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Gochsheim/Rottendorf
Tarifstreit im Groß- und Außenhandel: Antworten auf die 10 wichtigsten Fragen zum Streik bei Rewe, Edeka und Kaufland
Seit Monaten kommt es in den Zentrallagern des Groß- und Außenhandels in Bayern zu Streiks. Ein Überblick, über was Gewerkschaft und Unternehmen noch immer streiten.
Seit Monaten schwelt der Konflikt im bayerischen Groß- und Außenhandel. Auch im Zentrallager von Kaufland in Donnersdorf im Landkreis Schweinfurt legen Teile der Belegschaft - wie hier Mitte Juni - immer wieder ihre Arbeit nieder.
Foto: Stefan Pfister | Seit Monaten schwelt der Konflikt im bayerischen Groß- und Außenhandel. Auch im Zentrallager von Kaufland in Donnersdorf im Landkreis Schweinfurt legen Teile der Belegschaft - wie hier Mitte Juni - immer wieder ihre ...
Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 22.09.2023 03:11 Uhr

Leere Regale, laute Streikaktionen, frustrierte Filialleitungen: Der andauernde Streik im bayerischen Groß- und Außenhandel ist an vielen Stellen sichtbar. Auch nach der sechsten Verhandlungsrunde am 28. August haben es Gewerkschaft und Arbeitgeberseite nicht geschafft, sich auf ein Ergebnis zu einigen. Die Situation im Tarifkonflikt scheint festgefahren.

In Unterfranken ist vor allem Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen mit Sitz in Rottendorf (Lkr. Würzburg) an seinem Lagerstandort im Gochsheim (Lkr. Schweinfurt) von den Streiks betroffen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Antworten auf die zehn wichtigsten Fragen zum Tarifstreit.

1. Wer verhandelt im Tarifstreit im Groß- und Einzelhandel mit wem?

Auf der einen Seite steht die Gewerkschaft Verdi, die nach eigenen Angaben rund 240.000 Beschäftigte im bayerischen Groß- und Außenhandel vertritt.

Auf der anderen Seite steht die Arbeitgebervereinigung des Landesverbands Bayern Großhandel, Außenhandel (LGAD). Sie hat laut Stefanie Schmitt, Sprecherin von Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen, hunderte Mitgliedsunternehmen.

2. Wer ist Mitglied der Tarifkommission?

Die Tarifkommission besteht aus 15 Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Unternehmen sowie der Gewerkschaft Verdi. Darunter sind die Lebensmittelkonzerne Kaufland, Rewe und Metro, der Sanitärgroßhändler Richter+Frenzel, der Elektrohändler Hama sowie der Kfz-Großhändler Stahlgruber. Edeka Nordbayern ist mit einer Person im Gremium vertreten und hat laut Schmitt also eine von 15 Stimmen auf Arbeitgeberseite.

3. Wofür wird im Groß- und Außenhandel derzeit gestreikt?

Der Flächentarifvertrag im bayerischen Großhandel ist im Mai 2023 ausgelaufen. Seit Beginn der Verhandlungen im April fordert Verdi 13 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Dazu soll die Ausbildungsvergütung um 250 Euro steigen sowie eine allgemeine Gültigkeit der Tarifverträge für alle Angestellten verbindlich sein.

Laut Edeka-Sprecherin Stefanie Schmitt arbeiten in der Logistik des Edeka-Großhandels in Franken und Sachsen rund 2000 Beschäftigte. "Davon streiken mittlerweile nur noch knapp 10 Prozent und quasi keiner unserer Betriebsräte mehr", sagt Schmitt. Noch im Sommer sei der Anteil der Streikenden deutlich höher gewesen.

4. Lager oder Filialen - wie sind die Unternehmen von den Streiks betroffen?

Im Großhandel sind von den Streikaufrufen der Gewerkschaft insbesondere die Lager betroffen. In Unterfranken sind das die Standorte von Kaufland in Donnersdorf und Edeka in Gochsheim (beide Lkr. Schweinfurt). Laut Edeka-Sprecherin Schmitt wird Edeka auch an den vier anderen fränkischen Logistikzentren in Marktredwitz, Sachsen bei Ansbach und Berbersdorf bestreikt.

"Dies wirkt sich natürlich indirekt auf die Einzelhandelsmärkte aus, die von den Logistikzentren mit Ware versorgt werden", sagt Schmitt. Laut den Arbeitgebern hat der Streik zudem Folgen für Unternehmen im Großhandel, die Hotellerie, Gastronomie und Kantinen. Dazu ruft die Gewerkschaft immer wieder zu Streiks in Einzelhandelsgeschäften wie H&M oder Douglas auf.

Die Streik-Schwerpunkte seien bayernweit sehr unterschiedlich, heißt es von Verdi. In Unterfranken werden laut Gewerkschaftssekretär Peter König vor allem das Kaufland-Lager in Donnersdorf sowie das Edeka-Zentrallager in Gochsheim bestreikt. Zusätzlich ruft Verdi immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kauflandfilialen in Schweinfurt und Bad Kissingen sowie bei Marktkauf in Schweinfurt und im Rewe Südmarkt in Würzburg zu Streiks auf. Weitere Betriebe sollen folgen, sagt König.

5. Welche offiziellen Angebote aus den Verhandlungen liegen vor?

Die Arbeitgeber hatten der Gewerkschaft zuletzt in der vierten Tarifrunde am 3. Juli ein verbessertes Angebot unterbreitet. Darin war eine Lohnerhöhung in zwei Schritten bei einer längeren Laufzeit von 24 Monaten vorgesehen. Die Gehälter und Ausbildungsvergütungen sollten demnach ab September 2023 zunächst um 5,1 Prozent und ab August 2024 um 2,9 Prozent steigen.

Zusätzlich sicherten die Arbeitgeber die Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 1400 Euro für Angestellte und 700 Euro für Azubis zu.

"Mit dem Angebot der Arbeitgeber vom 3. Juli wurde damit eine Einkommensverbesserung für die Beschäftigten unter Berücksichtigung der Inflationsausgleichsprämie von etwa zwölf Prozent über die Gesamtlaufzeit von 24 Monaten angeboten", fasst der LGAD sein Angebot zusammen. 

Laut Verdi sah dieser Vorschlag vor, dass Unternehmen, die bereits eine Inflationsprämie gezahlt haben, diese mit dem Tarifangebot verrechnen können. Die Gewerkschaft spricht von einem "Taschenspielertrick". Der LGAD würde der Inflationsausgleichsprämie, einer Einmalzahlung, einen prozentualen Wert geben, der dauerhaft auf die Lohnerhöhung käme. Zudem seien im Angebot der Arbeitgeber sogenannte Leermonate enthalten, in denen die Tariferhöhung nicht greifen würde.

Bezieht man dies ein, würden einem Arbeiter in Gochsheim laut Berechnung von Verdi bei einem Monatslohn von 2500 Euro Brutto in 2023 bei vier Leermonaten je 127,50 Euro (Erhöhung um 5,1 Prozent) und in 2024 für drei Monate je 76,20 Euro (bei Erhöhung um 2,9 Prozent) fehlen.

6. Welche anderen Angebote liegen im Tarifstreit vor? 

Weil es in den Flächentarifverhandlungen keine Bewegung gab, ist Edeka laut eigenen Angaben mehrfach auf Verdi mit dem Vorschlag eines sogenannten Vorschalttarifs für die Beschäftigten bei Edeka Nordbayern zugegangen. Der Konzern habe 10,5 Prozent mehr Gehalt in zwei Schritten in den Jahren 2023 und 2024 vorgeschlagen, teilt Edeka mit. Damit würde Edeka weiter gehen, als die Mehrheit der Tarifkommission des Arbeitgeberverbands.

Aufgrund der Streiks klaffen in vielen Edeka-Filialen in Unterfranken seit Wochen Lücken im Sortiment. Laut Konzern soll sich die Sitaution in den kommenden Wochen verbessern.
Foto: Thomas Obermeier | Aufgrund der Streiks klaffen in vielen Edeka-Filialen in Unterfranken seit Wochen Lücken im Sortiment. Laut Konzern soll sich die Sitaution in den kommenden Wochen verbessern.

Laut Sprecherin Stefanie Schmitt hat Edeka Nordbayern bereits im August für die Beschäftigten im Großhandel die verbindliche Zusage für eine Lohnsteigerung von 10,5 Prozent für 24 Monate gemacht und zahlt rückwirkend seit Juli zusätzlich eine Prämie. "Seitdem ist die Streikbeteiligung deutlich gesunken", sagt Schmitt. 

Der Gewerkschaft zufolge wurden bei der August-Abrechnung den Mitarbeitern in Gochsheim keine Entgelterhöhungen gezahlt. Aus einem offizielle Schreiben der Edeka Nordbayern an die Mitarbeitenden, das der Redaktion vorliegt, geht hervor, dass die Handelsgesellschaft allen nicht-streikenden Angestellten eine Prämie von 300 Euro auszahlt.

7. Warum geht die Gewerkschaft nicht auf das Angebot von Edeka ein?

Verdi-Verhandlungsführer Thomas Gürlebeck begründet die Ablehnung des Edeka-Angebots damit, dass es unklar formuliert sowie zu niedrig angesetzt sei. Er wirft dem Unternehmen ein "Verwirrspiel" vor.

Die Beschäftigten würden im Glauben gelassen, dass es sich bei der angebotenen Erhöhung um monatlich 10,5, Prozent handelt, sagt Gürlebeck. "Tatsächlich hat jedoch Edeka uns am 20. Juli 2023 über deren Anwalt mitteilen lassen, dass Edeka für 2023 und 2024 insgesamt 10,5 Prozent vereinbaren möchte", sagt der Verdi-Verhandlungsführer. "Uns ist nicht bekannt, dass Edeka ab Mai 2023 10,5 Prozent monatlich mehr bezahlt."

Dass Edeka gegen die Gewerkschaft vor die Arbeitsgerichte in Schweinfurt und Nürnberg gezogen ist, um die Streiks zu unterbinden, habe das Verhältnis zwischen beiden Parteien zusätzlich belastet, so Gürlebeck.

8. Wie ist die finanzielle Lage im Lebensmitteleinzelhandel?

Der Groß- und Einzelhandel mit Lebensmitteln verbuchte laut Statista 2021 und 2022 Umsatzzuwächse. "Der Gewinn ist aber wegen der Inflationssituation deutlich zurückgegangen", sagt Edeka-Sprecherin Schmitt. Im Vergleich zum Vorjahr verbuchte Edeka Nordbayern im Jahr 2022 einen Rückgang des operativen Ergebnisses (Gewinn) um mehr als 40 Prozent. Zudem habe man die Verkaufspreise weniger als nötig angehoben. Verdi verweist in diesem Zusammenhang auf die "überproportionalen Gewinne" der Handelskonzerne in den Vorjahren und dass diese "maßgeblich in 2022 an der hohen Inflation beteiligt" gewesen seien.

"Man darf unterstellen, dass jede angebliche Erhöhung in der Beschaffung der Waren an die Kundinnen und Kunden weitergegeben wurde", sagt Verdi-Verhandlungsführer Gürlebeck. Auch Investitionen würden den Gewinn in der Statistik schmälern: "Allein die Tatsache, dass Edeka Nordbayern in Marktredwitz rund 500 Millionen Euro investiert, führt den Hinweis des Unternehmens auf weniger Gewinn, und damit eine Implikation auf eine mögliche Krise, ad absurdum."

9. Welche Folgen hätte es, wenn die Verdi-Forderungen erfüllt werden?

Laut Arbeitgeberverband würden höhere Lohnkosten einen überproportionalen Anstieg der Lebensmittelpreise bedeuten. Arbeitsstellen im Großhandel könnten zudem ins Ausland verlagert werden. Verdi entgegnet, dass die Lohn-Preis-Spirale eine Ausrede sei. Die Lebensmittelpreise seien seit Jahren aufgrund der Inflation und der "Profitgier" der Konzerne angestiegen - und nicht wegen der Lohnforderungen der Angestellten.

10. Wie geht es jetzt im Tarifstreit weiter?

In Unterfranken hat Verdi aktuell bis 24. September erneut zu Streiks bei Edeka in Gochsheim aufgerufen. Rewe und Kaufland wollten sich zu den aktuellen Streiks an ihren Logistikstandorten nicht näher äußern. Laut Verdi setzen sich aber auch dort die Streiks in den kommenden Wochen fort. 

Die nächste Tarifverhandlung im bayerischen Groß- und Außenhandel findet am 5. Oktober in München statt. Sowohl Arbeitgeber als auch Verdi beteuern, sich dort auf einen Tarif einigen zu wollen. Einen Großkonflikt mit deutlich größeren Streikmaßnahmen als bisher sehen beide Verhandlungspartner derzeit nicht. Ein Schlichtungsverfahren ist nicht vorgesehen. "Aber es besteht die Gefahr eines längeren tariflosen Zustands", so der LGAD.

Edeka gibt an, die Kapazitäten im Regionallager Gochsheim gestärkt zu haben und bei der Versorgung der Filialen mit Waren aufzuholen. "Die Auswirkungen auf die Einzelhandelsmärkte werden sich deutlich reduzieren", versichert Unternehmenssprecherin Stefanie Schmitt. 

Die Streikintensität hängt laut Verdi-Gewerkschaftssekretär Peter König von Ferienzeiten sowie den Saisonzeiten wie Weihnachten ab. Demnach werde in der Urlaubszeit weniger gestreikt. Genau Angaben darüber, wie viele Personen aktuell streiken, macht Verdi nicht. Nachdem die Personalbesetzung vieler Firmen mittlerweile sehr dünn sei und Abläufe eng verzahnt sind, üben laut König bereits wenige Streikende hohen Druck aus. 

 
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  • Hiltrud Erhard
    Man muss sich über die Gangart und dei Wortwahl von Verdi doch schon sehr wundern.
    Mehr noch über die Qualifikation des Geschäftsführers, der offensichtlich über keinerlei betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse verfügt.
    "Man darf unterstellen, dass jede angebliche Erhöhung in der Beschaffung der Waren an die Kundinnen und Kunden weitergegeben wurde", sagt Verdi-Verhandlungsführer Gürlebeck. Auch Investitionen würden den Gewinn in der Statistik schmälern":
    Er weiß also gar nichts sondern unterstellt! Investitionen haben mit Gewinn rein gar nichts zu tun. Das sind Positionen die sich im Anlagevermögen wiederfinden. Erst nach Bauende wirken sich die Abschreibungen ergebnismindernd aus. Das weiß jeder kaufmännische Auszubildender. Und jedemögliche Investition muss erst mal verdient werden.
    und wenn jemand glaubt, dass eine Lohn-Preis-Spirale eine Ausrede sei, dann ist das realitätsfremd!
    Zwischen den Zeilen kann man weiter lesen, dass das Maß ja vollkommen verloren gegangen ist.
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