Das "letzte Wort" des Angeklagten im Prozess um den ungeklärten brutalen Mord an Brigitta J. dauert 35 Minuten. Keine einzige Silbe verliert der 71-Jährige darin an das Opfer - wie im Jahr 2007 vor Gericht in Würzburg, im Fall Magdalena H. Jetzt, im Verfahren am Landgericht Stuttgart, interessiert den Angeklagten offenbar nur seine Zukunft. Nichts, sagt er, sei bewiesen.
Angeklagter in der Manager-Rolle
Neun Monate lang hatte er in dem Prozess zum Mordfall aus dem Jahr 1995 geschwiegen. Auch deshalb musste das Gericht auf ein altes Gutachten aus dem Würzburger Verfahren v0r 14 Jahren zurückgreifen, um ihn einschätzen zu können. Überhaupt hatte der Würzburger Prozess eine wichtige Rolle gespielt: Anhand von Pressefotos von damals hatte ein Zeuge vom Tatort der Stuttgarter Bluttat den Angeklagten erkannt.
Über Fotos will der 71-Jährige auch in seinem letzten Wort reden: über Polaroidfotos, die die Stuttgarter Polizei von ihm im Zuge der Ermittlungen gemacht hatte. Darauf seien keine Verletzungen an seinem Körper oder Gesicht zu sehen, obwohl ihn das tödlich verletzte Opfer noch gekratzt haben soll: "Einen Vorwurf gegen meine Person ergeben diese Bilder nicht."
Kalt analysierend gibt der Angeklagte vor dem Landgericht Stuttgart wieder den Manager, der er vor zwei Jahrzehnten war - vor einer Pleite und seinem Erpressungsversuch des Shell-Konzerns. Unbeeindruckt spricht er von "fehlender qualitativer Ermittlungsarbeit" - und hält den Ermittlern vor, "die selbst behauptete Objektivität" habe "einen sehr deutlichen Mangel".
Lebenslänglich oder Freispruch?
Für den 71-Jährigen, der 2007 in Würzburg schon einmal des Mordes an einer Frau angeklagt war, geht es nun um Freispruch oder "lebenslänglich". Ihm wird vorgeworfen, am 14. Juli 1995 gegen Mitternacht die 35-jährige Stuttgarterin Brigitta J. auf offener Straße abgepasst und mit über 20 Stichen getötet zu haben.
Unter den Zuschauern während der 29 Prozesstage am Landgericht Stuttgart sind nicht nur die Schwester und Nichte des Opfers Brigitta J.. Unter ihnen ist auch die Tochter von Magdalene H., die 2001 im oberfränkischen Thurnau am Rand der Autobahn nach Schweinfurt getötet worden war. Dafür - und für die Shell-Erpressung - hatte der Angeklagte in Bayreuth zunächst einen Freispruch erhalten. Zwei Jahre später wurde er, weil Mord nicht beweisbar war, in Würzburg zu zwölfeinhalb Jahre Haft wegen Totschlages verurteilt.
Für eine Haftstrafe würde das Urteil "Totschlag" in Stuttgart jetzt nach 26 Jahren nicht reichen. Entweder die Richter halten ihn des Mordes für schuldig - oder es gibt wegen Verjährung einen Freispruch.
Was der ehemalige Manager nicht beiseite wischen kann, sind die Spuren unter den Fingernägeln des Opfers, die den Täter im Todeskampf gekratzt haben muss. Sichtbar gemacht werden konnten die Spuren durch neue Analysemethoden erst 25 Jahre nach der Tat. Die gesicherte DNA stamme mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 24 Billionen von Angeklagten, sagte ein Gutachter.
Könnte ein Opfer noch leben?
Die Familie des Opfers hat den Ermittlern handwerklicher Fehler vorgeworfen, weshalb der Fall erst nach über einem Vierteljahrhundert vor Gericht kam. Viele der Vorwürfe bekräftigte vor Gericht ein früheres Mitglied der Sonderkommission. Auch deshalb fragt die Tochter der 2001 vom Angeklagten getöteten Magdalena H.: Könnte ihre Mutter noch leben, wenn die Stuttgarter Ermittler 1995 sorgfältiger gearbeitet hätten?
Staatsanwältin Isabelle Wolf hat für eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes aus Heimtücke plädiert. Nebenklagevertreter Mario Seydel sieht gar eine "eindeutige Indizienkette", die auf einen Serientäter hindeute. Verteidigerin Amely Schweizer plädierte auf Freispruch.
An diesem Mittwoch nun soll in Stuttgart das Urteil fallen: Eine Woche vor dem 26. Jahrestag des Mordes hat das Gericht das wirklich letzte Wort.
Beim Mord in Wiesenfeld wurden auch Blut und Spermaspuren vom vermeintlichen Täter an der Unterwäsche der Getöteten gefunden, soll angeblich auch nichts beweisen. Anscheinend treibt der Heilige Geist sein Unwesen...