Seit 2001 ist die ehemalige Landtagspräsidentin Barbara Stamm (76) aus Würzburg auch Vorsitzende der Lebenshilfe Bayern. Am Samstag kandidiert sie noch einmal für dieses Amt.
Barbara Stamm: Eigentlich bin ich gerade dabei, nach und nach alle meine Ämter abzugeben. Auch für den Vorsitz der Lebenshilfe wollte ich nicht mehr kandidieren. Doch die Corona-Pandemie hat mir noch einmal inneren Antrieb gegeben, hier weiter zu machen.
Stamm: Corona hat in Sachen Inklusion Rückschritte gebracht. Da müssen die Weichen wieder nach vorne gestellt werden. Wir haben zudem einen riesigen Bedarf an Wohnraum, um die Wahlfreiheit für Menschen mit Behinderung auch umsetzen zu können. Und wir haben in letzter Minute den Rechtsanspruch auf Assistenz im Krankenhaus für unsere Patienten durchgesetzt. Das alles muss jetzt umgesetzt werden und dazu brauchen wir Gespräche mit den Ministerien, den Parlamenten und mit den Bezirken in Bayern. Da will und werde ich mich einbringen.
Stamm: Erreicht haben wir vor allem das Bundesteilhabegesetz, was uns Jahre an Arbeit gekostet hat. Das war ein Durchbruch, aber die Pflege behinderter Menschen im Alter und viele Fragen der Eingliederungshilfe sind noch nicht beantwortet.
Stamm: Menschen mit Behinderung wurden in der Pandemie wieder voll in den Pflegebereich abgeschoben. Und da gehören sie nicht hin. Es gab Betretungsverbote und Verbote der Kontaktaufnahme. Wir brauchen da wieder mehr Selbstständigkeit. Inklusion in der Schule, im Kindergarten findet oft nicht mehr statt, weil Klassenverbände und Gruppen nicht zueinander finden dürfen. Wir müssen den Inklusionsgedanken wieder nach vorne bringen. Große Erfolge haben wir auf dem Arbeitsmarkt. Aber wir brauchen einen innovativer gestalteten ersten Arbeitsmarkt mit Inklusionsfirmen. Und das Wahlrecht beim Wohnen muss erst noch umgesetzt werden. Da werden sich vor allem die Finanzierungsfragen sehr schwer gestalten.
Stamm: Meiner Meinung nach gehört der Schulbegleiter ins Bildungsministerium. Da kämpfen wir seit Jahren dafür, aber das haben wir noch nicht geschafft.
Stamm: Natürlich fehlt es da am Geld. Das Bundesteilhabegesetz gibt den Menschen mit Behinderung Rechte, die wir mit den Bezirken durchsetzen müssen. Und dazu müssen wir die Bedarfe des Einzelnen ermitteln. Dieser Bedarf muss im Mittelpunkt stehen, nicht die Höhe des Budgets beim Bezirk. Das wird noch eine Herkulesaufgabe.
Stamm: Da ist vieles besser geworden. Vor allem, was die Akzeptanz in der Öffentlichkeit betrifft. Aber es gibt da auch noch genug Luft nach oben.
Stamm: Es gibt Berührungsängste, die haben aber auch mit der Angst oder der Scheu zu tun, etwas falsch zu machen. Viele Menschen sind unsicher, wie sie mit behinderten Mitmenschen umgehen, wie sie sie ansprechen sollen. Und dann gibt es leider auch noch die, die sich gestört fühlen, die den Umgang nicht ertragen wollen. Aber die werden zum Glück immer weniger.
Stamm: Das wird nicht gelingen. Das Selbstbestimmungsrecht ist gegeben. Das sieht man jetzt am Wahlrecht, das wir durchgebracht haben oder am Wohnrecht. Aber wir haben auch Menschen mit schwersten Behinderungen. Die dürfen in diesem Prozess nicht auf der Strecke bleiben. Auch dieser Gefahr müssen wir begegnen.
Stamm: So etwas darf man in bestimmten Kreisen heute nicht mehr sagen. Ich appelliere dazu, diese Themen immer vom Betroffenen aus zu sehen. Wir müssen uns anschauen, was kann ein Kind, welche Chancen hat es, welche gezielte Förderung braucht es und nicht, welches Handicap hat es. Dann kann eine gezielte Förderung sich auch auf die Integration viel positiver auswirken. Und je früher diese Förderung einsetzt, desto besser die Chance auf Inklusion. Nehmen wir als Beispiel autistische Kinder, deren Begabungen und Förderchancen so unterschiedlich sind, dass eigentlich jedes Kind anders gefördert werden muss. Natürlich ist der Wunsch der Eltern, Inklusion weitestgehend möglich zu machen, aber wir müssen immer auch auf das Kind schauen. Die Frage, was ihm am besten nutzt, muss gestellt werden.
Stamm: Nein, nein, nein! Die Entlastung ist nicht gegeben. Finanzielle Entlastung, verlässliche Tages- oder Kurzzeitpflege, ambulante Hilfen, da haben wir noch enorm viel zu tun.