Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar beschäftigt auch die Bürger in Schweinfurt und die Kommunalpolitik – nicht nur wegen gestiegener Energiepreise, die derzeit intensiv diskutiert werden. Viele Schweinfurterinnen und Schweinfurter halfen aktiv geflüchteten Menschen aus der Ukraine. Die Stadt bot mit ihrer Flüchtlingsunterkunft in der Ledward Kaserne und den zahlreichen Angeboten dort wichtige Hilfe zur Integration.
Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) gab im Mai eine Solidaritäts-Partnerschaft mit der ukrainischen Großstadt Lutsk bekannt und engagiert sich persönlich im Austausch mit dem dortigen Bürgermeister Ihor Polischtschuk. Jetzt kehrte er von einer Fahrt gemeinsam mit Sozialreferent Jürgen Montag in die Ukraine zurück. Sie hat seinen festen Willen, aus der Solidarpartnerschaft eine dauerhafte Partnerschaft zu entwickeln, noch weiter bestärkt, wie er im Gespräch mit dieser Redaktion erklärte.
Remelé bezog schon in einer Stadtratssitzung im Mai klar Stellung: "Das ist ein völkerrechtswidriger Angriff auf einen friedlichen Nachbarn. Die Ukraine verteidigt nicht nur sich selbst, sondern auch Europa." Nach seinen Eindrücken vor Ort gilt das umso mehr: "Es war eine der eindrucksvollsten Reisen meines Lebens", so Remelé. "Die Ukraine", betont der Oberbürgermeister, "ist Teil Europas, wir müssen die Hand über den Krieg hinaus nach Osten ausstrecken, denn sie verteidigen unsere Werte und Zukunft."
Mehrstündige Kontrollen an der polnisch-ukrainischen Grenze
Die Fahrt, die der OB und Jürgen Montag alleine unternahmen, war nach den geschilderten Eindrücken sicher keine Urlaubsfahrt. Die knapp 14-stündige Anreise über Polen beschwerlich, alleine am angepeilten Grenzübergang dauerten die mehrfachen Kontrollen mehrere Stunden. Die landwirtschaftliche Prägung der Ukraine mit kilometerlangen Sonnenblumen- und Maisfeldern war dann auf der Weiterfahrt deutlich zu sehen.
Lutsk ist eine über 1000 Jahre alte Stadt mit mittelalterlicher Bausubstanz. Sie hat 210.000 Einwohner, liegt am Fluss Styr. Das aus den Medien bekannte Lwiw nahe der polnisch-ukrainischen Grenze liegt rund 150 Kilometer südwestlich. Dort kommen die meisten Flüchtlinge aus der Ostukraine an, die dann über die gut 70 Kilometer entfernte Grenze zu Polen Richtung Westeuropa flüchten. Der industrielle Schwerpunkt der Stadt liegt nach Angaben der Verwaltung auf dem Maschinenbau, außerdem gibt es eine staatliche Universität und eine industrielle Hochschule.
20.000 Flüchtlinge seit Kriegsbeginn müssen in Lutsk versorgt werden
In Lutsk selbst, erzählt Sebastian Remelé, seien 20.000 Flüchtlinge. Kriegsschäden gab es bisher nur im März am Flughafen, Fliegeralarm ist aber Alltag – auch als Remelé und Montag vor Ort waren. Die größte Sorge sei die Nähe zu Weißrussland: Nicht wegen eines befürchteten Einmarsches, den große Sumpfgebiete erschweren, sondern wegen von dort aus möglichem Raketenbeschuss.
Das Gespräch mit dem Lutsker Bürgermeister schilderte Remelé als "freundlich, aber auch staatstragend". Man habe sich eine Stunde ausgetauscht und eine Absichtserklärung für eine Städtepartnerschaft unterschrieben. Das Thema will der OB zunächst mit dem Ältestenausschuss des Stadtrates besprechen und dann in den nächsten Jahren nach einem Ende des Krieges soweit vorantreiben, dass Lutsk die vierte Schweinfurter Partnerstadt wird.
Lutsk habe mehrere Partnerschaften, vor allem mit polnischen Städten, und sei vor allem auch an gemeinsamen wirtschaftlichen Projekten interessiert. Für Sebastian Remelé sollte der Schwerpunkt einer Partnerschaft ebenso auf kulturellem Austausch, insbesondere Schulpartnerschaften, liegen.
Derzeit spielt das Thema Hilfstransporte die wichtigste Rolle. Zuletzt hatte die Stadt ein nicht mehr genutztes Feuerwehrfahrzeug überführt und stellte 250.000 Euro zum Kauf von in der Ukraine dringend benötigten Produkten wie Medikamente, Verbandsmaterial, Schutzkleidung, lange haltbare und trockene Lebensmittel, Schlafsäcke und Isomatten, Batterien, Powerbanks und Generatoren sowie saisonale Kleidung zur Verfügung. Die Zusammenarbeit mit SKF, das in Lutsk ein Werk betreibt, das Remelé und Montag besuchten, ist von großem Vorteil und erleichtert die logistischen Herausforderungen.
Tief sitzende Abneigung gegen Russland spürbar
Der OB und der Sozialreferent nutzten ihre rund eineinhalb Tage vor Ort für intensive Gespräche und Besuche, um einen Eindruck von der Stadt zu gewinnen. Neben dem politischen Treffen und dem Besuch im SKF-Werk war man auch in einer orthodoxen Kirche, auf der Festung und einem Markt. Auch wenn die Versorgungslage in Lutsk noch gut sei, "ist die Stimmung im Alltag vom Krieg geprägt."
Ein Erlebnis vor dem Theater und in der Kathedrale beschäftigte Sebastian Remelé intensiv: Am Theater ist eine Bildergalerie mit über 100 Fotografien zu sehen. Zumeist junge Männer. Gefallene nur aus Lutsk aus dem Krieg gegen russische Separatisten in den Regionen Donezk und Luhansk seit 2014. Der Krieg, der im Februar 2022 mit dem völkerrechtswidrigen russischen Einmarsch in der Ukraine eskalierte. Der Krieg, der mit der russischen Annexion der zur Ukraine gehörenden Krim 2014 begann. Die Fotos der Gefallenen seit Februar sind in der Kathedrale zu sehen, mehrere Dutzend.
"Es hat mich sehr berührt, gerade weil wir Kinder in dem Alter haben wie die Soldaten auf den Fotos", erzählt Remelé sichtlich nachdenklich. Bei diesem Anblick habe er auch die immer wieder von Gesprächspartnern geschilderte Verteidigungsbereitschaft verstanden: "Es herrscht eine tiefe Abneigung gegenüber allem Russischen. Man ist fest entschlossen, so lange wie möglich Widerstand zu leisten und nicht Russisch zu werden."