
Seit Wochen brodelt es im unterfränkischen Einzel- und Großhandel. Vor allem Kundinnen und Kunden von Edeka merken die anhaltenden Streiks zwischen den Mitarbeitern und dem Konzern deutlich. In vielen Filialen klaffen große Lücken in den Regalen, besonders bei haltbaren Lebensmitteln wie Konserven und Tiefkühlprodukten.
Am kommenden Montag, 28. August, treffen sich Vertreter von Handel und Gewerkschaft erneut in München, um im anhaltenden Tarifkonflikt eine Einigung zu finden. Wie ist die Stimmungslage auf Seiten der beiden Konfliktparteien vor dem Verhandlungstermin? Ein Überblick, welche Streitpunkte aktuell auf dem Tisch liegen und wie hoch die Chancen für eine Lösung stehen.
Tarifstreit im Groß- und Einzelhandel: Wo wird derzeit alles gestreikt?
Neben Lebensmittel- und Großhändlern wie Edeka, Rewe und Kaufland wurde in den vergangenen Wochen auch im klassischen Einzelhandel bei Ikea, H&M oder Mediamarkt gestreikt, erklärt Verdi-Gewerkschaftssekretär Paul Lehmann. Er ist Streikleiter der Edeka-Zentrallager in Gochsheim (Lkr. Schweinfurt) und Marktredwitz in Oberfranken. Vor den anstehenden Verhandlungen am Montag sind die Streiks laut Verdi seit dieser Woche vereinzelt unterbrochen. Im Edeka-Lager in Sachsen bei Ansbach streiken die Mitarbeitenden noch bis Samstag, 26. August, bestätigt Edeka-Sprecherin Meike Marschall.
Warum haben die Beschäftigten bei Edeka in Gochsheim ihren Streik unterbrochen?
Laut Verdi haben die Angestellten im Edeka-Zentrallager in Gochsheim ihre Arbeit seit dem 20. August wieder aufgenommen. Das habe vor allem strategische Gründe, erklärt Gewerkschaftssekretär Lehmann. Man wolle so vor der nächsten Verhandlungsrunde das Verhalten der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern beobachten, um dann auf mögliche "Verfehlungen" zu reagieren.
Was werfen sich Verdi und Edeka im Streik gegenseitig vor?
Die Gewerkschaft wirft den Arbeitgebern unlauteres Verhalten und eine Benachteiligung der Streikenden vor. So seien Beschäftigte im Rewe-Zentrallager Buttenheim (Lkr. Bamberg) zum Hoffegen abkommandiert und versetzt worden, sagt Lehmann. Solche Arbeiten hätten nichts mit ihrem Arbeitsvertrag und den regulären Tätigkeiten zu tun. Auch Edeka würde Streikende in Gochsheim mit "Unmengen an Überstunden belohnen". Zudem habe man dort Beschäftigte und Gewerkschaftsvertreter am Streiken auf dem Mitarbeiterparkplatz gehindert, man sei auf eine Wiese vor dem Gelände verwiesen worden.

Edeka dementiert die Vorwürfe. "Die Aussage, dass streikende Mitarbeiter anders als nicht streikende Mitarbeiter behandelt werden würden, trifft nicht zu", sagt Unternehmenssprecherin Meike Marschall. Nach mehr als neun Wochen Streik sei es logisch, dass bei der Abarbeitung der Rückstände Überstunden anfallen, die entsprechend entlohnt würden. Grundsätzlich hält Edeka die Streiks für unverhältnismäßig. Das Unternehmen verbucht laut Marschall seit Mai in den betroffenen Lagern insgesamt mittlerweile 271 Streiktage. Edeka sei damit mit großem Abstand das am meisten bestreikte Großhandelsunternehmen in Bayern. Der Schaden liege im zweistelligen Millionenbereich.
Wie ist die Stimmung auf Seite der Gewerkschaft?
Die steigende Inflation treffe die Beschäftigten immer härter, sagt Verdi-Sekretär Lehmann. Viele hätten ihre Dispositionskredite überzogen und wüssten nicht, wie sie finanziell bis zum Monatsende durchkommen sollen. Die Unzufriedenheit innerhalb der Belegschaft nehme zu, das zeige sich in den steigenden Mitgliederzahlen von Verdi in Unterfranken, so Lehmann: "Wir sind im Plus, und immer mehr Menschen schließen sich unserer Gewerkschaft an."
Mit welchen Forderungen gehen die Konfliktparteien in die Verhandlungen?
"Die Arbeitgeber müssen den Geldbeutel öffnen", sagt Lehmann. Konkret fordert Verdi 13 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für alle Angestellten im Großhandel. Dazu soll die Ausbildungsvergütung um 250 Euro steigen. Die Gewerkschaft sieht die Lebensmittelkonzerne als Profiteure der Corona-Pandemie und fordert, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angemessen zu entlohnen. Edekas letztes Angebot lag laut Konzern bei einer Gehaltserhöhung von insgesamt 10,5 Prozent in zwei Schritten für die Jahre 2023 und 2024.
Wie hoch stehen die Chancen für eine Einigung?
Derzeit deute alles eher auf Eskalation hin, sagt Verdi-Mann Paul Lehmann. Er spricht von Repressalien der Arbeitgeber gegenüber den Angestellten. Das Verhalten der Arbeitgeber trage aus Sicht der Gewerkschaft nicht dazu bei, am 28. August zwingend eine Lösung zu finden. Lehmann schließt eine Einigung jedoch nicht grundsätzlich aus: "Wir werden unterschreiben, wenn das Angebot für die Beschäftigten gut und angemessen ist." Derzeit setze der Handel aber vor allem auf Konflikt.
"Wir werben mit unserer Stimme in der Tarifkommission auch weiterhin für ein zweistelliges Angebot in zwei Schritten auf Arbeitgeberseite", sagt dagegen Edeka-Sprecherin Meike Marschall. Der Konzern hoffe, dass sich Verdi bewegt und seine seit April unveränderte Forderung anpasse, um gemeinsam einen Kompromiss zu finden.
Was ist der größte Streitpunkt in der derzeitigen Tarifrunde?
Knackpunkt bei den Verhandlungen am Montag werde wohl die Tariflaufzeit sein, vermutet Verdi-Sekretär Lehmann. Die Gewerkschaft fordere eine kürzere Laufzeit, um besser auf Ereignisse wie die Inflation reagieren zu können. Der Handel hingegen verspricht sich von einer längeren Laufzeit stabilere Verhältnisse, ohne weitere Streiks. Edeka bekräftigt, sich als eines von 15 Handelsunternehmen seit längerem für einen zweistelligen Tarifabschluss einzusetzen. "Die anderen Arbeitgeber wollen bislang nicht so weit gehen", sagt Sprecherin Marschall.
Würden die Lebensmittelpreise bei einem Erfolg der Gewerkschaft noch weiter steigen?
Falls es bei einem Sieg der Gewerkschaft zu Preiserhöhungen kommen sollte, liege das dann einzig an der Profitgier der Arbeitgeber, sagt Lehmann. Die sogenannte Lohn-Preis-Spirale, von der die Arbeitgeber sprechen, sei erfunden. Die aktuellen Lohnforderungen der Gewerkschaft seien erst nach dem Anstieg der Lebensmittelpreise der Händler formuliert worden. "Wir reagieren nur auf die Preiserhöhungen", so Lehmann.
Wann können Kundinnen und Kunden wieder mit vollen Regalen bei Edeka rechnen?
Laut Edeka hängt das von möglichen weiteren Streikaufrufen der Gewerkschaft ab. "Da wir das künftige Verhalten von Verdi nicht kennen, können wir leider keine valide Prognose abgeben, wann die Regale wieder vollständig gefüllt sein werden", teilt Edeka-Sprecherin Meike Marschall mit. Aufgrund der aktuellen Streikpause werde man nun mit höherer Kapazität Waren aus dem Trockensortiment ausliefern. Die derzeitige Streik-Unterbrechung reiche jedoch nicht aus, um die Rückstände aus neun Wochen aufzuholen.