Schulalltag in Corona-Zeiten: Lydia Back, die eigentlich anders heißt und ihren richtigen Namen zum Schutz ihrer Familie nicht öffentlich nennen möchte, muss ihre Tochter im Teenager-Alter, die auf die Fachhochschule in Schweinfurt geht, beim Home-Schooling unterstützen. Gelegentlich auch deren jüngere Schwester, die "das auch nicht immer alleine schafft". Und dann ist da noch ihr zwölfjähriger Sohn, der aufgrund einer leichten geistigen Behinderung normalerweise mit Hilfe eines Schulbegleiters den Schulalltag meistert. Auch er bekommt Home-Schooling. Sein Schulbegleiter aber wurde in Kurzarbeit geschickt. Der zuständige Wohlfahrtsverband, bei dem er angestellt ist, sagt, dass Schulbegleiter nur in Einzelfällen und wenn es gut begründet ist, zuhause helfen dürfen. So bleibt die komplette Betreuung an Lydia Back hängen.
Eltern wurden nicht informiert
Das "Netzwerk Inklusion Bayern" weist darauf hin, dass behinderte Kinder, die normalerweise in ihrer Schule einen Schulbegleiter zugesprochen bekommen haben, diesen Anspruch auch an Tagen haben, an denen die Schulen geschlossen sind und wegen der Corona-Krise auf Home-Schooling umstellen müssen. Auch in Unterfranken sei eine Unterstützung zuhause in Ausnahmefällen ermöglicht worden.
Allerdings seien die Eltern "über diesen Rechtsanspruch des Kindes" nicht informiert worden. Weder die Kommunen oder der Bezirk als Kostenträger noch die Wohlfahrtsverbände seien dieser Informationspflicht nachgekommen, klagt Christine Primbs aus Aub (Lkr. Würzburg), die Vorstand im Netzwerk Inklusion Bayern ist. Primbs spricht von einem Skandal. Für sie grenzt dieses Verhalten an unterlassene Hilfeleistung.
"Das Bildungsrecht des Kindes muss über allem stehen", sagt Primbs. Wenn nach dem Behindertenrecht ein Unterstützungsbedarf bestehe, sei diese Unterstützung ein Menschenrecht. Es dürfe deshalb nicht den Eltern überlassen werden, ob ihre Kinder auch in Corona-Zeiten diese Unterstützung bekommen.
Stattdessen hätten viele Landkreise in Bayern Kindern mit emotional-sozialen Unterstützungsbedarf die Schulbegleiter gestrichen und Wohlfahrtsverbände die Schulbegleiter in Kurzarbeit geschickt. In einem Schreiben an alle Landräte und Oberbürgermeister in Bayern fordert der Verein in einem eindringlichen Appell, dafür zu sorgen, "dass die Assistenzkräfte umgehend zur Unterstützung der behinderten Kinder und ihrer Familien nach Hause geschickt werden".
Nur wenige Anfragen
Es habe nur "sehr wenige" Anfragen für Schulbegleiter beim Home-Schooling gegeben, so Anne Stengel vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in Würzburg auf Nachfrage dieser Redaktion. Der ASB stellt als Wohlfahrtsverband Schulbegleiter in Würzburg und Umgebung zur Verfügung. Man habe diese Anfragen ablehnen müssen, weil man sich sonst in eine rechtliche Grauzone begeben hätte. Die Verantwortlichkeiten seien einfach nicht geklärt und der Schulbegleiter hätte dies im Zweifelsfalle ausbaden müssen.
Ähnlich äußert sich Andrea Krist vom Verein FortSchritt: "Unsere Mitarbeiter sind für den Dienst in der Schule eingestellt." Man habe aber in allen Fällen eine Lösung über die Notbetreuung der Schulen erreicht.
Michael Plagens organisiert für den Malteser Hilfsdienst in ganz Unterfranken Schulbegleiter. Er bedauere sehr, dass er sie nicht fürs Home-Schooling zur Verfügung stellen kann, denn er könne die Not der betroffenen Familien sehr gut nachempfinden, so der Sozialpädagoge. Allerdings habe er auch nur drei konkrete Anfragen bekommen.
Da den Maltesern in Unterfranken von den Kostenträgern nur ungelernte Hilfskräfte refinanziert würden, deren Aufgabenbereich zudem genau festgelegt sei, könne er Schulbegleiter gar nicht nach Hause schicken, ohne bestehende Vereinbarungen zu verletzen. In anderen bayerischen Bezirken würden in Einzelfällen auch Fachkräfte, wie zum Beispiel Kinderpfleger, refinanziert. Eine Hilfskraft aber sei nur der verlängerte Arm des Lehrers und dürfe auch nur eingesetzt werden, wenn keine andere Hilfe - wie zum Beispiel ein Therapeut oder die Eltern - zur Verfügung stünde.
Schulbegleiter sind nur Hilfskräfte
Für den Bezirk Unterfranken teilt dessen Pressesprecher Markus Mauritz auf Nachfrage mit: Der Schulbegleiter im Rahmen der Eingliederungshilfe solle den Besuch der Schule und damit die Teilnahme an der Gemeinschaft ermöglichen. Die Schulbegleitung erfolge grundsätzlich nur in der Schule unter Aufsicht des dort vorhandenen pädagogischen Fachpersonals. Da Schulbegleiter keinen pädagogischen Auftrag hätten, würden als Schulbegleiter grundsätzlich nur Hilfskräfte eingesetzt.
Mauritz fährt fort: "Vor diesem Hintergrund ist ein generelles Home-Schooling von Schülern mit Behinderung durch Schulbegleiter nicht möglich. Dies würde auch die Eltern von Kindern mit Behinderung gegenüber von Eltern von Kindern ohne Behinderung bevorzugen, denn auch diese müssen ohne besondere Unterstützung mit der Corona-bedingten vorübergehenden Schließung von Schulen zurechtkommen."
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Trotzdem finanziere der Bezirk Unterfranken aufgrund der Corona-Situation in Einzelfällen Schulbegleitungen auch im häuslichen Umfeld. Zum Beispiel bei Alleinerziehenden, Eltern in systemrelevanten Berufen, bei außergewöhnlich schwerer Behinderung oder der Gefahr einer Kindeswohlgefährdung. "Allerdings sollten die Eltern vorrangig die angebotenen Notbetreuungsmöglichkeiten nutzen, da insofern auch eine Teilhabe des Kindes an der Gemeinschaft mit anderen Kindern erfolgt."
Kerstin Celina: Anspruch besteht, Strukturen nicht
Hingegen sieht das bayerische Kultusministerium durchaus einen Anspruch von Assistenz beim Home-Schooling. Auf eine entsprechende Anfrage der unterfränkischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Kerstin Celina, heißt es: "Die Schulschließungen vom März 2020 bedeuten nicht, dass die Kinder 'Ferien' haben. Die Schulen kompensieren in aller Regel den ausgefallenen Präsenzunterricht über digitale Angebote und Aufgabenstellungen. Im Hinblick darauf besteht in vielen Fällen nach wie vor Unterstützungsbedarf zur Teilhabe an Bildung."
Celina kritisiert, dass zwar ein Anspruch bestehe, das Kultusministerium aber nicht klarstelle, wie er umzusetzen sei. Die Strukturen seien schlicht nicht vorhanden. Sie könne sich vorstellen, dass aktuell leerstehende Klassenräume für das Home-Schooling genutzt würden. Allerdings habe man noch nicht einmal daran gedacht, Schutzkleidung für Schulbegleiter zu organisieren.
Der Autor hat selbst einen behinderten Sohn, der allerdings zur Riskogruppe bei einer Covid-19-Erkrankungen gehören würde. Deshalb verzichteten die Eltern von vornherein auf einen Schulbegleiter fürs Home-Schooling.
Die seit zig Wochen andauernde Laxheit seitens der Behörden wundert mich. War und ist es verboten, zu normalen Zeiten mit seinem Kind nur einen Tag vor Ferienbeginn zu verreisen, was mit hohen Strafen geahndet wurde, so scheint aktuell für das Kultusministerium Zeit keine Rolle mehr zu spielen.