Jahren aufs Urteil zu: Tötete der Angeklagte zwei Frauen? Mit welchem Motiv?
Tötungsdelikt in Stuttgart 1995: In der Sendung 'Aktenzeichen XY ungelöst' suchte Eduard Zimmermann 1996 nach dem Täter. 25 Jahre später sitzt ein Mann auf der Anklagebank, der in Würzburg zehn Jahre in Haft saß.
Foto: ZDF | Tötungsdelikt in Stuttgart 1995: In der Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" suchte Eduard Zimmermann 1996 nach dem Täter. 25 Jahre später sitzt ein Mann auf der Anklagebank, der in Würzburg zehn Jahre in Haft saß.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:25 Uhr

In einem spektakulären, 26 Jahre alten Mordfall stehen Stuttgarter Richter jetzt vor einer Frage, auf die vor 14 Jahren ihre Würzburger Kollegen keine Antwort gefunden hatten: Was treibt einen Mann dazu, ihm völlig fremde Frauen zu töten? Das Tragische daran: Hätten Ermittler in Stuttgart in dem Fall aus dem Jahr 1995 früher eine Antwort gefunden, könnte die 2001 getötete Frau aus dem Würzburger Fall vielleicht noch leben.

Zeuge erkennt den Angeklagten auf Würzburger Pressefotos

Das Würzburger Verfahren im Jahr 2007 steht jetzt im Fokus des laufenden Prozesses gegen einen 70-Jährigen in Stuttgart: Ein Augenzeuge hat den Angeklagten identifiziert – anhand von alten Pressefotos zum Prozess in Würzburg, auf denen er 14 Jahre jünger aussah. Weil der Angeklagte jede Mitarbeit verweigert, haben die Stuttgarter Richter auch auf alte Gutachten aus Würzburg über seine Psychostruktur zurückgegriffen

Die Richter sollen den Tod der 35-jährigen Brigitta J. klären. Die Künstlerin war im Juli 1995 kurz vor Mitternacht auf dem Heimweg von der Arbeit, als ein Mann unvermittelt 23 Mal auf sie einstach - offenbar ohne erkennbares Motiv. Hinzukommende Zeugen schickte der Mann kaltblütig vom Tatort weg, um Hilfe zu holen.

Tatwaffe: eine Ahle 

Die Mordwaffe, ein einfaches Werkzeug aus dem Baumarkt, wurde nie gefunden: Dem Gutachter im laufenden aktuellen Prozess zufolge muss es eine vierkantige Ahle gewesen sein, die markante Spuren an Knochen des Opfers hinterlassen hatte. Nach dem Tötungsdelikt war der 70-jährige Angeklagte, ein ehemaliger Manager, unter Verdacht geraten. Sein wackliges Alibi - angeblich war er zur Tatzeit mit einem Freund im Biergarten gesessen - war jedoch damals nur schlampig überprüft worden. Die Mordermittler ließen ihn laufen.

Der 70-Jährige säße jetzt nicht auf der Anklagebank, wenn Cold-Case-Ermittler im vergangenen Jahr noch einmal alte Spuren überprüft hätten. Offenbar hatte das Opfer seinen Mörder im Todeskampf gekratzt. DNA-Spuren unter den Fingernägeln stimmten mit genetischen Daten jenes Mannes überein, den Würzburger Richter 2007 verurteilt und nach zehn Jahren Haft gerade erst wieder freigelassen hatten. 

Der heute 70-Jährige hatte sich in Würzburg für die Tötung einer Anhalterin verantworten müssen, die er von der ungarischen Grenze aus mitgenommen hatte. Beweismittel im Prozess war ein  winziges Stück Klebeband, mit dem er den Ermittlern zufolge das Opfer gefesselt hatte, bevor er es bei Bayreuth erstach. Er wurde dafür wegen Totschlags verurteilt.

Welches Motiv trieb den Angeklagten?

Über seine Motive wurde im Würzburger Prozess nur spekuliert: Geldgier eines verschuldeten Managers auf wenige hundert Euro des Opfers? Ein Gutachter mutmaßte damals, der Angeklagte sei eifersüchtig auf die Frau gewesen, die in geordneten Umständen lebte, während sein familiäres Glück gerade am Zusammenbrechen war.

Die Frage des Motivs bewegt nun auch die Stuttgarter Richter - und könnte für eine Verurteilung entscheidend sein: Mord oder Totschlag? Ein Totschlag vor 26 Jahren wäre verjährt und würde den Angeklagten auf freien Fuß bringen.

DNA-Analyse: Cold Case im vergangenen Jahr neu aufgerollt

Die DNA-Spur, die beim 35-jährigen Opfer gefunden worden war und die dank neuer kriminaltechnischer Methoden jetzt analysiert werden konnte, legt einem Gutachter zufolge mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 24 Billionen nahe, dass der Angeklagte derjenige war, der Brigitta J. tötete. Und der für das Alibi angegebene Biergarten war zur Tatzeit offenbar längst geschlossen.

Die Leiterin der Ermittlungen sprach im aktuellen Verfahren am Stuttgarter Landgericht von  "Zufallsopfer". Und der psychiatrische Sachverständige Peter Winckler sagte, auch auf der Basis des alten Würzburger Gutachtens: Die Tötung sei keine Affekthandlung gewesen. Sollte der Angeklagte der Täter sein, sei er "womöglich auf der Pirsch" gewesen: "Es könnte sich also um die Tötung als solche gehandelt haben", so Winckler, "um das Erleben grenzenloser, entfesselter gottgleicher Macht."

An diesem Montag wird vor der Großen Strafkammer wieder verhandelt, drei weitere Fortsetzungstermine sind noch angesetzt. Laut Pressemitteilung des Landgerichts könnte das Urteil am 7. Juli fallen.

 
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