Das Theater Schweinfurt wird für 42 Millionen Euro auseinandergenommen und dann genau so wieder zusammengebaut. Warum? Weil es ein Gesamtkunstwerk ist. Ein letzter Rundgang.Im Zuschauerraum hebeln sie gerade mithilfe einer Eigenkonstruktion, dem "Korkenzieher", die Sitzreihen aus dem Betonboden, Halterung für Halterung. Das Theater der Stadt Schweinfurt ist geschlossen. Bis Oktober 2024, wegen Generalsanierung. Die Stadt nutzt die Corona-Schließung, um Arbeiten vorzuziehen, die mit hauseigenen Kräften geleistet werden können, bevor die Fachfirmen anrücken. Unter der Leitung von Direktor Christian Federolf-Kreppel, Technikchef Jochen Kuhn und Roger Vanoni, sonst für Licht und Ton zuständig, werden jetzt Scheinwerfer verpackt, Sofas für die Einlagerung vermessen oder eben Sitze abmontiert.
Was dann folgt, ist laut Pressemitteilung ein "Rückbau des Theaters in den Urzustand". Die Mängel sind seit Jahren bekannt: Undichtes Dach, Schadstoffe und marode Leitungen in den Wänden, mangelhafter Brandschutz, veraltete Bühnentechnik. All das muss grundlegend angegangen werden. Außerdem entsteht ein unterirdischer, zweigeschossiger Anbau mit etwa 400 Quadratmetern Grundfläche, der die Raumsituation entspannen soll.
Alles ist genauestens durchgestaltet - sogar die Uhr in der Pförtnerloge
Schweinfurt investiert 42 Millionen Euro, um das 1966 eröffnete Theater komplett auseinanderzunehmen und anschließend wieder so zusammenzubauen, dass es genauso aussieht wie vorher. Es geht hier nicht nur um die Modernisierung eines in die Jahre gekommenen Zweckbaus, sondern um die Pflege denkmalgeschützter Kunst.
Das Theater Schweinfurt ist ein Gesamtkunstwerk, durchgeplant und durchgestaltet bis ins kleinste Detail wie die Uhr in der Pförtnerloge, die kein Gast je zu sehen bekommt. Oder die Leuchten unter dem Rang. Die Sonderanfertigungen von Swarovski sind bezeichnend für das gesamte Konzept: Eine scheinbar nüchterne Hülle offenbart bei näherer Betrachtung erstaunliche Inhalte. Die unscheinbaren quadratischen Glasbausteine werfen, wenn eingeschaltet, magische Strahlensterne an die Decke.
Meist wird nur Erich Schelling (1904-1986) als Schöpfer des Theaters genannt, einer der bedeutenden deutschen Nachkriegsarchitekten. In Wahrheit ist es eine Gemeinschaftsarbeit: zwischen Schelling selbst und seiner Frau, der Innenarchitektin und Bühnenbildnerin Trude Schelling-Karrer (1919-2009).
Sie hat das Vorgehen einmal so beschrieben: "Schelling und ich haben damals moderne Theater besucht und festgestellt, dass dort alles Funktion war. Die gibt es auch in unserem Haus, wir haben aber bewusst Elemente hinzugefügt, die das Strenge aufgelockert haben. Etwa die Lampen längs der Fenster im oberen Foyer. Und mit dem großen Glasgehänge im Zuschauerraum haben wir ein Element des barocken Theaters, den Lüster, verwendet."
Alles, was nicht Swarowski ist, kommt direkt aus Murano: Die von Schelling-Karrer erwähnten Glastropfen an der Decke des Zuschauerraums beispielsweise. 2500 Teile, die zusammen 2,9 Tonnen wiegen. Oder die über 3000 länglichen Elemente im oberen Foyer, die es auf 10,5 Tonnen bringen. Genauestens ist festgelegt und inzwischen auch digital dokumentiert, wo wie viele zu hängen haben.
Gleiches gilt für die dreieckigen, hinterleuchteten Elemente an den Seitenwänden im Zuschauerraum, die "Tütenwände", die ebenso wichtig für die Optik wie die Akustik sind. Jedes Teil wird nun nummeriert, damit es anschließend genauso wieder eingebaut werden kann.
Erich Schelling machte sogar Vorgaben zur Bepflanzung im Park
Im Haus erzählt man sich bis heute eine bezeichnende Geschichte: Beim Putzen wurde einmal eine große Topfpflanze um 20 Zentimeter verschoben, was Trude Schelling-Karrer sofort bemerkt und bemängelt habe. Apropos Pflanzen: Erich Schelling machte sogar Vorgaben zur Größe der Bepflanzung im Park um das Theater herum. Was er wohl zum Kugellager-Denkmal gesagt hätte, das seit 2012 direkt vor dem Haus steht?
Von außen hat das Haus trotz seiner selbstbewusst aufragenden kubischen Formen nichts Auftrumpfendes oder gar Einschüchterndes. Es gibt keinen Säulenportikus und keine Stufen, die das Publikum erklimmen müsste. Die kühn angedockte Außentreppe hat nichts mit den üblichen Freitreppen zu tun, sie ist nicht Hürde, sondern Verbindung zum Park beziehungsweise zum Außenbalkon, der das obere Foyer umschließt. Man betritt das Theater ebenerdig, im wahrsten Sinne schwellenlos.
Gläserne Lichttunnel bilden die Schleusen zwischen Alltag und Kunst. Sie saugen das Publikum gleichsam ins untere Foyer, eine von gleißenden Neonwänden und Spiegeln gegliederte Marmorhalle. Die Botschaft ist klar: Theater ist nicht Alltag. Theater ist ein Fest. Und die Zuschauerinnen und Zuschauer sind die Festgäste.
Ganz anders übrigens als im Stadttheater Würzburg, heute als Mainfranken Theater mitten im Um- und Ausbau. Der Würzburger Neubau war 1966 nur drei Tage nach Schweinfurt eröffnet worden. Hier reichte das Kopfsteinpflaster und mit ihm der Alltag bewusst ins Foyer hinein, an der Decke des Zuschauerraums hingen keine Glaskunstwerke, sondern schlichte Glühbirnen.
Das Haus atmet die Ästhetik der Sechziger und wirkt doch vollkommen zeitlos
In Schweinfurt weicht der Marmor im oberen Bereich warmen Farben, Teppichboden und verspielten Lampen. Von vielen unbemerkt: Die Rückwand zum Zuschauerraum bildet eine riesiges Wandgemälde von Karl Fred Dahmen (1917-1981), einem der bedeutendsten Vertreter der nichtgegenständlichen Malerei in Deutschland nach dem Krieg. Die edle Bar, deren blaugrün changierende Wände der Schweinfurter Künstler Gustl G. Kirchner (1920–1984) gestaltete, wäre in jeder Metropole eine Attraktion für sich.
Fast alles in diesem Haus ist noch original. Es atmet die Ästhetik der Sechziger und wirkt doch vollkommen zeitlos. Die weißen Schalensitze, die Vintage-Liebhabern heute wohl ein Vermögen wert wären. Die "Sternsofas", die so clever designt sind, dass – in pandemiefreien Zeiten natürlich – drei Parteien bequem gleichzeitig darauf sitzen können. Die einladende Garderobe, die so gestaltet ist, dass man kaum je anstehen muss. Und sogar die Aschenbecher an den Eingangstüren. Ein Anachronismus in rauchfreien Zeiten. Auf einen Gast wirkten sie vor gar nicht so langer Zeit dennoch so natürlich, dass er sich quasi unwillkürlich eine Zigarette anzündete.