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Gochsheim
Samstagsbrief: Wozu Eltern aus Liebe zu ihrem behinderten Kind fähig sind, verdient mehr als  Achtung, Frau Trautner
Die Nachfolgerin von Barbara Stamm bei der Lebenshilfe Bayern tritt in große Fußstapfen. Unser Autor meint: Die Geschichte der Familie Kuypers kann ihr dabei helfen.
Nachfolgerin von Barbara Stamm: Carolina Trautner ist die neue Vorsitzende der Lebenshilfe Bayern. Von 2020 bis 2022 war die 61-jährige CSU-Politikerin Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales.
Foto: Alexander Kaya | Nachfolgerin von Barbara Stamm: Carolina Trautner ist die neue Vorsitzende der Lebenshilfe Bayern. Von 2020 bis 2022 war die 61-jährige CSU-Politikerin Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales.
Folker Quack
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:54 Uhr

Liebe Carolina Trautner,

tief berührt hat viele Menschen in unserer Region in dieser Woche die Geschichte von Ingrid und Helmut Kuypers aus Gochsheim im Landkreis  Schweinfurt. Die beiden pflegen seit 46 Jahren ihren mehrfach behinderten Sohn Holger - und das obwohl Ingrid Kuypers wegen ihrer MS-Erkrankung mittlerweile selbst im Rollstuhl sitzt. 

Auch wenn die Eltern sagen, dass sie die Pflege ihres Sohnes noch nie als Belastung empfunden haben und es für ganz selbstverständlich halten "alles für unseren Bua" zu tun, fragen sich doch viele: Wie schaffen die das nur? 

Barbara Stamm prägte das Amt mit Herzblut und Menschlichkeit

Und da kommen Sie ins Spiel, Frau Trautner. Gerade sind Sie als Nachfolgerin von Barbara Stamm zur neuen Vorsitzenden der Lebenshilfe Bayern gewählt worden. Sie treten ein sehr wichtiges Amt an, das ihre Vorgängerin mit viel Herzblut und Menschlichkeit geprägt hat. Es gibt viele Familien wie die Kuypers in Bayern. Aus Liebe, Fürsorge und mit einem großem Herzen pflegen sie ihre behinderten Familienmitglieder und machen sich stark für sie.

Unterstützung bekommen sie dabei auch von der Lebenshilfe. Tolle Freizeitangebote, entlastende Dienste, Förderschulen und Betriebe helfen dabei, Inklusion in unseren Gesellschaft erlebbar zu machen. Und die Lebenshilfe ist schon deshalb ein toller Verein, weil ihre Vorstände auf allen Ebenen mehrheitlich aus selbst betroffenen Eltern bestehen, die Sorgen und Nöte aus eigener Erfahrung kennen.  

Inklusion kostet, aber das Geld ist gut investiert

Sie aber wurden wie schon ihre Vorgängerin Barbara Stamm als Sozialpolitikerin in dieses Amt gewählt, von Ihnen erwarten die Lebenshilfe, die in ihr versammelten Familien und die ganze Gesellschaft ein großes politisches Engagement für Inklusion, mehr Rechte und Unterstützung für alle Menschen, die von einer Behinderung betroffen sind und für deren Angehörige. Denn die Realität in Bayern zeigt leider, dass es das Wort Inklusion zwar in viele politische Reden und Absichtserklärungen geschafft hat, nicht aber in das tagtägliche Leben.

Gerade die Corona-Pandemie hat schmerzlich gezeigt, dass bereits erreicht geglaubte Ziele wieder in weite Ferne gerückt sind. Weil es einfacher und billiger ist, behinderte Menschen in Pflegeeinrichtungen abzuschieben, statt ihnen ein Leben mitten in der Gesellschaft zu ermöglichen. 

Das Wahlrecht beim Wohnen für Menschen mit einer Beeinträchtigung steht in Bayern auf dem Papier, wird aber nicht umgesetzt. Hierfür nötige Assistenzen werden viel zu oft abgelehnt, der bürokratische Aufwand, ein persönliches Budget für Assistenzkräfte zu erhalten, ist enorm und für einen Menschen mit Handicap nicht zu schaffen.

Behinderte Kinder und Jugendliche erhalten Unterstützung durch Schulbegleiter in der Schule, wenn ihre Eltern hartnäckig dafür kämpfen, in der Freizeit aber nicht. Warum hat Bayern als eines der ganz wenigen Bundesländer kein Gehörlosengeld? Ja, Inklusion kostet. Aber eine inklusive Gesellschaft ist nicht nur lebenswerter, unterm Strich wäre das Geld richtig gut investiert, weil mehr Menschen mit großen Fähigkeiten und Einfühlungsvermögen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden.  

Warum wollte Helmut Kuypers gar nicht glauben, dass er für die Pflege seines Sohnes das Bundesverdienstkreuz erhalten solle? Es sei doch normal, sich um seinen Sohn zu kümmern, meinte er. Es ist normal, in Bayern leben fast 30.000 Kinder mit einem Pflegegrad. Fast alle werden zuhause betreut - und meistens sind es die Mütter, die dafür im Beruf kürzer treten oder ihn ganz aufgeben. Man könnte ihnen allen ein Bundesverdienstkreuz verleihen. Viel wichtiger aber wäre, wenn sie für ihre Aufgabe mehr Hilfe und Unterstützung im Alltag erfahren würden.

Bayern braucht Inklusion von Kindesbeinen an

Die Lebenshilfe bietet solche Unterstützung, ist aber dabei auf öffentliche Gelder angewiesen. Pflege- und Sozialkassen aber unterstützen Betreuungsleistungen nicht annähernd in dem Umfang, dass pflegende Angehörige auch nur von einem Teilzeitjob träumen könnten.  

Die berührende Geschichte der Familie Kuypers aus Gochsheim ist auch deshalb wichtig, weil sie den Fokus auf die Rolle der Eltern legt. Denn Eltern wollen immer ein Maximum an Inklusion und Teilhabe für ihr behindertes Kind. Dafür sind sie bereit zu kämpfen und Opfer zu bringen.

Als Vorsitzende der Lebenshilfe und als Sozialpolitikerin im Landtag können Sie diese Familien dabei unterstützen. So kann Inklusion in Bayern alltagstauglich werden - von Kindesbeinen an.   

Mit freundlichen Grüßen

Folker Quack, Redakteur

Der Autor ist selbst Vater eines behinderten Sohnes, der ihm jeden Tag aufs neue lehrt, für den Moment zu leben.

Persönliche Post: der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Das ist ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
 MP
 
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  • chjoachim@web.de
    Auf eigenen Wunsch hin entfernt.
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  • robert.erhard@gmx.de
    Lieber Herr Quack,
    In unserer Familie haben eingeschränkte Kinder optimale Möglichkeiten auch am Alltag in Schule und Beruf teilzunehmen.
    Inclusion ist in unserer Region im Landkreis KG/SW vorbildlich integrierter Bestandteil in der Gesellschaft. Und in Maria Bildhausen entsteht ein Haus welches auch den Namen Barbara Stamm tragen darf.
    Ich weiß nicht wo Sie leben, aber es gibt wenige Regionen, ich behaupte mal weltweit, wo mehr für Inklusion getan wird. Der Bezirk als Sachaufwandsträger für viele Einrichtungen hat Beauftragte, und Räte, die sehr aktiv sind und viel tun!

    Daher ist ihre Aussage falsch! Sie spiegelt nicht den Status wider!
    Es ist eine Schande dass Sie dieses Thema auf dem Rücken der Schwachen austragen und sie instrumentalisieren!
    Denn die Realität in Bayern zeigt sehr wohl, dass das Wort Inklusion keine politische Absichtserklärungen ist sondern gelebt wird! Leider und das ist der einzige Punkt, wird es wie überall Ausnahmen und Einzelfälle geben.
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  • folker.quack@mainpost.de
    Liebe/r Mic_Ro, es freut mich sehr, wenn Inklusion bei Ihren Kindern funktioniert! Leider aber zeigen meine Recherchen und die anderen Reaktionen hier, dass das leider nicht immer so gut funktioniert! Und da gibt es auch große regionale Unterschiede. Beim selbstbestimmten Wohnen sind Berlin, Hamburg und NRW Spitzenreiter, Bayern unter dem Bundesschnitt! Und sind Sie unbesorgt, die Familien über die ich berichte, sind immer sehr dankbar!
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  • martina.imhof@gmx.de
    Auch wir könnten unzählige Beispiele dafür aufzählen, warum wir das Wort Inklusion als reine Theorie erleben, welche Enttäuschungen wir erfahren mussten und wie oft wir uns hilflos und erschöpft erlebten. Unser Kosmos dreht sich nur um unser behindertes Kind und es wird sich nicht ändern.
    Behinderte integriert in der Gemeinschaft? Unterstützung für Angehörige? Es liegt sehr vieles im Argen - auch bei der Lebenshilfe.
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  • Gregorino
    Die Mainpost konnte doch ein regelmässig ein Beiblatt mit Inhalten zBzum Thema Inklusion herausbringen, gestaltet von Menschen mit Behinderung zugänglich für eine breite Masse.
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  • jutta.noether@web.de
    Danke für diesen Artikel!
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  • Albatros
    Sehr geehrter Herr Quack, Ihrem Brief ist nichts hinzuzufügen, inhaltlich haben Sie meine volle Zustimmung. Sie monieren zu Recht die mangelnde Unterstützung der Sozial- und Pflegekassen. Aber um das Dilemma unzureichender Unterstützung zu beleuchten, sollten Sie das Große und Ganze beleuchten. Unsere Sozialsysteme sind in allen Bereichen finanziell überlastet, von Pflegenotstand will ich gar nicht sprechen. Deutschland hat seit 2015 über 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, der Krieg in der Ukraine verlangt die Aufnahme von weiteren mehr als 1 Millionen Menschen. Diese Menschen strömen in großem Maße in unser Sozialsystem und somit steigt die Belastung der Systeme exorbitant. Wer derartige Dinge benennt wird leider unweigerlich in AfD-Nähe verbannt, obgleich die Realität für sich spricht. Wenn die Ausgaben über Jahre hinweg die Einnahmen übersteigen, dann werden Leistungen seitens der Systeme immer schwerer zu leisten sein.
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  • Gregorino
    Es spricht leider nicht für charakterliche Stärke eine Gruppe gegen die andere auszuspielen. Wäre ihnen das Thema Inklusion und Teilhabe ein ehrliches Anliegen würde sie dieses nicht für ihrer Zwecke instrumentalisieren.
    Mal rein pragmatisch Gedacht sollten sie sich mal mit dem Begriff demografische Wandel auseinandersetzen und desen Konsequenzen.
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  • Albatros
    „Eine Gruppe gegen eine andere auszuspielen“, der verbale Klassiker, dabei sind es genau jene Gruppen von denen Sie sprechen, welche genau diese Realität
    ausbaden. Und welche „Zwecke“ Sie mir andichten möchten, nun, Ihre Kommentare in diese Richtung sind hinlänglich bekannt. Wenn Sie der Meinung sind, dass ein Sozialsystem mehrere Millionen Menschen ohne Einbußen mit versorgen kann, dann will ich Ihre Euphorie nicht bremsen.
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  • Gregorino
    Sie können ja mal nachgucken wie viele Menschen mit Fluchterfahrung in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Altersheim, Krankenhäusern usw. arbeiten. Sie werden bestimmt irgendwann mal auf deren Unterstützung angewiesen sein und hoffentlich ihrer derzeitige Haltung überdenken oder kritischer Betrachtung unterziehen.
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  • Mila
    Alle Eltern, die sich für ihr behindertes Kind entscheiden verdienen höchsten Respekt. In der Unterstützung der Eltern und ihrer Kinder für die Dauer des ganzen Lebens ist in der Hilfe seitens des Staates noch sehr viel zu tun. Beachtung verdienen auch die, die im Stillen seit Jahrzehnten für ihre behinderten Kinder/Erwachsenen aufopfernd sorgen.
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  • Mamavon3F
    Da gibt es noch so viel mehr zu tun!
    Ein Beispiel von uns:
    Kind, Autismus Spektrum Störung, hat einen Schwerbehindertenausweis mit Fahrtberechtigung.
    Nun besucht er eine „normale“ Schule und fährt täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
    Seine Behinderung wird ihm mit Beginn der Pubertät peinlich und er möchte seinen „Deppenausweis“ nicht täglich zeigen.
    Es gibt keine Möglichkeit, ein 365 Euro Ticket für ihn günstiger zu bekommen, (somit müsste er seinen Ausweis nur einmal zeigen) so dass er sich nicht täglich als behindert outen müsste.
    Zum Wohle unseres Sohnes haben wir die 365 Euro bezahlt. Obwohl er ja eigentlich umsonst fahren dürfte.
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