Seit ihrer Geburt lebt Susanne Lange mit einer spastischer Tetraplegie. Schon immer war es für sie sehr wichtig, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. So wohnt die 56-Jährige in ihrer eigenen Wohnung und hat ein Auto. Aber aufstehen, anziehen, einkaufen, putzen oder mal ins Theater oder Kino gehen und bei "Selbstbestimmt Leben Würzburg e.V." (WüSL) im Vorstand mitarbeiten - all das könnte Susanne Lange allein nicht schaffen. Jeden Tag von sieben bis 23 Uhr hat sie deshalb eine Assistentin oder einen Assistenten.
Susanne Lange ist eine Kämpferin, hat sich durch die Bürokratie gefochten und 2017 eine persönliche Assistenz genehmigt bekommen. Jedes Jahr verhandelt die Würzburgerin mit dem Bezirk Unterfranken als Kostenträger nun, um einigermaßen Lohn für ihre Arbeitskräfte zu bekommen, die sie selbst anstellt. Doch seit über einem halben Jahr sucht sie verzweifelt nach einer Nachfolge für zwei ihrer Assistenten. Die wollen sich beruflich neu orientieren beziehungsweise Würzburg aus privaten Gründen verlassen. Schon jetzt arbeiten sie nur noch, weil sie Susanne Lange nicht im Stich lassen wollen.
Persönliche Assistenten: Schwierige Suche nach geeignetem Personal
Um passende Leute zu finden, die langfristig bleiben, bräuchte es eine zeitgemäße Bezahlung, sagt Lange. Bisher hätten ihre Anfragen beim Arbeitsamt, Flyer, Anzeigen oder Aufrufe im Internet wenig Resonanz gebracht. Dabei böte sie einen "richtig coolen Job": Man müsse sich nicht um 20 oder mehr Menschen kümmern, sondern könne sehr bewusst auf die Bedürfnisse eines einzelnen eingehen. Empathie und Augenhöhe sind ihr wichtig: "Diese Leute sind den ganzen Tag bei mir, die müssen zu mir passen."
Das Problem sei bekannt, sagt der Sprecher des Bezirks Unterfranken, Markus Mauritz. Der Bezirk sei aber nur der Kostenträger, habe selbst kein Personal und die Personalengpässe beträfen den gesamten Pflegebereich. So sympathisch das Bundesteilhabegesetz mit mehr Selbstbestimmung auch sei, sagt Mauritz, es werde jetzt eben auch immer schwieriger, das dafür nötige Personal zu finden.
Ulrich Lorey kennt die Probleme zu gut. Seit einem Badeunfall 1980 ist der Würzburger vom Halsbereich ab gelähmt. Seit 35 Jahren lebt er unabhängig und selbstbestimmt mit Unterstützung von persönlichen Assistenten, wie Susanne Lange ist er im Vorstand von WüSL. In einer Behinderteneinrichtung hätte er die 35 Jahre nicht überlebt, ist sich Lorey sicher. Er bezieht seine Assistenzen über den Sozialdienst ASB. Das klappe im Moment gut, sagt der 59-Jährige. Allerdings habe während der Corona-Zeit auch mal sein Bruder einspringen müssen, als wegen Urlaub, Quarantäne und Krankheit plötzlich kein Assistent mehr zur Verfügung stand.
Lorey kann nicht verstehen, warum in Unterfranken stationäre Einrichtungen der ambulanten Versorgung immer wieder vorgezogen würden. Während Gelder des Bezirks in Heime und Einrichtungen fließen würden, lege man Antragstellern für ambulante Hilfen Steine in den Weg. Wer seine Rechte nicht ganz genau kenne, bei dem würden die Kostenträger immer wieder versuchen, ihn ausschließlich auf Pflegeversicherung, familiäre Hilfe oder ein Heim zu verweisen, um die persönliche Assistenz zu sparen, so Loreys Eindruck.
Durch Umzüge habe er für seine Assistenzen sowohl die Landkreise Tauberbischofsheim, Würzburg und die Stadt Würzburg als Kostenträger kennen gelernt. Jeder hätte versucht, ihn in eine Einrichtung abzuschieben, sagt der 59-Jährige. Aber: "Ich möchte wie jeder Mensch mittendrin leben, in meiner eigenen Wohnung, Freundschaften aussuchen und pflegen können und den Aktivitäten nachgehen, die mir wichtig sind. WüSL gehört dazu. Das geht nur mit persönlicher Assistenz."
Assistent für die Beantragung eines Assistenten?
Auch Karin Renner, der CSU-Bezirksrätin und Behindertenbeauftragten des Bezirks, ist das Problem bekannt. Gerade in Corona-Zeiten habe es sich verschärft. In einigen Fällen könnten Ehrenamtliche hier zumindest kurzfristig aushelfen. Ihre Stellvertreterin Christina Feiler bedauert, dass durch das Bundesteilhabgesetz eine Konkurrenz zwischen stationärer und ambulanter Hilfe entstanden sei. Dabei seien beide Angebote wichtig, sagt die Grünen-Bezirksrätin.
Die Klagen über zu viel Bürokratie bei den Anträgen an den Bezirk können Renner und Feiler nachvollziehen. Oft kämen immer neue Anfragen und Nachfragen seitens der Sozialverwaltung, die den Prozess in die Länge ziehen würden. Eigentlich, sagt Feiler, bräuchte man einen Assistenten für die Beantragung einer Assistenz.
Wolfgang Vogt, Vorsitzender des Würzburger Vereins Assiston e.V., versuchte nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen eine solche Unterstützung bayernweit zu organisieren. Sein Pilotprojekt wurde abgelehnt. Es sah eine strukturierte Unterstützung für Betroffene sowohl bei der Beantragung, als auch beim persönlichen Budget und der Akquise von Assistenten vor. Vorstellbar ist für Vogt auch ein Verein, der das Budget verwaltet und die Assistenteninnen und Assistenten beschäftigt und vermittelt.
Bearbeitung der Anträge dauert sehr lange
Seit 2018 gibt es auch in Unterfranken Beratungsstellen der "Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung" (EUTB). Eine davon betreibt Assiston e.V. in Würzburg. Aus der Beratungspraxis weiß Vogt von Fällen, bei denen sich die Beantragung von Assistenzen über ein Jahr hinziehen. Oft würden die Anträge monatelang zwischen den unterschiedlichen Kostenträgern (Bezirk oder Landkreise, Berufsgenossenschaften, Pflege- und Krankenversicherung) hin- und hergeschoben, sagt Vogt. Ohne professionelle Hilfe und gute Argumente habe man kaum eine Chance, eine persönliche Assistenz zu bekommen.
Würzburger Beratungsstelle: Schwerpunkt persönliche Assistenzen und Budgets
Michael Gerr leitet die EUTB-Beratungsstelle von WüSL in Würzburg und sagt: Beratungen zu persönlichen Assistenzen und Budgets seien in der Tat einer der Schwerpunkte der Arbeit. Die Akquise von geeignetem Personal sei häufig eine Hürde. Das bestätigt Ann-Kathrin Tietje von der EUTB-Beratungsstelle der Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) in Schweinfurt. Einfache Assistenzen würden oft über geringfügige Arbeitsverhältnisse organisiert. Meist finde man niemanden, der zu den geringen Stundenlöhnen arbeiten möchte. Bei qualifizierten Assistenzen sei es aber ebenso schwer, geeignetes professionelles Pflegepersonal zu finden.
Michael Gerrs Wunsch: ein unterfrankenweiter Tarif für persönliche Assistenten und Assistentinnen, damit die Lohnzahlungen nicht einzeln ausgehandelt werden müsste.
Eine Reaktivierung des Zivildienstes für junge Menschen, die nicht „an der Waffe dienen“ wollen, halte ich hier für sehr sinnvoll. Da haben beide Seiten eine ganze Menge mehr davon.