Altehrwürdige Gemäuer haben vielleicht nicht unbedingt eine "Seele", auch wenn sie wie das Evangelische Gemeindehaus zu kirchlichen Zwecken erbaut wurden, aber sie haben "Charakter". Und in dieser Hinsicht hat das Gemeindehaus in der Friedenstraße gerade einen Charakterwandel, ja schon eine Hinwendung zu neuer Charakterstärke vollzogen. Ab diesen Freitag wird das Haus bis mindestens Frühjahr 2025 zur Ersatzspielstätte für das Schweinfurter Theater, das bekanntlich wegen seiner Generalsanierung geschlossen ist.
Bei einem Rundgang durch das theatertauglich gemachte Gemeindehaus zeigt der technische Direktor des Schweinfurter Theaters, Jochen Kuhn, was alles in gut sechs Wochen gebaut, geschreinert und verändert wurde, um den Saal in eine Spielstätte zu verwandeln. "Es war uns wichtig, den nostalgischen Charme zu bewahren", so Kuhn. Dazu gehören die klassische Garderobe und der Eingangsbereich mit Sitzgruppen.
Wer das breite Foyer durchschritten hat, betritt einen Saal, dessen neues Innenleben so konzipiert, ja beinahe komponiert wurde, dass es fast scheint, als habe der Raum nun seine endgültige Bestimmung gefunden. "Eigentlich ist das der kleine Saal, den Schweinfurt lange gesucht hat und braucht", so Thomas Kuhn, der dem Theater seit 1987 verbunden ist, der zwischenzeitlich am Residenztheater in München arbeitete und seit 2018 technischer Direktor in Schweinfurt ist.
Den sehr weißen Wänden wurde viel sehr schwarzer, schwerer, dicker Samt als Kontrast hinzugefügt. Samt als Verkleidung der Stellwand hinter den Sitzreihen, als akustischer "Schallschlucker" an den Wänden und natürlich für den Bühnenvorhang. Auch der berühmte "Front of House-Platz" inmitten des Publikums, in dem die Technik für Licht und Ton versteckt ist, präsentiert sich im feinen Samtmantel.
Nachhaltigkeit und "Zweitverwertung" spielten eine große Rolle beim Umbau
Das sieht gut aus und kostet nichts, denn der Samt stammt aus dem Theater der Stadt, hätte aufwendig gelagert werden müssen. "Das ist alles von uns umgenäht worden, wir haben keinen einzigen Auftrag vergeben", lobt Kuhn sein zehnköpfiges Theater- und Technik-Team, das in wenigen Wochen viel Neuland betreten und durchqueren musste. "Ich bin seit 30 Jahren Führungskraft, so ein motiviertes Team hatte ich noch nie."
Nachhaltigkeit mit Spareffekten im Fahrwasser, sprich Wiederverwendung von Materialien aus dem Theater, ziehen sich wie ein roter Faden durch den nun Schwarz-Weißen Theatersaal. So bestehen die Böden für die Sitzplatz-Tribüne im Parkett aus den ehemaligen "Brettern, die die Welt bedeuten" aus dem Schweinfurter Theater. Die 280 Stühle im Saal, ausgestattet mit grünen nummerierten Sitzkissen, stehen jetzt also tatsächlich auf Bühnenbrettern. Auch die 120 Plätze auf dem Balkon, passend zur kirchlichen Widmung des Hauses auch Empore genannt, sind sitzkissennummeriert.
Die Bühne des Evangelischen Gemeindehauses, auf der die legendären "Comedian Harmonists" ihr letztes Konzert auf deutschem Boden gegeben haben sollen, ist nicht mehr abgerundet, sondern ein deutlich vergrößertes Spielquadrat mit nun vier Metern Tiefe und zwölf Metern Breite, unter dem die Tonanlage verbaut ist. Große Oper wird auf dieser Vorbühne, auch wegen des fehlenden Orchestergrabens, nicht stattfinden können, aber großes Theater mit viel Nähe zum Publikum. Wer vorne sitzt, ist fast schon dabei, beim Bühnengeschehen, auch bis ganz hinten ist die Akustik erstaunlich gut, was auch der neu gezimmerten Vorbühne geschuldet ist, die das Geschehen auf der Bühne buchstäblich in den Saal hineinträgt.
Als "gesunde und gute Mischung, die allen Genres gerecht wird", bezeichnet Jochen Kuhn die optimierte Gemeindesaalakustik. Völlig neu ist lediglich das Riggingsystem, also die Aluminium-Masten für Ton und Scheinwerfer. Wie gut das Gesamtkonzept funktioniert, und ob die Theatergäste ihre Liebe zur neuen Spielstätte entdecken, wird sich am Sonntag, 23. Oktober, bei der Uraufführung des Schauspiels "Vom Suchen und Finden der Liebe" zeigen.
Dann werden sich die Akteure auch erstmals in den neuen Garderoben bühnenfertig machen. Die wurden in zwei ehemaligen und zuletzt leerstehenden Wohnungen im Haus untergebracht. Auch da finden sich wieder, von der Vorhangschienen über die Spiegel bis hin zu den Lampen, zahlreiche Teile aus dem Stadttheater, die dort nach der Sanierung nicht mehr gebraucht werden.
Beeindruckend, wie viel Theater in wenigen Wochen im Evangelischen Gemeindesaal verbaut wurde. Entstanden ist eine Spielstätte, die "eigentlich zu schade ist, nur Übergangslösung zu sein", findet auch Jochen Kuhn, der sehr zufrieden mit dem ist, was er in den zurückliegenden Wochen mit seinem Team geschafft hat.
So wird das Theaterangebot aus dem Dornröschenschlaf geweckt
Mit der Eröffnung diesen Freitag um 19 Uhr wird das Theaterangebot in Schweinfurt sozusagen aus dem Dornröschenschlaf geholt (Eintritt zehn Euro, Karten über www.theater-schweinfurt.de/eroeffnung-ersatzspielstaette). Die Eröffnungsfeier wird musikalisch umrahmt vom Jan-Reinelt-Jazz-Quintett. Das Theaterteam öffnet auch die Backstage-Räume, damit die Gäste sich ein Bild machen können, wie aus einem Gemeindesaal ein Theater wurde.