Fein rausgeputzt sitzen die 13 Kommunionkinder am Weißen Sonntag im Frühjahr 2022 in den ersten beiden Reihen der katholischen Pfarrkirche St. Bartholomäus in Bergtheim (Lkr. Würzburg). Für viele Kinder in vielen Gemeinden ist es ein großer Tag. Doch in Bergtheim ist diesmal alles ein bisschen anders. Vor den Kommunionkindern sitzt eine Dolmetscherin, die den Gottesdienst in Gebärdensprache übersetzt. Denn auch die Zwillinge Ronja und Tessa Hopf haben Kommunion. Sie sind von Geburt an hörgeschädigt.
Am Schluss singen alle das Regenbogenlied - und die Kommunionkinder von Bergtheim sorgen für einen Gänsehautmoment: Sie singen das Lied nicht nur aus voller Brust, sondern gebärden es auch.
Es ist einer dieser Momente, in denen Ronjas und Tessas Mutter Katja Hopf sich bestätigt fühlt. Wieder einmal hat es sich gelohnt, darum zu kämpfen, dass ihre Töchter an allen Terminen zur Vorbereitung dieses Tages teilnehmen konnten.
Familie Hopf will am gesellschaftliche Leben teilnehmen und dazugehören
Einer der vielen Kämpfe, die Katja Hopf für sich und ihre Familie schon ausfechten musste. Denn sie selbst, ihr Mann und ihre drei Kinder sind hörgeschädigt. Sie wollen am gesellschaftliche Leben teilnehmen und dazugehören, werden aber immer wieder ausgeschlossen. Oder sie müssten für Inklusion und Teilhabe selbst tief in die Tasche greifen, um technische Hilfsmittel oder Gebärdensprach-Dolmetscher zu finanzieren. Eigentlich Aufgabe des Staates, denn die Bundesrepublik hat schon 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, nach der allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich gemacht werden muss.
Katja Hopf rechnet vor, dass ihre fünfköpfige Familie bereits einen hohen vierstelligen Betrag investiert hat, nur um ihre Grundrechte halbwegs sicherzustellen.
Für die Unterrichtseinheiten vor der Erstkommunion benötigten Ronja und Tessa einen Gebärdensprach-Dolmetscher. Wenn so viele Kinder dabei sind, die durcheinanderreden, sei für ihre Kinder keine Kommunikation mehr möglich, sagt ihre Mutter Katja Hopf. "Es würde ihnen seelisch nur noch mehr wehtun, wenn die Kinder etwa lachen, aber meine wissen gar nicht warum."
Katja Hopf: "Es gibt so viele Ämter und meistens ist keiner zuständig"
Also stellte sie wieder einmal Anträge über Anträge. Ans Bistum, an den Paritätischen Wohlfahrtsverband, den Bezirk Unterfranken, der sie in dieser Angelegenheit an den Bezirksverband der Gehörlosen verwies. Am Ende hätte sie Zusagen für gerade mal fünf bis sechs Dolmetscher-Einsätze gehabt. Das hätte nicht einmal für die verpflichtenden Gottesdienste gereicht.
"Es gibt so viele Ämter und meistens ist keiner zuständig", sagt Katja Hopf. Mit etwas Glück und viel Unterstützung der inzwischen verstorbenen CSU-Politikerin Barbara Stamm sei es aber gelungen, dass Tessa und Ronja an allen Gottesdiensten und Unterrichtseinheiten teilnehmen konnten.
Auch gehörlose Kinder wollen sich austauschen und mit anderen in Kontakt kommen
"Warum dürfen unsere Kinder nicht auch das machen, was andere Kinder machen dürfen", fragt Katja Hopf. Am meisten schmerzt es sie, dass ihre Kinder immer wieder ausgeschlossen werden, und keine Kontakte zu anderen Kindern knüpfen können. "Ja, sie können zum Sport, Fußball, Handball, überall, wo nicht gesprochen wird." Aber ihre Kinder wollen sich austauschen, mit anderen Kindern in Kontakt kommen, mit ihnen lachen, mit ihnen rumalbern. Doch dabei würden sie immer wieder auf Hürden, Barrieren und auch viel Unverständnis stoßen.
Hörende Kinder wüssten meist gar nicht, wie sie mit hörgeschädigten Kindern umgehen sollen. "Woher auch?" fragt Katja Hopf, wenn in Kindergärten, Schulen und Vereinen keine Aufklärungsarbeit geleistet werde.
Das beliebte Hüttendorf zu Ferienzeiten, Ferienprogramme, Freizeiten, ja selbst für den Schwimmkurs sei ihren Mädchen der Gebärdensprach-Dolmetscher verwehrt worden. Beim Schwimmkurs könnten ihre Kinder ja nicht einmal ihr Hörgerät tragen, sagt Hopf.
Ihr Sohn Malte habe im Vorschulalter versucht, an einem Schwimmkurs teilzunehmen, nach zwei Woche schaffte er des Froschabzeichen, nicht aber das Seepferdchen wie alle anderen Kinder, weil er die Anweisungen des Schwimmlehrers nicht hören und dadurch nicht umsetzen konnte. "Überall müssen wir betteln, müssen Anträge stellen, die uns viel Zeit, Nerven, Kraft und Geduld kosten, da wir ständig abgewiesen werden", erzählt Katja Hopf.
Camps und Veranstaltungen für Gehörlose sind teuer
So verbrachten Ronja und Tessa im vergangenen Jahr einen Teil ihrer Ferien in einem Gehörlosen-Kindercamp im Schwarzwald. "Das ist zwar teuer und weit weg", sagt ihre Mutter, aber wenigstens verbrächten sie viel Zeit unter Gleichgesinnten und fühlten sich wohl dabei.
Gerne hätten ihre Kinder im Herbst 2022 noch am Jugendfestival in Hamburg teilgenommen, wo Themen wie Identitätsfindung und Facetten der Gehörlosenkultur bearbeitet wurden. Doch das Wochenende in Hamburg mit den Eintrittspreisen hätte die Familie knapp 1000 Euro gekostet. Das sei in dem Jahr nicht mehr drin gewesen.
Malte habe einmal geträumt, ohne Probleme kommunizieren und verstehen zu können, weil alle die Gebärdensprache beherrschen, erzählt seine Mutter. "Leider war das nur ein Traum."
Gebärdensprach-Dolmetscher werden oft gebraucht, aber nur selten bezahlt
Doch die Familie gibt nicht auf. "Wir kämpfen um die Rechte unserer Kinder und um unsere Rechte als Eltern", sagt Katja Hopf. Regelmäßig stoße sie dabei an Grenzen. Da die ganze Familie hörgeschädigt sei, gebe es kaum jemanden, der helfen könne.
Elternabend im Kindergarten oder in der Schule, Arztbesuche, Bankgespräche, Vorträge - immer werde ein Gebärdensprach-Dolmetscher gebraucht, nur selten werde er auch bezahlt. "Die Inflation bereitet uns Gehörlosen noch mehr finanzielle Sorgen", sagt Kaja Hopf und fürchtet, in eine "taube, einsame Welt" abgeschoben zu werden.
Familie Hopf lebt in einem Einfamilienhaus in Bergtheim. Weil sie dachten, es im kleinen Kreis auch mit Lippenlesen und schriftlicher Kommunikation zu schaffen, gingen sie ohne Dolmetscher zur Grundstücksvergabe. Das Ganze war dann so anstrengend, dass Katja Hopf noch Tage später fix und fertig war. Somit war klar, dass alle wichtigen Termine rund um den Hausbau nur noch mit Dolmetscher gemacht werden. Notartermin, Termine beim Architekten, bei den Handwerkern. Weil das alles in den privaten Bereich falle, habe die Familie die Dolmetscher aus eigener Tasche bezahlen müssen. Viel Geld - und trotzdem sei ihnen die Fördermöglichkeit der eingebauten Wärmepumpe entgangen.
Malte lernt Englisch - sein Dolmetscher kann aber nur die deutsche Gebärdensprache
Trotz aller Hürden, hat Malte es aufs Gymnasium geschafft. Katja Hopf ist froh, dass ihr Sohn mit dem Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg eine Schule gefunden habe, in der Inklusion an vorderster Stelle stehe. Doch das Tempo an einem Gymnasium sei auch für Dolmetscher eine Herausforderung und bringe sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Aber eine Doppelbesetzung habe der Bezirk abgelehnt.
Und dann gebe es noch das Problem mit den Fremdsprachen. Da sowohl Malte als auch die Dolmetscher nur die deutsche Gebärdensprache beherrschen, würden Dolmetscher englische Vokabeln durch die deutschen Gebärden praktisch übersetzen. "So lernt Malte kein Englisch", sagt Hopf und fordert zusätzlich einen Schriftdolmetscher für Englisch, der ihm bislang aber verwehrt worden sei.
Alexander Hopf: "Wir Gehörlose brauchen viel Licht, um von den Lippen zu lesen"
Und die Hindernisse und Barrieren reichen bis in den privaten Bereich. Als kürzlich ihr Mann von einem Nachbarn zu einem gemeinsamen Abend eingeladen wurde, sagte er ab. "Wir Gehörlose brauchen viel Licht, um von den Lippen zu lesen", sagt Hopf. 20 Prozent der Worte könne man damit erfassen, den Rest müsse man sich aus dem Zusammenhang kombinieren. Das sei anstrengend, und am Abend ohne ein klares Mundbild nicht mehr möglich.
Katja Hopf selbst hat mit viel Mühe und der Unterstützung ihrer Eltern Sprechen gelernt, obwohl sie selbst hochgradig hörgeschädigt ist. Das Sprechen trainiert sie auch mit ihren Kindern. Der Vater gebärdet, sie spricht. Ihre Kinder sollen beide Sprachen zur Verfügung haben, sagt sie.
Und so trat Tessa bei ihrer Kommunion mit den anderen Kindern beim Gottesdienst vor die Gemeinde und erzählte über die Bibel. Und keiner in der Kirche merkte, dass dieses Kind, das da so klar sprach, selbst kaum etwas hören kann.
aber ich persönlich hätte es mit einem Kind dabei belassen. Wenn beide Eltern hörbehindert sind und auch das erste Kind damit geboren wird.
In unserer Nachbarschaft wohnt auch eine Familie mit 3 behinderten Kindern.
Ist ein schwieriges Thema, klar kann das jeder selbst entscheiden aber ich hätte das nicht gemacht.
Auf der anderen Seite ist die Familie wahrscheinlich glücklicher und zufriedener wie andere mit einem verwöhntem Einzelkind.
Schwerhörige bzw. gehörlose Menschen sind anfürsich sehr selbständige Menschen trotz Einschränkung. Die Teilhabe an der hörenden Welt bzw. die Verbindung der gehörlosen Welt und der hörenden Welt kann sehr gut hergestellt werden, wenn man betroffene Menschen nicht alleine im Regen stehen lässt- speziell bezgl. der finanziellen Aspekte.
Ihr Kommentar zeigt sich respektlos, wenig konstruktiv und behaftet mit Vorurteilen. Sie tuen gut daran mal in der Mergentheimerstr. 13 vorbeizukommen & die Gehörlosenkultur im Haus der Hörbehinderten kennenzulernen.