Die Szene im Prozess am Landgericht Stuttgart entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Zum Schutz vor Pressefotografen hält sich der mutmaßliche Frauenmörder Hartmut M. am Mittwoch auf der Anklagebank schnell ein Stück Papier vors Gesicht. Er erwischt zum Verhüllen ausgerechnet eines jener Pressebilder, die ihn nun des Mordes überführen könnten: Das dpa-Foto zeigt sein unmaskiertes Gesicht und erschien 2007 auch in der Berichterstattung der "Main-Post" über einen Prozess in Würzburg. Damals war Hartmut M. wegen Totschlags an einer Anhalterin verurteilt worden.
Dem Mörder ins Gesicht geschaut
Bereits 1995 soll der Mann eine Frau ermordet haben, die Künstlerin Brigitta J. Bei der Tat vor über 25 Jahren gab es Zeugen: Der US-Amerikaner Dennis B. fuhr mit einem Kollegen in seinem Auto zufällig vorbei, als er die ungewöhnliche Szene am Straßenrand wahrnahm. Bei dieser ersten Begegnung starrte der Mörder dem Zeugen Dennis B. direkt ins Gesicht. Nur eine Autoscheibe trennte die zwei. Der Anblick des Mannes mit den schief stehenden Zähnen brannte sich dem US-Piloten tief ins Gedächtnis, bevor er der sterbenden Frau zu Hilfe eilte. Der Täter floh.
Bei der zweiten Begegnung an diesem Mittwoch liegen über 25 Jahre und 7500 Kilometer zwischen beiden Männern: Der 68-jährige Ex-Pilot wird in dem Stuttgarter Mordprozess per Video zugeschaltet, aus einem Vernehmungsraum der US-Justiz in Atlanta. Zeitungsbilder werden zwischen Stuttgart und Atlanta hin und her geschickt, Prozessberichte aus der "Main-Post" in Würzburg und der "Frankenpost" in Hof, der Heimatzeitung des Angeklagten.
Auf einem Foto nimmt ein Polizist dem jetzt Angeklagten Hartmut M. gerade die Handschellen ab, sein Gesicht – damals 14 Jahre jünger – ist gut zu sehen. Dennis B. bestätigt im (virtuellen) Zeugenstand offiziell: "Das ist der Mann, der Brigitta ermordete."
Eine sichere Spur
Dabei war sich der Angeklagte zu Prozessbeginn so sicher: "Keiner der Zeugen hat mich am Tatort gesehen." Er schrieb , berichteten die "Stuttgarter Nachrichten" zu Prozessbeginn, einer Bekannten aus dem Gefängnis: "Ich blicke der Sache ruhig entgegen." Und nun belasten ihn alte Fotos – eben das des dpa-Fotografen Daniel Karmann aus "Main-Post", auch eines, dass der Journalist Jörg Völkerling geschossen hat, der nun – wie 2007 in Würzburg – auch vom Prozess in Stuttgart berichtet.
Erst 2020 konnte die DNA, die Ermittler am Tatort sichergestellt hatten, sichtbar gemacht und dem Verdächtigen zugordnet werden. Da hatte er seine zwölfjährige Haftstrafe des Landgerichts Würzburg gerade abgesessen.
Vor vier Wochen war der 68-jährige Amerikaner Dennis B. schon einmal als Zeuge aus den USA zugeschaltet. Damals sollte er nur über die Mordnacht vor 25 Jahren erzählen: Wie der Mann mit dem Messer von ihm weg lief und ins Auto stieg. Wie er selbst zu der am Boden liegenden Frau eilte, sie umdrehte. "Ich konnte nichts tun, als ihr beim Sterben zuzusehen", sagte er. Damals fragte keiner den Zeugen, ob er den Angeklagten erkenne, der mit Schutzmaske da saß. Anschließend suchte Dennis B. auf eigene Faust im Internet – und fand die Würzburger Presseartikel.
Der Prozess soll am kommenden Mittwoch fortgesetzt werden.