
Es gibt Dinge, die haben Gudrun Dimigen schon immer gestört. Warum geht in Deutschland nicht das, was anderswo so einfach scheint? Vor allem in Sachen Erneuerbare Energien. Vor 20 Jahren hat sich die Frau aus dem Norden, die seit 1968 in Schweinfurt lebt, schon einmal Gedanken über eine Photovoltaik-Anlage für ihr Haus am Deutschhof gemacht. Und sich dagegen entschieden.
Warum? Weil nicht herauszubekommen war, was mit dem Vertrag zur Einspeisevergütung passieren würde, wenn sie das Haus einmal verkauft. Kann der Nachbesitzer den Vertrag übernehmen, von der Vergütung profitieren? Gudrun Dimigen hat darauf keine Antwort bekommen, nirgendwo. Der Verkauf des Hauses, zumindest die Gedanken dazu, waren nicht unrealistisch. Irgendwann, meint sie, könne sie vielleicht nicht mehr hier leben. Alleine, unabhängig – wie heute, 20 Jahre später.
Die Zeiten haben sich geändert. Auch, was Stromkosten betrifft. Die sind gestiegen, die Einspeiseentgelte in den Keller gefallen. Wer sich heute eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach macht, profitiert vor allem dann, wenn er den selbst erzeugten Strom auch selbst verbraucht. Das ist auch Gudrun Dimigen bewusst. Heute überlegt sie wieder, ob sie den Schritt macht, für den sie sich vor 20 Jahren zu alt gefühlt hat. Mit 92 eine Photovoltaikanlage aufs Dach montieren lassen? Für die Biologin und ehemalige Lehrerin am Celtis-Gymnasium ist das durchaus eine Überlegung wert.
Um Strom und Sparen geht es der Schweinfurterin nicht in erster Linie
Vor allem aus Idealismus, sagt sie. Es ist derselbe Grund, weshalb sich Dimigen vergangenes Jahr eine Mini-Photovoltaikanlage zugelegt hat, auch bekannt als Mini-, Balkon-Solaranlage oder Balkonkraftwerk. Zwei Module mit je 300 Watt, das erzeugt keine Masse an Strom, aber immerhin etwas. Im Juni sollten die Module geliefert werden, im Oktober kamen sie dann. Lieferschwierigkeiten. Die gab es auch bei der Aktion, die Gudrun Dimigen erst auf die Idee gebracht hat: die Sammelbestellungen durch die Agenda 2030 in Schweinfurt.
Gudrun Dimigen hat alleine bestellt, weil ihr das Modell besser gefallen hat, wie sie sagt. Die Montage sei recht einfach gewesen, zumindest für denjenigen, der ihr aus dem Freundeskreis dabei half: ein Physiker. Und schließlich kam es laut Dimigen so, wie es in Deutschland kommen muss: am Anfang steht die Bürokratie, denn selbst kleine Anlagen muss man im Marktstammdatenregister eintragen. Auch das ginge einfacher, sagt die 92-Jährige, und es wird spürbar, dass der Eintrag für etwas steht, dass die Wahl-Schweinfurterin schon lange stört.
Damit sich endlich etwas bewegt, auch beim Ausbau der Erneuerbaren, für den Klima- und Umweltschutz, braucht es dringend einen Bürokratie-Abbau, sagt Dimigen. Ebenso wie es noch mehr Menschen brauche, die etwas tun. Das, was ihnen möglich ist.
Was gestern sparsam war, heißt heute nachhaltig leben
"Wenn viele Leute kleine Dinge tun", dann könne man am Ende auch viel erreichen, sagt die 92-Jährige. Würde sie sich selbst als umweltbewusst beschreiben? "Auf jeden Fall, ja, ich bin ein Kriegskind", sagt Gudrun Dimigen und erzählt davon, wie eine solche Kindheit prägt. Dass sie bis heute nichts wegwerfen mag, Dinge solange wie möglich verwendet, repariert. Nachhaltig leben, nennt man das heute.
Die Natur, die Umwelt, bedeuten ihr viel, sagt sie und erzählt von der Mitarbeit in verschiedenen Gruppen, dem naturwissenschaftlichen Verein, der Kirche, von ihrem Garten und der Baumscheibe, die der Stadt gehört und die sie mit Blumen verschönert. Kleine Dinge, die sich summieren können.
Gudrun Dimigen kann die Verzweiflung junger Aktivistinnen und Aktivisten verstehen
So wie die Menge an Strom, die durch Dach- und auch die kleinen Balkon-Solaranlagen in Schweinfurt produziert wird. Allein die Agenda 2030 hat bei ihren Sammelbestellungen seit März 2021 mittlerweile 210 Balkon-Solaranlagen an Privatleute aus der Stadt und dem Landkreis Schweinfurt vermittelt. Die Zahl der kleinen und mittleren Photovoltaikanlagen in der Stadt hat sich innerhalb von 18 Monaten fast verdoppelt.
Dass junge Menschen auf die Straße gehen, Umwelt- und Klimaschutz einfordern, den Generationen vor ihnen einen Vorwurf machen, kann Gudrun Dingen, die selbst zwei Kinder hat, gut verstehen; auch wenn sie nicht alle Protestformen gutheißt. Der Wunsch, die Forderung sei richtig, "es muss etwas passieren", die Politik muss handeln, meint Gudrun Dimigen und findet klare Worte, vor allem für die Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte.
Möglichkeiten gebe es viele, neue Ideen – wie Photovoltaik-Anlagen an der Autobahn oder Agri-Photovoltaik-Anlagen, die so hoch sind, dass unter ihnen ganz normal Landwirtschaft betrieben werden kann. "Wir haben den Planeten noch nicht zerstört, sind aber dabei, es zu tun", greift Dimgigen die Kritik der Jungen auf. "Es gibt noch Hoffnung."