
Ein gestörtes Immunsystem sei der Grund dafür, dass manche Menschen nach durchgestandener Corona-Infektion weiter lange und teils massiv gesundheitlich beeinträchtigt sind, sagt Paul Schmincke. Als Oberarzt leitet er die Post-Covid-Ambulanz der Klinik am Steigerwald bei Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt). Die Privatklinik mit 35 Betten und einer Ambulanz behandelt Menschen nach den Grundsätzen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).
Das Chronische Müdigkeitssyndrom (Fatigue-Syndrom), kurz CFS/ME, zählt zu den häufigsten Erkrankungen, die unter die Sammelbegriffe Long Covid und Post Covid fallen. Schon vor der Corona-Pandemie behandelte die Klinik am Steigerwald Menschen, die nach einer Virusinfektion dauerhaft unter dem Fatigue-Syndrom litten. Die TCM verfolgt dabei andere Ansätze als die Schulmedizin, sagt Allgemeinmediziner Paul Schmincke.
Im Interview erklärt der Sohn des Klinikgründers, warum er auf die Schleimhäute setzt, wie die Klinik bei der Behandlung vorgeht – und was sie für Betroffene kostet.
Paul Schmincke: Postinfektiöse Symptome sind bei uns in der Klinik am Steigerwald bekannt, seit es diese Klinik gibt. Wir sind seit fast 30 Jahren Anlaufstelle für Patienten, die etwa nach Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus oder Herpesviren an CFS/ME leiden, weil dazu wenig Wissen besteht und die Krankheit erst nicht anerkannt war. Die Patienten wurden oft in die Psycho-Ecke gestellt. Sie sind zu uns gekommen, weil sie sonst keine Anlaufstelle hatten. Daher kommt unsere Erfahrung. Und ich bin mir sicher, dass wir durch die mit Corona eingesetzte Erforschung postinfektiöser Erkrankungen wahnsinnig viel Erkenntnisse über nachhaltige gesundheitliche Veränderungen erhalten werden.
Schmincke: Wichtig ist zunächst per Diagnose auszuschließen, dass es sich um etwas anderes handelt. Für Long-Covid-Patienten, die an CFS/ME leiden, gibt es quasi keine schulmedizinische Therapie. Was nach offiziellen Richtlinien angeboten wird, ist das sogenannte Pacing. Das bedeutet, dass man so lebt, dass man sich möglichst nicht überlastet. Aber es gibt keine Medizin, die man nehmen kann. Höchstens symptomatisch, also etwa Mittel gegen Schlafstörungen oder Antidepressiva. Wir sehen darin keine große Hilfe. In der TCM richten wir unser Augenmerk auf die Vorgeschichte der Menschen mit postinfektiösen Syndromen. Ein Beispiel ist das Burnout-Syndrom, eine Erschöpfung aus beruflicher oder sozialer Überlastung heraus. Menschen, die vorher ein hohes Leistungslevel hatten, sind gefährdet. Dann haben wir Menschen, die chronische Entzündungen hatten wie wiederkehrende Mandel- oder Schleimhautentzündungen, die dann durch Covid einbrechen.
Schmincke: CFS/ME gilt für uns als Infekt ohne Schleimhautsymptomatik. Es sind alle Symptome da, die zu einem Infekt gehören: Erschöpfung, Intoleranz gegen Belastung, Grippegefühl, Glieder- und Kopfschmerzen. Unsere Therapie besteht darin, dass wir versuchen, die Schleimhäute wieder zu aktivieren und Sekretion zu erzeugen. Das ist der wesentliche Punkt: Das Immunsystem arbeitet, und zwar heftig. Infekte sind nicht immer schlecht, wenn sie gut verlaufen, nach einer Norm. Diese Norm beschreiben wir. Dies macht die Schulmedizin nicht.
Schmincke: Wichtig ist, dass die Betroffenen sich krankschreiben lassen, damit sie sich entspannen können. Dafür braucht es eine Woche bis zehn Tage, mindestens. Nach den Reizzuständen müssen die Schleimhäute anschwellen, begleitet von Glieder- und Kopfschmerzen. Danach muss eine Ausscheidung stattfinden, das heißt, Rotz und Schleim müssen fließen, oder Durchfall. Egal wie: Ausscheidung ist Zeichen einer funktionierenden Reinigung nach einem solchen Gefecht, das eine Entzündung im Körper darstellt. Anschließend brauchen Betroffene eine Zeit, in der sie sich nicht groß beanspruchen, damit die Heilung ablaufen kann, also die zerstörten Zellen wieder regenerieren. Erst wenn alle diese Phasen abgelaufen sind, ist man bei einem Infekt nach etwa sieben bis zehn Tagen auskuriert und kommt in den Alltag zurück.

Schmincke: Nur sehr wenige Menschen. Nicht dazu bereit sind vor allem Menschen, die unter einem sehr hohen Leistungsdruck stehen. Und es gibt sehr viele Medikamente, die eine Entzündungsreaktion hemmen und den Prozess stören, etwa Schmerzmittel und Fiebersenker. Wenn Menschen mit Infekten nicht zurecht kommen, dann muss es da eine Ursache im Hintergrund geben.
Schmincke: Die Forschung ist so weit, dass sie sagt, dass CFS/ME einer Autoimmunkrankheit ähnelt. Das Immunsystem richtet sich gegen das Nervensystem, mit dem Ziel, dass der Mensch wieder normal Infekte bekommen und mit ihnen fertig werden kann. Das ist der springende Punkt.
Schmincke: Ja. Wir versuchen die Menschen zu beruhigen, mit denselben Maßnahmen wie in der Schulmedizin auch, also dem Pacing. Zugleich haben wir aber Pflanzen, die Entzündungen beeinflussen können. Die TCM bietet uns einen großen, sehr feinen Werkzeugkasten, der genauer wirkt als die Mittel der Schulmedizin. Die Arzneimitteltherapie ist die wichtigste Säule, mit etwa 100 Pflanzen und vielen Wirkstoffen. Diese können beispielsweise eine Schleimhaut befeuchten oder trocknen, eine Ausscheidung anregen oder verhindern. Wie eine Art Immunpädagogik: Wir erziehen das Immunsystem neu, dass es nach außen arbeiten kann.
Schmincke: Zu uns kam eine junge Frau mit Post-Covid-Syndrom, die vor allem unter Tachykardie, also Herzrasen, sowie unter schwerer Müdigkeit und Hauteinblutungen litt, die schubweise gekommen sind. Die Frau war arbeitsunfähig. Wir behandelten sie mit Medikamenten, die das Immunsystem etwas reizen, um zu zeigen, wo das Problem ist. Nach drei, vier Tagen entwickelte sie einen Infekt mit starken Halsschmerzen. Es entwickelte sich eine Bindehautentzündung, auf die kein Antibiotika ansprach und die ein Augenarzt behandelte. Das ging sehr lange, vier Wochen, mit sehr viel Sekret, Eiter aus den Augen. Als sie sich erholt hatte, waren 80 Prozent ihrer Post-Covid-Beschwerden verschwunden.
Schmincke: Ich denke, dass die Schulmedizin von der TCM lernen kann, dass es komplexe Modelle braucht, um die Krankheit zu verstehen. Man kann nicht einfach Wirkstoffe aus Pflanzen extrahieren und die Krankheit behandeln. In der Grundlagenforschung können wir uns begegnen.
Schmincke: Long Covid macht bei uns nach Polyneuropathie die zweitgrößte Patientengruppe aus. Meistens kommen die Patienten und Patientinnen, wenn sie am Ende ihrer Suche sind, nach einer mehrmonatigen Folge von Diagnosen in vielen Praxen, an deren Ende dann keine Therapie steht. Wir behandeln in der Ambulanz circa 70 Patientinnen und Patienten, davon vier, fünf neue Fälle pro Woche. Die Wartezeit beträgt drei, vier Monaten. Die Behandlung dauert in der Regel ein halbes Jahr. Auf Station haben wir pro Woche ebenfalls vier bis fünf Neuaufnahmen mit Post-Covid-Syndrom.
Schmincke: Die stationäre Behandlung kostet 438 Euro pro Tag, inklusive Arztkosten. Bei einem durchschnittlichen Aufenthalt von drei Wochen sind wir so bei 9200 Euro. Ambulant richtet sich die Behandlung nach den Gebührenordnung der Ärzte, das sind circa 120 Euro pro Gesprächsstunde. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten nur in absoluten Einzelfällen. Private Versicherungen zahlen, wenn sie zahlen, normalerweise alles.
Schmincke: Es gibt die "Klinik-am-Steigerwald-Patienten-Stiftung". Die ermöglicht eine Behandlung von aktuell jährlich zehn bis 30 vor allem jungen Patienten, die sich eine stationäre Behandlung nicht leisten können. Es werden bis zu 90 Prozent der Kosten übernommen. In der Regel sind es um die 50 Prozent. Hierzu ist eine Anfrage nötig und der Stiftungsrat prüft die finanzielle Situation des Antragstellers.

Schmincke: Man kann das nicht pauschal sagen. Klar, wir haben Tipps für eine gesunde Ernährung, die möglichst wenig belastet, etwa weniger Zucker essen und abends nicht mehr so viel essen. Grundsätzlich sollte man sich außerdem nicht überlasten und Schlafhygiene betreiben, abends also nicht mehr vor dem Bildschirm oder Fernseher sitzen. Und keine Fiebersenker nehmen, stattdessen Wadenwickel machen. Infekte sollte man nicht unterdrücken, sondern ernst nehmen und sich krankschreiben lassen.
Man behandelt „mit Medikamenten, die das Immunsystem etwas reizen“ (welche „Medikamente“ ?) und provoziert damit eine eitrige Bindehautentzündung (für die man sich dann aber nicht zuständig fühlt. Man schiebt die Zuständigkeit auf einen Augenarzt, der dann erfolglos mit Antibiotika behandeln darf. Wenn dann vier Wochen lang Eiter aus den Augen geflossen ist und die Selbstheilungskräfte das ihre getan haben – sind (Wunder über Wunder) auch 80 Prozent der Post-Covid-Beschwerden verschwunden.
Habe ich das richtig verstanden?
Und wenn die Entzündung auf die Hornhaut und andere Teile des Auges übergreift und diese nachhaltig schädigen und Komplikationen mit Sehstörungen bis hin zur Erblindung auftreten??? Dann ist vermutlich wieder der Augenarzt zuständig.
"Infekte sind nicht immer schlecht, wenn sie gut verlaufen, nach einer Norm. Diese Norm beschreiben wir. Dies macht die Schulmedizin nicht." --- Dass in der Klinik eine "Norm" festgesetzt wird, die die "Schulmedizin" nicht kennt, ist nicht nur 'eigentümlich' sondern auffällig eigen-willig.
"Ambulant richtet sich die Behandlung nach den Gebührenordnung der Ärzte, das sind circa 120 Euro pro Gesprächsstunde." --- Herr Michael Mößlein, können Sie noch recherchieren welche Gebührenziffern nach GOÄ (Gebührenordnung der Ärzte) und mit welchem Steigerungssatz abgerechnet wird. --- Aus den Gebührenziffern ließe sich folgern, was dort "offiziell" passiert . Die dortige sonderbare Therapie ist in der GOÄ wohl kaum abgebildet.
Und mit GOÄ 3: Eingehende, das gewöhnliche Maß übersteigende Beratung ( Einfachsatz: 8,74 € / Regelhöchstsatz 2,3fach: 20,11 € / Höchstsatz 3,5fach: 30,60 €) kommt man nicht auf 120 Euro pro Stunde.
Herr Michael Mößlein, haben Sie eine Werbeaktion als redaktionellen Beitrag plaziert? Und kritische Recherche ist nicht vorgesehen?
Wie Sie sicherlich mitverfolgt haben bzw. über die Links im Artikel auch leicht nachvollziehen können, hat die Main-Post in der Vergangenheit auch mehrfach über schulmedizinische Ansätze zur Long-Covid-Behandlung und den Stand der Forschung berichtet. Der aktuelle Beitrag soll einfach dieses Bild abrunden.
Dass Sie als Allgemeinmediziner der sog. Schulmedizin mehr zugeneigt sind als der TCM, ist ihr legitimes Recht. Andererseits sei darauf hingewiesen, dass Herr Schmincke an keiner Stelle des Interviews die Schulmedizin angreift oder infrage stellt. Das nur mal so am Rand bemerkt.
Wenn Sie hierzu Näheres wissen möchten, dann fragen Sie doch einfach in der Klinik nach. Falls Sie Unregelmäßigkeiten vermuten, dann wenden Sie sich doch bitte an die zuständigen Stellen.
Vielen Dank auch für Ihre Tipps. Aber wenn Sie mit den halbgaren Informationen Ihres Artikels leben können, dann kann ich es auch.
Da ist es vielleicht ganz praktisch, wenn ein Oberarzt der Klinik gleichzeitig als "Arzt" und als "Heilpraktiker" auftritt ( https://www.tcmklinik.de/klinik-fuer-chinesische-medizin/team/aerztepsychotherapeuten ). Als Heilpraktiker wird in Deutschland jemand bezeichnet, der Heilkunde berufs- oder gewerbsmäßig ausübt, ohne als Arzt oder Psychologischer Psychotherapeut approbiert zu sein.
Wie man gleichzeitig mit und ohne Approbation tätig werden kann, ist wohl auch eines der letzten Geheimnisse der TCM. Herr Michael Mößlein können Sie da noch einmal nachhaken?
Man mag zu TCM und anderen alternativen Heilmethoden stehen wie man will, ich finde es gut, dass der Artikel die Behandlungsweise in der Klinik darstellt. Ich wusste zwar, dass es die Klinik gibt, mehr aber auch nicht. Auch der Verweis auf die mögliche finanzielle Unterstützung durch die Stiftung ist für manchen vlt. hilfreich.
Jetzt wäre ein Folgeartikel, der sich kritisch mit TCM und anderen alternativen Heilmethoden beschäftigt, noch interessant.
Dass die "Schulmedizin" ihre Grenzen kennt, ist in meinen Augen sehr positiv. --- Genau das vermisse ich oft bei der "Alternativmedizin"mit ihren vagen Heilsversprechen.
Bei der Abrechnung der erbrachten Leistungung muss dann allerdings augenscheinlich wieder die "schulmedizinische" Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) herhalten. - Interessant wäre noch welche Gebührenziffern dabei herangezogen werden.
Wie auf Wikipedia nachzulesen, ist TCM ursprünglich vom Massenmörder Mao Zedong eingeführt und gilt als ideologisch motiviertes Kunstprodukt. Von wissenschaftlicher Seite wird eine therapeutische Wirksamkeit vieler Behandlungsmethoden der TCM bestritten und etliche Behandlungsmethoden werden als pseudowissenschaftlich betrachtet. Generell widersprechen die Annahmen der TCM den heutigen Fakten über Physiologie oder der Anatomie des Menschen.
Dass die TCM ein Garant für lupenreinen Altruismus ist, halte ich für zweifelhaft. Eine Privatklinik ist nicht zuletzt ein Geschäftsbetrieb.
Mich irritiert das im Interview konkret vorgestellte Therapiekonzept (siehe vorangehenden Kommentar). Und mich irritiert, dass einerseits chinesische Barfuss-Medizin praktiziert wird – und andernseits nach der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abgerechnet wird.
In China ist TCM eine Lehrlingsausbildung und kein Studium i. S. der westlichen Medizin.